Sorge um V-Leute Verfassungsschützer befürchten weitere Enttarnungen

Berlin · Verfassungsschützer sind in heller Aufregung. Sie haben Sorge, dass ihre V-Leute der Reihe nach auffliegen und dadurch als Quellen verloren gehen. Bei der Aufarbeitung der Mordserie, die der rechtsextremen Terrorgruppe NSU zur Last gelegt wird, ist das bereits mehrfach passiert.

 Der thüringische Verfassungsschutz muss sich schwerer Kritik stellen.

Der thüringische Verfassungsschutz muss sich schwerer Kritik stellen.

Foto: dpa, Martin Schutt

Trotz aller Kritik will Thüringen dem zuständigen Untersuchungsausschuss im Bundestag weiter kistenweise ungeschwärzte Akten liefern. Darin sind auch Klarnamen von V-Mann-Führern zu lesen. In Verfassungsschutzkreisen wird das mit allergrößtem Argwohn beäugt. Vage ist von möglichen Schadensersatzforderungen gegen Thüringen die Rede.

Vor Wochen geisterte der Fall "Corelli" durch die deutschen Medien. Der Mann mit diesem Decknamen - ein bekannter Neonazi aus Sachsen-Anhalt und mutmaßlicher NSU-Unterstützer - soll von 1997 bis 2007 als V-Mann für die Verfassungsschützer im Bund aktiv gewesen sein. So stand es überall zu lesen.

"Die Enttarnung von "Corelli" ist für uns ein riesengroßer Schaden", heißt es aus Verfassungsschutzkreisen. Auch mehrere andere V-Leute seien bei der Aufklärung der Neonazi-Morde aufgeflogen - oder hätten "abgeschaltet" werden müssen.

Große Verunsicherung

Die Verunsicherung unter potenziellen Informanten aus der Szene sei nun groß. Niemand traue mehr Bekundungen der Verfassungsschützer, dass die Identität von V-Leuten ein sicher gehütetes Geheimnis bleibt. Versuche, neue Quellen im rechten Milieu zu gewinnen, liefen derzeit ins Leere. "Im Moment haben wir 100 Prozent Absagen", heißt es. Dabei seien für die Geheimdienstarbeit Informanten dringend nötig. "Wenn uns diese menschlichen Quellen wegbrechen, dann fehlen uns einfach Informationen. Dann können wir nur noch im Dunkeln tappen."

Im Fall des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) gerieten immer wieder geheime Dokumente an die Öffentlichkeit, beklagen die Kreise. Das sei ein unhaltbarer Zustand - ja, ein Skandal gar.

Schwere Kritik an Thüringen

Die Transparenzoffensive aus Thüringen, dessen Verfassungsschutz im Zuge der jüngeren NSU-Ermittlungen erheblich in die Kritik geraten war, alarmiert die Verfassungsschützer besonders. Die Landesregierung in Erfurt habe sich mit dem Schritt über Regeln hinweggesetzt und andere damit überrumpelt. In den Unterlagen aus Erfurt sind auch Erkenntnisse aus anderen Verfassungsschutzämtern enthalten. Thüringen habe die Urheber dieser Informationen vor der Weitergabe nicht um Erlaubnis gefragt, sondern alles ausgeliefert, lautet die Kritik aus den Sicherheitskreisen. Einzelne spotten bereits über den dortigen Verfassungsschutz, er sei kein Nachrichtendienst mehr, sondern eine Nachrichtenagentur.

Auch im NSU-Ausschuss des Bundestages selbst hält sich die Begeisterung über die Thüringer Aktenoffensive mittlerweile in Grenzen. Nach dem Mauern anderer Behörden freuen sich die Abgeordneten zwar über die großzügige Informationslieferung.
"Offenbar hat das aber dazu geführt, dass man jetzt einfach den Keller leer geräumt hat in Erfurt und uns 1500 Aktenordner schickt", sagte der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) am Mittwoch im Deutschlandradio Kultur. Es könne nicht sein, dass das Land alles ohne Vorsortierung an den Ausschuss schicke. Das Gremium könne eine solche Aktenmenge nicht allein bewältigen.

Thüringen will das nicht auf sich sitzen lassen. Bei einer Vorauswahl der Unterlagen hätte es sicher Einwände gegeben, dass das Land die falschen Informationen liefert, entgegnete ein Sprecher des Innenministeriums in Erfurt. Auch den Aufschrei der Verfassungsschützer versteht die Thüringer Landesregierung nicht. Die Sicherheitsstufe für die Unterlagen sei durch die Lieferung an den Untersuchungsausschuss nicht herabgesetzt worden, betonte der Sprecher. Außerdem sei keinerlei Information über einzelne V-Leute direkt an das Gremium gegangen.

In den Verfassungsschutzkreisen ist die Sorge über mögliche weitere Enttarnungen trotzdem groß. Jeder einzelne Fall sei für die Sicherheitsbehörden ein Desaster, wird gemahnt. Leib und Leben der Betroffenen könnten in Gefahr geraten.

Bei einem prominenten Beispiel aus Thüringen lief es anders: Der ehemalige NPD-Landeschef Tino Brandt war jahrelang als V-Mann für den Thüringer Verfassungsschutz im Einsatz. Nach seiner Enttarnung 2001 lebte er völlig unbehelligt weiter in seiner gewohnten Umgebung. Der Verfassungsschutz hatte ihn wegen Sicherheitsvorkehrungen für seine Person angesprochen, Brandt wollte dem Vernehmen nach aber keinen besonderen Schutz.

(dpa)
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