Nachterstedt in Sachsen-Anhalt Staatsanwaltschaft ermittelt nach Erdrutsch-Drama

Nachterstedt (RPO). Nach dem verheerenden Erdrutsch in einem früheren Braunkohleabbau-Gebiet in Nachterstedt in Sachsen-Anhalt hat die Staatsanwaltschaft Magdeburg nun Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet. Die Suche nach den Vermissten kann weiterhin nicht wieder aufgenommen werden, weil jederzeit weitere Massen abrutschen könnten.

Häuser rutschen in Erdkrater
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Einen Tag nach dem Erdrutsch in einem früheren Braunkohleabbau-Gebiet in Nachterstedt in Sachsen-Anhalt haben die Rettungskräfte die Suche nach den Vermissten noch nicht aufnehmen können. Das teilte ein Sprecher des Salzlandkreises am Sonntag mit. Zwar kam es nicht zu weiteren Erdbewegungen, aber die Experten warnten, dass jederzeit weitere Massen abrutschen könnten.

Die Staatsanwaltschaft Magdeburg leitete ein Ermittlungsverfahren wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Tötung ein. Wer für den Erdrutsch zur Verantwortung gezogen werden kann, steht noch nicht fest.

Bei dem Höhenunterschied von 140 Metern zwischen dem ehemaligen Standort der Häuser und dem See gilt es als unwahrscheinlich, dass die Bewohner das Unglück überlebt haben könnten. Rund 40 weitere Bewohner von Nachterstedt können bis auf weiters nicht in ihre Häuser zurückkehren.

Suche mit Wärmebildkamera

Mindestens drei Bewohner eines völlig verschwundenen Doppelhauses werden vermisst. Möglicherweise befindet sich auch ein 22-jähriger Sohn des verschütteten Ehepaars darin. Er wollte am Freitag zu seinen Eltern reisen, die Polizei schließt aber nicht aus, dass er einen Abstecher auf dem Weg nach Hause machte. Über den Verbleib seines Bruders ist der Polizei bisher auch nichts bekannt, wie Polizeisprecherin Bettina Moosbauer sagte. Die Ermittler gehen aber nicht davon aus, dass er zur Unglückszeit im Elternhaus war.

Die Einsatzleitung kam am Sonntagmorgen zusammen, um mögliche Maßnahmen zur Suche nach Menschen und zur Sicherung zu erörtern. Der Einsatz einer Wärmebildkamera hatte keinerlei Hinweise auf Menschen unter den Schlammmassen am Rand des Concordiasees ergeben. Die Stelle, wo sich die abgerutschten Häuser befinden, ist noch nicht einmal lokalisierbar, wie der Sprecher des Salzlandkreises, Timmi Mansfeld, sagte.

Im Nachthemd evakuiert

Die Unglücksstelle hat einen Durchmesser von rund 500 Meter. Mit den Häusern verschwanden eine Straße, ein Aussichtspunkt, der einen herrlichen Blick auf das entstehende Nacherholungsgebiet bot, eine alte Lok und Baggerschaufeln aus jenen Zeiten, als bei Nachterstedt noch Braunkohle abgebaut wurde. "Auch unsere neue, 500.000 Euro teure Slipanlage, die für Reparaturarbeiten am Ausflugsschiff 'Seelandperle' gerade für 500.000 Euro errichtet wurde, gibt es nicht mehr", so Bürgermeister Siegfried Hampe.

Hampe war am Morgen gleich nach dem Sirenengeheul der Feuerwehr vor Ort, fand dort total verstörte und weinende Bewohner der Nachbarhäuser vor, die in Nachthemd und Schlafanzug auf die Straße gestützt waren. Sie wurden zunächst in der Turnhalle des Ortes, später in Ferienwohnungen untergebracht, eine alte Dame kam mit einem Kreislaufkollaps ins Krankenhaus.

Bei der Pressekonferenz am Samstagnachmittag klagte ein Betroffener: "Wir haben nur noch das, was wir am Leibe tragen." Eine Frau sorgte sich um ihre Katze, die sich noch im Haus im gesperrten Gebiet befinde. Der Bürgermeister verteilte Gutscheine unter den rund 40 Evakuierten, die bei Verwandten und in Ferienwohnungen untergebracht wurden.

Anwohner fassungslos

Fassungslosigkeit kennzeichnet die Stimmung unter den Nachterstedtern an diesem Tag. "Keine Ahnung, wie das passieren konnte", so der Bürgermeister. Wir dachten, wir sind sicher hier."

Fast bis an den Ort heran wurde bis 1990 Braunkohle abgebaut. Seit 1998 wird das Tagebauloch für die touristische Nutzung geflutet. Auf der gegenüberliegenden Seite in Schadeneben wird schon seit etlichen Sommern gebadet. Rund 20 Meter sollte das Wasser in den nächsten Jahren noch steigen, die bisher 400 Hektar große Seefläche auf 650 Hektar anwachsen, wie die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mitteilte.

Vorerst hat die Polizei alle Zugänge zum Ufer abgesperrt. "Es wäre viel zu gefährlich, sich sowohl von Land als auch vom Wasser der Unglücksstelle zu nähern", sagt Ursula Rothe, die Sprecherin des Salzlandkreises. Erst wenn die Experten des Bergamtes bestätigten, dass keine weiteren Erdrutsche zu erwarten sind, könne man überhaupt mit der Sicherung des Hangs beginnen und versuchen, zu den Vermissten vorzudringen.

Dass die heftigen Regenfälle die Ursache der dramatischen Ereignisse gewesen sein können, glaubt hier keiner so recht. "Geregnet hat es doch früher auch", sagen die Leute und vermuten, dass vielleicht nicht alle Entwässerungsgräben und Hohlräume aus Bergbauzeiten ordentlich verfüllt worden sind. "Ich denke, der See hat das Land da vorn unterspült", sagt eine Frau, die ihr eigenes Haus, nur wenige Meter von der Unglücksstelle entfernt, eigentlich verkaufen wollte. "Das kann ich jetzt wohl vergessen."

Für die Suche nach der Einsturzursache und Sicherung des Gebiets ist vor allem das Landesamt für Geologie und Bergwesen zuständig, das dem Ministerium für Wirtschaft und Arbeit untersteht.

(AP)
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