Trendwende Geburtenzahl steigt in Großstädten

Berlin · Wenn es den Menschen wirtschaftlich gut geht, werden mehr Kinder geboren - so lautet eine gängige Regel. Für die deutsche Trendwende hin zu mehr Geburten gibt es noch eine Erklärung: politischen Reformwillen.

 Frauen in Deutschland bekommen wieder mehr Kinder.

Frauen in Deutschland bekommen wieder mehr Kinder.

Foto: dpa, wgr; cse dna

In Deutschland gibt es wieder mehr Babys - vor allem im Osten und in den Großstädten kommen mehr Kinder zur Welt. Ende vergangenen Jahres meldete das Statistische Bundesamt, dass die Geburtenrate in Deutschland zum dritten Mal in Folge gestiegen ist. Sie liegt für das Geburtsjahr 2014 bei 1,47 Kindern pro Frau. Das ist aber noch weit von der Größenordnung entfernt, die man benötigt, damit ein Volk seine Größe erhält. Dafür braucht man eine Rate von 2,1 Kindern pro Frau.

Deutschland gehört auch weiterhin mit Italien und Polen zu den Ländern mit den niedrigsten Geburtenraten in Europa. Dennoch kann man von einer Trendwende sprechen. Traditionell werden in wirtschaftlich guten Zeiten mehr Kinder geboren als in Rezessionsphasen. Dennoch schreibt Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, der Familienpolitik den Erfolg zu. "Der Anstieg der Geburtenrate ist sicher auch ein Ergebnis familienpolitischer Reformen. Hier ist neben dem Elterngeld vor allem der Ausbau einer verlässlichen Betreuungsinfrastruktur bereits für unter Dreijährige zu nennen", sagte Hüther unserer Redaktion. "Gute Konjunktur und stabile Beschäftigung mögen helfen, die Geburtenrate zu steigern, sind aber meines Erachtens nicht ausschlaggebend", betonte Hüther.

Die erste große Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel hatte mit Ursula von der Leyen (CDU) als Familienministerin zwischen 2005 und 2009 die Familienpolitik in Deutschland völlig umgekrempelt. In dieser Zeit wurde der Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige beschlossen und begonnen. 2007 führte die CDU das Elterngeld ein, das seitdem als Lohnersatzleistung bis zu 14 Monate nach der Geburt eines Kindes gezahlt wird.

Insbesondere für Akademikerinnen, bei denen Kinderlosigkeit im Vergleich zu anderen Frauen besonders häufig verbreitet war, sanken damit Opportunitätskosten, die ein Kind mit sich brachte. Mit der Option, einen Teil ihres Gehalts weiter beziehen zu können und wegen der Betreuungsmöglichkeiten nach einem Jahr wieder in den Job einzusteigen, entschlossen sich seitdem mehr Frauen mit höchstem Bildungsstand zur Mutterschaft. Eine leichte Trendumkehr bei Akademikerinnen wurde bereits 2012 gemeldet.

In den vergangenen drei Jahren hat vor allem der Osten wieder aufgeholt. Dort lag die Geburtenrate bis zum Mauerfall traditionell hoch, da die DDR systematisch Geburtenpolitik betrieb - zum Beispiel bei der Vergabe von Wohnungen. Die Bundesländer mit den höchsten Geburtenraten sind aktuell Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Insgesamt liegt die Rate im Osten bei 1,54 Kindern pro Frau.

Zugleich verzeichnen viele Großstädte ordentlich Zuwachs. Köln meldete in dieser Woche, es gebe in der Rheinmetropole so viele Babys wie seit 1975 nicht mehr. Dresden nennt sich Geburtenhauptstadt Deutschlands, und auch Düsseldorf verzeichnet seit 2011 einen kontinuierlichen Anstieg der Entbindungen.

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Allerdings leben nicht alle Mütter und Väter der Babys auch in den Großstädten. Vielfach fahren die Eltern auch nur für die Entbindung in die nächstgelegene Großstadt, weil sie sich beispielsweise von einer Uni-Klinik eine bessere Betreuung rund um die Geburt erhoffen, als dies kleine Kliniken auf dem Land leisten können. In vielen großen Städten werben die Kliniken sogar gezielt um werdende Eltern mit alternativen Gebärmöglichkeiten und einer zugleich hohen medizinischen Versorgung.

Familienministerin Manuela Schwesig (SPD), die den positiven Trend von ihren Vorgängerinnen geerbt hat, bezeichnet die gestiegene Geburtenrate als "Ansporn, mit meiner Familienpolitik die Familien noch stärker zu unterstützen. Zum Beispiel bei der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie."

Nach einer wissenschaftlichen Bewertung aller familienpolitischen Leistungen, die das Bundesfamilienministerium 2014 veröffentlichte, hat der Ausbau der Kinderbetreuung einen direkten Einfluss auf die Entscheidung der Paare, Kinder zu bekommen. Der Ökonom Hüther macht zudem eine Veränderung der gesellschaftlichen Einstellungen aus: "Die deutsche Gesellschaft hat sich vom Bild der Rabenmutter verabschiedet. Die frühkindliche Betreuung ist auf dem Weg zum Normalfall."

Der Deutsche Familienverband sieht die Dinge etwas anders. Präsident Klaus Zeh führt den leichten Anstieg bei den Geburten auf in vorhergehenden Jahren aufgeschobene Kinderwünsche zurück: "In der Familienpolitik hat sich zwar einiges getan, das reicht aber bei Weitem noch nicht." Die Familienlobbyisten fordern mehr finanzielle Sicherheit und Zeit für Eltern. Eine Entlastung für Mütter und Väter muss es aus ihrer Sicht beispielsweise bei den Sozialversicherungsbeiträgen geben.

Das gestiegene Alter der Mütter spricht durchaus dafür, dass in früheren Jahren Kinderwünsche nicht verwirklicht wurden. So nahm die Geburtenhäufigkeit besonders bei den Frauen der Jahrgänge 1976 bis 1985 zu, also bei jenen Frauen, die 2014 zwischen 29 und 38 Jahre alt waren. Diese Zahlen widersprechen aber nicht der These, dass die Familienpolitik der vergangenen Jahre mit dafür sorgte, Kinderwünsche zu realisieren.

Wären die Bedingungen für Eltern heute noch so wie um die Jahrtausendwende, dann würden möglicherweise die etwas älteren Frauen auch heute noch keine Kinder bekommen. Zudem hat sich die Geburtenhäufigkeit der jüngeren Frauen bis zum Alter von 25 Jahren stabilisiert. Ihr erstes Kind bekommt eine Frau heute im Durchschnitt kurz vor ihrem 30. Geburtstag mit 29,5 Jahren. Beim zweiten Kind waren Mütter rund 32 Jahre alt. Das durchschnittliche Alter der Mütter beim dritten Kind beträgt gut 33 Jahre.

(jd, mar, qua)
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