Solidaritäts-Lesung für Deniz Yücel Böhmermann singt mit Hunderten "Die Gedanken sind frei"

Frankfurt/Main · Schon seit Monaten sitzt der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel in der Türkei in Haft. Solidaritäts-Lesungen sollen die Erinnerung an sein Schicksal wach halten. Jan Böhmermann singt dabei "Die Gedanken sind frei".

 TV-Moderator Jan Böhmermann spricht in Frankfurt während der Matinee der Solidarität für den Journalisten Deniz Yücel.

TV-Moderator Jan Böhmermann spricht in Frankfurt während der Matinee der Solidarität für den Journalisten Deniz Yücel.

Foto: dpa, ade pil

Deniz Yücel sitzt am Sonntag zwar allein in seiner türkischen Zelle im Gefängnis Silivri bei Istanbul. Doch mehr als 2000 Kilometer entfernt hält er zugleich das voll besetzte Frankfurter Schauspielhaus in Bann: Mit seinen Berichten über das Leben in Istanbul oder polemisch-witzigen Essays über den deutschen Fußball oder die illusionslose "Kanak Sprak" junger Deutsch-Türken.

Zum Abschluss einer zweistündigen Matinee, bei der Autoren und Freunde aus den Werken Yücels lesen, wagt dann Jan Böhmermann sogar noch ein "Sozialexperiment": Der TV-Moderator singt vorne auf der Bühne das altdeutsche Volkslied "Die Gedanken sind frei". Es stammt vom Ende des 18. Jahrhunderts. Und siehe da: Ein erstaunlich großer Teil der rund 800 Besucher weiß in den Refrain einzustimmen.

Es ist der bewegendste Moment der Solidaritätslesung, mit der die Free-Deniz-Bewegung dafür sorgen will, dass das Schicksal Yücels drei Monate nach seiner Inhaftierung nicht in Vergessenheit gerät. Dem Korrespondenten der Berliner "Welt", der in Flörsheim bei Frankfurt aufgewachsen ist, wird in der Türkei Volksverhetzung sowie Terrorpropaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK vorgeworfen. Neben dem deutschen hat er auch noch einen türkischen Pass.

Böhmermann liest aus den Briefen Yücels aus der Haft, die die für ihn typische Unbeugsamkeit deutlich machen, aber auch seine Stimmungsschwankungen verraten. Böhmermann hat im vergangenen Jahr seine eigenen Erfahrungen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gemacht. Sein im Fernsehen vorgetragenes Schmähgedicht, für das Erdogan ihn vor deutschen Gerichten belangen wollte, führte sogar zu einer kleinen Krise zwischen Berlin und Ankara.

"Die Meinungsfreiheit ist unverhandelbar"

Am Sonntag hält sich Böhmermann mit politischen Statements auffällig zurück. Andere wie der Komiker Oliver Polak oder auch die TV-Moderatorin Bärbel Schäfer sind deutlicher. "Die Meinungsfreiheit ist unverhandelbar", sagt sie nach ihrer Lesung an die Adresse aller "Diktatoren und Despoten".

"Die Türkei ist auf dem Weg in einen totalitären Unrechtsstaat", stellt bei der Lesung der Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Alexander Skipis, fest. Er weist darauf hin, dass inzwischen mehr als 130 Journalisten und Autoren sowie Verleger inhaftiert seien. Wenn jetzt die Bundesregierung Erdogan angesichts der zunehmenden wirtschaftlichen Probleme in der Türkei zur Seite springen wolle, sei dies das völlig falsche Signal.

Unmut über Bundesregierung

Der Unmut über Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Bundesregierung, die offensichtlich bei ihren diplomatischen Bemühungen bisher nichts erreicht hat, wächst bei der Free-Deniz-Bewegung. Jetzt müsse auch über wirtschaftliche Sanktionen nachgedacht werden, fordert die Journalistin Doris Akrap, mit der Yücel früher bei der Berliner "taz" gearbeitet hat. "Es ist der einzige Druck, den Erdogan auch versteht", sagt die Mitorganisatorin der Lesung im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Yücels Familie hofft immer noch, dass derzeit hinter den Kulissen etwas passiert, um ihn bald aus der Haft rauszuholen. "Aktionen wie die Matinee machen uns Angehörigen Mut", sagt seine in Flörsheim lebende Schwester Ilkay, die ebenfalls einen Text ihres Bruders vorgelesen hat.

Die Free-Deniz-Kampagne setzt ihre Lesungen am kommenden Dienstag (23. Mai) in den Kammerspielen in München fort. Anfang Juli ist dann Köln dran. Auch Flörsheim will mit den monatlichen Mahnwachen für Yücel solange weitermachen, bis dieser freikommt. "Er hat nur seine Arbeit als Journalist getan", sagt Bürgermeister Michael Antenbrink (SPD) am Sonntag.

(felt/dpa)
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