Sinus-Jugendstudie Die deutsche Jugend war noch nie so wenig rebellisch

Berlin · Erstaunlich strebsam, pragmatisch und fast schon überangepasst: Noch nie seit der Nachkriegszeit ist die Jugend in Deutschland so wenig rebellisch wie heute gewesen.

Sinus-Studie 2012: Die Lebenswelten der Jugendlichen
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Foto: Deutsche Kinder- und Jugendstiftung

Das ist ein Hauptergebnis der neuen Sinus-Jugendstudie, die Sozialwissenschaftler am Dienstag in Berlin vorstellten. Die Sehnsucht nach Geborgenheit und Orientierung in einer zunehmend unübersichtlichen Welt lasse Teenager eine ungewöhnlich große Nähe zur Elterngeneration suchen, lautet eine Erklärung dafür.

Zu weiteren Ergebnissen zählt, wie sehr Teenager das Thema Flüchtlinge interessiert und wie tolerant viele der Zuwanderung gegenüberstehen. Gewundert hat die Forscher, dass junge Leute zunehmend ein wenig online-müde werden. Zum dritten Mal seit 2008 haben Jugendforscher im vergangenen Jahr 14- bis 17-Jährige nach ihren Meinungen und Gefühlen gefragt.

Die Ergebnisse der Studie basieren auf langen und persönlichen Interviews mit 72 Teenagern aus verschiedenen Milieus, erläuterte Projektleiter Marc Calmbach. Die Forschung schätzt diese Methode wegen ihrer Tiefenschärfe als seriös ein. Für die repräsentative Befragungen der Shell-Studie werden weit mehr Jugendliche interviewt.

  • An der Studie nahmen von Juli bis Oktober 2015 insgesamt 72 Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren teil, die in sieben Lebenswelten eingeteilt wurden: Konservativ-Bürgerliche, Adaptiv-Pragmatische, Sozialökologische, Prekäre, Materialistische Hedonisten, Experimentalistische Hedonisten, Expeditive.
  • Die Jugendlichen wurden mittels Tiefeninterviews befragt, zudem machten sie Fotos ihrer Zimmer, schrieben ein Hausarbeitsheft mit dem Titel "So bin ich, das mag ich" und brachten eigene Interviewfragen ein.
  • Die Studie wurde 2008 das erste Mal vom das Sinus-Institut durchgeführt und wird seitdem alle vier Jahre wiederholt.
  • Auftraggeber der Studie sind der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), die Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz, die Deutschen Kinder- und Jugendstiftungen, die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und die Akademie des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV).
  • Der Großteil der Jugendlichen gab an, sich nicht von anderen abheben zu wollen.
  • Bezogen auf den Glauben ist ein gemeinsamer Wertekonsens wichtiger als die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft; mehr muslimische als christliche Jugendliche identifizierten sich positiv mit ihrer Religion; viele stehen ihr laut der Befragung als Institution skeptisch gegenüber.
  • Glaubens- und Sinnesfragen beschäftigten alle Befragten.
  • Die Mehrheit der Jugendlichen gab einen gemeinsamen Wertekanon an; hierzu zählen vor allem der Wunsch nach Halt und Orientierung mittels Gemeinschaft, Familie, wirtschaftliche Stabilität und Planbarkeit.
  • In Liebe und Partnerschaft sind den meisten Jugendlichen Vertrauen, Ehrlichkeit und Verlässlichkeit wichtig; mit Mitte 30 möchten sie in einer dauerhaften glücklichen Beziehung leben.
  • Die meisten Jugendlichen gaben an, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wichtig ist.
  • Ihre Zukunft sehen die in einer prekären Lebenswelt lebenden Jugendlichen pessimistisch, da sie häufig abgehängt von wichtigen Faktoren wie Geld und Bildung sind.
  • Das eigene Fahrrad ist neben den öffentlichen Verkehrsmitteln und dem elterlichen Fahrdienst das am häufigsten genutzte Mittel zur Fortbewegung; für alle Jugendlichen ist es wichtig, zeitnah den Führerschein zu machen.
  • In Bezug auf digitale Medien lässt sich von einem "Sättigungseffekt" sprechen; wichtig ist für die Jugendlichen mehr Aufklärung in dem Bereich.
  • Die Jugendlichen befürworten die Aufnahme von Flüchtlingen, weisen aber auch auf Kapazitätsgrenzen hin und betonen die Wichtigkeit von Integration.
  • Umweltschutz und Nachhaltigkeit beschäftigen die Jugend, die eigene Handlungsfähigkeit diesbezüglich sehen sie als eingeschränkt. Das Thema ist ihnen teils zu komplex.
  • Der Großteil der Jugendlichen sieht die deutsche Geschichte negativ behaftet und sagt, dass aus den Geschehnissen gelernt werden müsse.
  • Die Akzeptanz von Vielfalt nimmt bei den Jugendlichen zu.
(felt/dpa/KNA)
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