Smartphones im Alltag Das Handy macht schlauer als gedacht

München · Im Café schauen die Menschen nur noch auf ihr Handy, klagen Kulturpessimisten. Und die Fähigkeit zur Konzentration gehe uns im Internet auch verloren. Aber stimmt das überhaupt? Und: Ist wirklich alles schlecht?

 Eine junge Frau am Handy. Gut so!

Eine junge Frau am Handy. Gut so!

Foto: Thinkstock

Das Doofe am Tippen auf dem Handy ist ja, dass es im Gehen nicht so gut funktioniert, weil man die Straße nicht sieht und womöglich stolpert oder mit einem Radfahrer kollidiert. Zum Glück gibt es eine App dagegen. Sie aktiviert die Handykamera, während man Nachrichten schreibt. Man sieht also als Bildschirmhintergrund die Straße, darauf liegt der SMS-Text. Und so kann man schreiben und den Kopf woanders haben, und trotzdem wird man nicht überfahren. Praktisch. Und total bescheuert.

Wie verändern uns Smartphone und Internet? Was macht die Digitalisierung mit uns? Diese Fragen stellen sich viele, die im Café sitzen und Paare an den Nebentischen beobachten, die nicht flirten, sondern lieber in Apparate tippen. "Computerzugerichtete Menschen" hat Frank Schirrmacher diese Zeitgenossen genannt. Der Psychiater Manfred Spitzer meint, das Internet mache uns dicker, dümmer und einsamer. Und der Soziologe Harald Welzer spricht in seinem neuen Buch von einer "smarten Diktatur", der wir uns unterworfen hätten.

Was macht die Digitalisierung mit uns?

Dass sich etwas geändert hat, steht außer Frage, man muss sich nur mal im Stadtbild umsehen. Die Leute tragen das Handy vor sich her, als sei es ein Strauß frischer Blumen. Nur: Ist das schlimm? "Wir verändern uns durch jede neue Technik", sagt Jan Kalbitzer, Psychiater an der Charité in Berlin. "Der Mensch ist neugierig, Smartphones faszinieren ihn. Sie bieten neue Möglichkeiten des Lebens. Und sie ermöglichen es, sich seiner selbst zu versichern: Bin ich auf dem Laufenden?"

Kalbitzer hat ein Buch veröffentlicht, es heißt "Digitale Paranoia", und darin warnt er davor, die Folgen der Digitalisierung mit allzu viel Kulturpessimismus zu betrachten. "Durch das Internet sind alte Menschen weniger einsam, weil sie mit Kindern und Enkeln leichter Kontakt halten können", sagt Kalbitzer: "Andere können sich im Internet Jobs besorgen." Als Beispiel nennt er Programmierer in Indien, die über das Netz an amerikanischen oder europäischen Projekten mitarbeiten.

Mangelt es an Konzentrationsfähigkeit?

Stimmt natürlich alles, aber geht uns nicht dennoch viel verloren? Konzentrationsfähigkeit etwa? Ach, sagt Kalbitzer, bevor man sich über Jugendliche an Bushaltestellen aufrege, die auf ihr Handy starrten, möge man sich fragen: Was sollten sie denn sonst tun? Sich langweilen? Gerade junge Menschen, die mit dem Internet aufgewachsen seien, würden doch viel mehr lesen als andere Generationen vor ihnen. "Wir unterschätzen, was die Leute mit den Geräten machen. Sie konzentrieren sich, das ist eine Kompetenz. Sie denken."

Kalbitzer hat festgestellt, dass alte Menschen das Internet zumeist begeistert nutzen - als Erleichterung im Alltag oder zur Kommunikation. "Probleme hat vor allem die mittlere Generation", sagt er, also die 35- bis 60-Jährigen, die nicht mit dem Internet aufgewachsen sind, nun aber Kinder erziehen, für die Digitalisierung zur natürlichen Lebenswelt gehört. "Das ist wie bei manchen Migrantenfamilien, bei denen die Eltern schlecht Deutsch gesprochen haben, deren jüngste Generation hier oft aber bestens angekommen ist. Dafür gab es hier damals wenig Unterstützung. Jetzt können wir in Bezug auf das Internet mal andersrum um Hilfe fragen, wie man sich in so einer Situation richtig verhält."

