Urteil in Verden Mann und Tochter lassen 49-Jährige verdursten und verhungern

Verden · Eine 49-Jährige ist vor den Augen ihrer Angehörigen verdurstet und verhungert. Der 50 Jahre alte Ehemann ist deshalb zu sieben Jahren Haft verurteilt worden, die 18 Jahre alte Tochter zu einer Jugendstrafe von drei Jahren.

 Die Angeklagte (l-r), ihr Anwalt Jochen Zersin und der Angeklagte stehen am 25.Januar 2016 im Landgericht in Verden.

Die Angeklagte (l-r), ihr Anwalt Jochen Zersin und der Angeklagte stehen am 25.Januar 2016 im Landgericht in Verden.

Foto: dpa, crj fpt

Das Landgericht Verden erklärte die beiden am Montag wegen Totschlags durch Unterlassen für schuldig. Vor Gericht zeigten Verurteilten wenig Reue.

Als die 49-Jährige stirbt, besteht sie nur noch aus Haut und Knochen. Sie ist überall wund gelegen, Gewebe und Knochen haben sich stellenweise schon zersetzt. Ein entsetzlicher Tod, der so einfach hätte verhindert werden können. "Ein einziger Anruf hätte gereicht", sagt der Vorsitzende Richter Joachim Grebe. Doch der Mann und die Tochter schauen wochenlang tatenlos zu, wie die 49-Jährige immer stärker verfällt. Hilfe rufen sie erst, als sie tot ist.

Totschlag durch Unterlassen urteilt das Landgericht in Verden am Montag. Der 50-Jährige wird zu sieben Jahren Haft verurteilt, die 18-Jährige zu einer dreijährigen Jugendstrafe. Mehr als zwei Stunden nimmt sich Grebe für die Urteilsbegründung. Ausführlich schildert er den furchtbaren Anblick, der sich Rettungssanitätern und Polizisten im März 2015 in der Wohnung der Familie in Thedinghausen bietet. Im Prozess werden diese später erzählen, wie teilnahmslos der 50-Jährige und seine Tochter an dem Abend wirken. Keine Spur von Betroffenheit oder Trauer, eher eine Art Erleichterung.

Auch den Worten von Grebe folgt der 50-Jährige ungerührt. Hin und wieder schüttelt er den Kopf, zieht die Augenbrauen skeptisch in die Höhe und flüstert seinem Verteidiger etwas zu. Seine Tochter weint, als der Richter von ihrer traurigen Kindheit und dem zerrütteten Familienleben berichtet. Sie habe jahrelang unter der Alkoholsucht der Mutter gelitten und sich für diese geschämt, sagt Grebe. Die Frau baut mit der Zeit immer mehr ab, lehnt aber eine Therapie vehement ab. Die Wohnung vermüllt und verdreckt. Die Leute in dem kleinen Ort meiden die Familie.

Zur Tragödie kommt es schließlich, als sich die 49-Jährige im vergangenen Januar den Oberschenkel bricht - wahrscheinlich bei einem Sturz in der Wohnung. Hilflos liegt sie auf dem Sofa, vegetiert über Wochen vor dem Fernseher vor sich hin. Ihr Mann und ihre Tochter seien die einzigen gewesen, die sie hätten retten können, sagt Grebe.
"Was beiden Angeklagten zweifelsfrei bewusst war." Wieso unternehmen sie nichts?

Hilflosigkeit, Überforderung und psychische Erkrankungen sind nach Angaben des Polizeipsychologen Adolf Gallwitz oft der Grund, wieso Menschen ihre kleinen Kinder oder pflegebedürftigen Angehörigen vernachlässigen. In manchen Fällen würden sie Schäden aber auch billigend in Kauf nehmen, sagt der Professor für Psychologie an der Polizeihochschule Baden-Württemberg. Dies sei aber oft schwer nachzuweisen, weil sich die Menschen durch Nichtstun schuldig machten und nicht durch aktive Handlungen.

Im Fall der 49-Jährigen haben die Verdener Richter keine Zweifel: Dass die Frau ohne Hilfe sterbe werde, sei ihrem Mann und ihrer Tochter spätestens zwei Wochen vor dem Tod klar gewesen, sagt Grebe. "Es wurde nichts verdrängt. Sie haben selbst zugegeben, was sie gesehen haben." Wegen der familiären Nähe seien die beiden verpflichtet gewesen, etwas zu unternehmen. Die Verteidigung sieht das anders. Sie will nun Revision beim Bundesgerichtshof einlegen.

(felt/dpa)
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