Shell Jugendstudie 2015 Die Jugend wird wieder politisch

Berlin · Junge Leute in Deutschland wünschen sich einen sicheren Job. Karriere ist für sie zweitrangig. Vor allem Zeit für die Familie ist ihnen wichtig. Dabei sind sie weltoffen und fürchten Fremdenfeindlichkeit, wie eine neue Studie zeigt.

 Freizeit, Job, Werte — für die Studie wurden Jugendliche in den unterschiedlichsten Kategorien befragt.

Freizeit, Job, Werte — für die Studie wurden Jugendliche in den unterschiedlichsten Kategorien befragt.

Foto: dpa, mku pzi sac soe

Sie sind egoistisch, verwöhnt, betrinken sich lieber, statt "Tagesschau" einzuschalten, und vegetieren vereinsamt vor ihren Smartphone-Bildschirmen dahin. Vorurteile über Jugendliche in Deutschland sind selten schmeichelhaft. Doch eine Umfrage, die das Stimmungsbild der jungen Generation nachzeichnet, räumt mit solchen Bildern nun gehörig auf. Demnach blicken die meisten jungen Menschen zwischen zwölf und 25 Jahren zuversichtlich auf ihre Zukunft, interessieren sich so sehr für Politik wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr und befürworten die Aufnahme von Flüchtlingen. Das geht aus der neuen Jugendstudie des Ölkonzerns Shell hervor, die am Dienstag ein Forscherteam gemeinsam mit Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) vorstellte.

Optimistisch in die Zukunft

Trotz globaler Krisen, schwindenden Zusammenhalts in Europa und zunehmender Angst vor Terror freuen sich die meisten Jugendlichen auf die Zukunft. 61 Prozent der rund 2500 Befragten schauen optimistisch auf ihr künftiges Leben, 2006 waren es erst 50 Prozent. Die Jugend will mit anpacken, ist pragmatisch und hat dabei die Entwicklung der Gesellschaft im Blick. So beurteilt erstmals seit den 90er Jahren eine Mehrheit von 52 Prozent der Jugendlichen auch die gesellschaftliche Zukunft optimistisch. 2006 waren es nur 44 Prozent.

Doch bei der Einschätzung, wie gut die Zukunft ausfallen wird, wächst der Spalt zwischen Ober- und Unterschicht. Die am meisten gebildeten und reichsten 13 Prozent aller Befragten sind nun noch zuversichtlicher geworden: Drei Viertel von ihnen sind optimistisch, 2010 - als die letzte Shell-Studie erschien - waren es 68 Prozent. Im Gegensatz dazu glaubt nur ein Drittel der sozial schwächsten Jugendlichen (Anteil von elf Prozent) an eine positive persönliche Zukunft. Und 15 Prozent aller Jugendlichen sehen sich gar als die "Abgehängten", zumal die Chancen auf einen höheren Schulabschluss stark von der sozialen Herkunft abhängen. "Dieses Warnsignal nehmen wir sehr ernst. Jeder junge Mensch, der Hilfe benötigt und möchte, muss diese auch bekommen", sagte Schwesig dazu. Ihr Verweis auf ein Programm, mit dem ihr Haus Hilfsprojekte in 180 Kommunen fördert, wirkte da aber eher wie ein Feigenblatt und nicht wie ein umfangreiches Lösungskonzept.

Auch ohne Kinder glücklich

Wer die Wertschätzung von Familien und den eigenen Kinderwunsch der jungen Menschen gegenüberstellt, entdeckt einen vermeintlichen Widerspruch. 90 Prozent der Befragten finden es wichtig, ein gutes Familienleben zu führen. Sie schätzen die eigene Familie als sicheren Hafen und geben immerhin zu 40 Prozent an, bestens mit den eigenen Eltern auszukommen. Aber nur noch 64 Prozent der Jugendlichen wollen eigene Kinder haben. 2010 waren es noch 69 Prozent, wobei der Kinderwunsch bei den Jungs noch stärker zurückgegangen ist. Der Aussage, man könne auch ohne Kinder genauso glücklich leben, stimmten 40 Prozent von ihnen zu, 2010 war es nur jeder Dritte.

Sicherheit hat im Job Priorität

Zur Erklärung der Kinderwunschangaben führen die Wissenschaftler Ängste der Jugendlichen zum späteren Berufsleben ins Feld. "Vieles deutet darauf hin, dass sich die Sorge um die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben auch auf den Kinderwunsch auswirkt", schreibt die Gruppe um Studienleiter Mathias Albert von der Universität Bielefeld. Jeweils 50 Prozent der Befragten glauben, dass es schwierig wird, Beruf und Privatleben unter einen Hut zu bekommen, und dass neben dem Job zu wenig freie Zeit bleiben wird. Überrascht zeigten sich die Autoren, dass Sicherheit im Job mit 95 Prozent höchste Priorität bei den jungen Menschen genießt. Zugleich müssen nur 55 Prozent das Gefühl haben, etwas zu leisten, um zufrieden mit dem Beruf zu sein.

Mehr Angst vor Fremdenfeindlichkeit als vor Zuwanderung

Eine weitere Kernbotschaft der Studienergebnisse ist das stark gestiegene politische Interesse. 41 Prozent bezeichnen sich heute selbst als politisch interessiert, 2002 gab es mit nur 30 Prozent ein Rekordtief. "Das ist eine Trendwende, die sich fortsetzt", prognostiziert Politikwissenschaftler Albert. Allerdings schenken die Jugendlichen den etablierten Parteien weniger Vertrauen als etwa Menschenrechts- und Umweltgruppen. Auch die Kirchen verlieren an Rückhalt. Gleichzeitig sind die Jugendlichen offen für das Weltgeschehen und ziehen daraus Rückschlüsse auf Zuwanderung und Debatten über Ausländerhass. 48 Prozent der befragten Jugendlichen haben Angst vor Fremdenfeindlichkeit, aber nur 37 Prozent sind dafür, die Zuwanderung nach Deutschland zu verringern. 2006 waren es noch 58 Prozent. Dazu jedoch der Hinweis, dass die Daten Anfang 2015 und damit noch vor dem zuletzt drastischen Anstieg der Flüchtlingszahlen erhoben wurden.

Immer online, aber nicht naiv

Keine Generation ist so selbstverständlich mit dem Internet aufgewachsen wie die heute Zwölf- bis 25-Jährigen. 99 Prozent von ihnen sind online, 2002 waren es erst 66 Prozent. Fast die Hälfte der Jugendlichen aus der oberen Schicht kann auf drei oder mehr Geräte zurückgreifen, bei der unteren Schicht sind es nur 17 Prozent. Dabei wissen die Jugendlichen sehr wohl die Geschäftsinteressen von Google oder Facebook einzuschätzen. 84 Prozent stimmen dem Satz zu, Konzernen gehe es im Umgang mit Nutzerdaten ums Geldverdienen. 72 Prozent halten es für gegeben, dass die Firmen mit ihren Angeboten "das Internet beherrschen wollen". Und viele Eltern dürfte hoffnungsvoll stimmen, dass nur ein Drittel der Jugendlichen der Aussage zustimmt, sie seien so oft im Internet, dass für andere Dinge nur wenig Zeit bleibe. Allerdings: Junge Menschen verbringen heute mehr als 18 Stunden pro Woche im Netz, 2002 waren es sieben Stunden.

(jd)
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