Ein Appell zur Mäßigung im Internet Empört Euch NICHT!

Meinung | Düsseldorf · Til Schweiger empört sich, du empörst dich, ich empöre mich, wir empören uns. Könnten wir vielleicht alle einmal tief Luft holen? Ein Appell zur radikalen Mäßigung.

Til Schweiger: Mit diesen Sätzen sorgt er für Furore
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Foto: Screenshot ARD

Felix Baumgartner stürzt sich nicht nur gerne vom Himmel, sondern auch selbst vom Sockel. Vor einigen Tagen veröffentlichte die Energiebrause-Werbefigur ein Foto bei Facebook, in dem er seine Freundin als Tisch nutzt. Die Freundin steht vornübergebeugt an einem Scheunentor. Auf ihrem Rücken liegt ein Teller mit Brot und einem Maiskolben. Baumgartner steht neben ihr und nimmt sich gerade Messer und Gabel, die neben dem Teller liegen. Unter das Bild hat er geschrieben: "That's why I love my girlfriend. She is always there for me."

Ich hätte mich empören können. Nicht nur über das Bild, das so einfach aus dem Kontext gerissen werden kann, dass es okay scheint, Frauen zu erniedrigen. Sondern auch über die Kommentare. Viele freuten sich sehr, dass der Tanga der Dame zu sehen war.

Facebook bot mir in den vergangenen Tagen weitere Möglichkeiten, mich zu empören.

TV Movie meldete, dass einer der folgenden TV-Moderatoren sich wegen einer Krebserkrankung zurückziehen muss. Darunter waren vier Fotos zu sehen: von Stefan Raab, Günther Jauch, Joko Winterscheidt und dem tatsächlich an Krebs erkrankten Roger Willemsen. Wer die Auflösung erfahren wollte, musste auf den Link klicken.

Til Schweiger machte gleich mehrere Angebote, sich zu empören. Erst beschimpfte er bei Facebook alle, die sich über sein Bild mit Sigmar Gabriel lustig gemacht hatten. Dann ließ er bei Sandra Maischberger den CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer wissen, dass dieser ihm auf den Sack gehe. Dann forderte er auch noch, die durchs Grundgesetz garantierte Demonstrationsfreiheit einzuschränken und spielte die Anti-Amerikanismus-Karte.

Ich hätte mich empören können. Ich ließ es. Was soll das bringen?

In Zeiten, in denen unabhängig von der Relevanz des Themas alles zum Shitstorm werden kann, ist die Empörung die übliche Form der Äußerung. Ich empöre mich, du empörst dich, er, sie es empören sich. Wir empören uns. Hey, da ist was, das uns nicht gefällt — da müssen wir alle mal losempören.

Sich zu empören, ist ein menschliches Bedürfnis. Ich kritisiere Til Schweiger nicht für den Drang, sich zu empören, sondern dafür, ihm nachgegeben zu haben. Wer sich empören will, der hat das Gefühl, ihm fällt plötzlich ein mit Kartoffeln gefüllter Sack in die Arme, und den will er ganz schnell wieder loswerden. Empörung heißt, den schnellsten und einfachsten Weg zu wählen. Ganz simpel sagen, was einem gerade durch den Kopf geht, ohne Punkt, Komma und andere Beschränkungen der deutschen Rechtschreibung — fertig. Das macht Empörung so attraktiv.

Das Problem ist nur: Empörung bringt fast nie etwas. Bloß demjenigen, der sie äußert. Empörung ist die egoistischste Form der Äußerung. Wer sich empört, hat danach das Gefühl, erleichtert zu sein. Bis die Empörung zurückkommt und er sich darüber wieder empören kann. So geht das hin und her. Empören sich zwei gegeneinander, dann ist das, als würden zwei Tennisspieler keinen Punkt mehr machen, sondern bloß noch den Gegner treffen wollen. Dass Empörung überzeugt, ist eher selten der Fall. Empörung macht entweder Angst oder aggressiv. So kommen wir nicht weiter.

Im Gegenteil. Im schlimmsten Fall schadet Empörung dem eigenen Anliegen, auch den guten. In der Sache hat Til Schweiger zwar meistens Recht gehabt in den vergangenen Wochen, aber wie schnell gerät das in den Hintergrund, wenn er Ausrufezeichen spuckt? Auch die Gewissheit, auf der richtigen Seite zu stehen, berechtigt einen nicht, mit Dreck zu werfen.

Die Frage ist bloß: Wie bekommen wir die Empörung aus dem Internet, also aus Facebook? Jeder Kommentar, der im Internet nicht gemacht wird, ist aktuell besser als jeder Kommentar, der gemacht wird. Daran hält man sich aber bloß, wenn einen das Thema nicht interessiert. Sobald die Wut da ist, geht die Hand zum Smartphone.

Deshalb hilft nur die radikalste aller Positionen: Mäßigung. Mäßigung nicht in der Sache, sondern im Ton. Das heißt nicht zu schweigen, sondern so zu kritisieren, dass die Argumente nicht untergehen. Natürlich läuft man mit Mäßigung Gefahr, überhört zu werden, dafür trägt man aber auch nicht zur Empörungs-Explosion bei. Und eventuell passiert das Unglaubliche: Jemand lässt sich überzeugen.

Vielleicht ist der Schritt von Empörung zu Mäßigung aber gar nicht so weit. Vielleicht ist es nur eine Sache von 60 Sekunden. Wenn Facebook nur dann einen Kommentar zulässt, falls der Autor vorher nachweislich mindestens eine Minute sein Smartphone losgelassen hat. Oder besser noch: 1000 Schritte gegangen ist. Denn das ist das Gute an der Empörung: Sie ist so flüchtig wie der Ruhm eines Felix Baumgartner.

(seda)
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