"Ich hasse dieses Internet"

Gewissermaßen das Manifest dieser mittleren Generation ist der Roman "Ich hasse dieses Internet" des 39 Jahre alten Amerikaners Jarett Kobek. Das Buch ist eine 360 Seiten lange Wutrede gegen die vermeintliche Menschenmanipulation der IT-Konzerne. Twitter etwa wird als Plattform bezeichnet, "auf der Teenager andere Teenager in den Selbstmord treiben". Und: "Der einzige Zweck des Twitterns war es, neue Werbemöglichkeiten zu schaffen." Das Buch funktioniert wie "Der Circle" von Dave Eggers, diese negative Internet-Utopie aus der Gegenwart. Es ist allerdings lustiger und raffinierter.

"Unser Verhältnis zum Internet ist irrational und diffus", sagt Kalbitzer. "Menschen fühlen sich schneller vom Internet gestresst, wenn sie gerade schwierige Zeiten durchmachen." Dann strengt sie vor allem die zunehmende Vermengung von Job und Privatleben an. Jeder muss dann seinen individuellen Weg finden, die Grenze zu ziehen. Dabei wirkten das Nachdenken und die Diskussion über den Umgang mit der neuen Technik wie das Orakel von Delphi: Erkenne dich selbst. Aber auch hier sei Vorsicht geboten. "Wir stellen der Digitalisierung gern eine ideale Lebenswelt gegenüber: Statt auf dem Handy zu tippen, könnte man im Wald spazierengehen. Statt Mails zu beantworten, könnte man mit der Familie zusammen sein. Dabei haben wir in solch einer Welt nie gelebt." Ablenkungen gab es immer.

Jederzeit Gewalt und Sex

Wie bei jeder Sache, die mit ständiger Verfügbarkeit verführe, müsse sich jeder selbst erziehen. "Das ist mit dem Umgang mit Zucker zu vergleichen. Manchmal sagt man besser Nein, um die Kontrolle über sein Leben nicht zu verlieren." Und eben das sei die Herausforderung: die ständige Verfügbarkeit zu filtern. "Den ,Tatort' kann man in der Mediathek aus Jugendschutzgründen erst nach 20 Uhr abrufen. Gewaltdarstellungen und Pornografie sind aber zu jeder Zeit abrufbar." Hier könne das Internet tatsächlich einiges kaputt machen, indem es Bilder der Sexualität liefere, bevor die ersten Erfahrungen gemacht wurden. "Eine Gatekeeping-Funktion wäre sinnvoll", sagt Kalbitzer. "Es muss nicht alles für alle verfügbar sein." Zu manchen Inhalten solle man den Zugang erschweren.

Kinder ohne Tablet oder Smartphone aufwachsen zu lassen, sei indes der falsche Schluss: "Diese Kinder werden später Probleme bekommen." Lieber sollten Eltern ihre Kinder so lange wie möglich im Internet begleiten. Ein Beispiel: Fotos von sich selbst machten Kinder ohnehin, meint Kalbitzer. Verbote brächten da nichts, man müsse pragmatisch vorgehen. Bei Pro Familia etwa gibt es deshalb Seminare, in denen man lernt, sich vor Mobbing im Internet zu schützen: Heikle Fotos von sich selbst möge man bitte nicht posten, heißt es da, sondern lieber auf dem Smartphone behalten und anderen dort zeigen. Und am besten fotografiert man sich so, dass das Gesicht nicht zu sehen ist.

Mag bescheuert klingen. Hilft aber gegen das Stolpern im Netz.

(hols)
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