Zahl der Strafgefangenen sinkt Warum sich die Gefängnisse leeren

Düsseldorf · Die Zahl der Strafgefangenen sinkt, die Bevölkerung in Deutschland wird immer älter. Der Kriminologe Christian Pfeiffer sieht einen Zusammenhang zwischen beiden Phänomenen. Auch weltweit nimmt die Kriminalität ab.

Nach Jahren der Überbelegung haben Häftlinge in deutschen Justizvollzugsanstalten wieder mehr Platz. Die Zahl der Strafgefangenen ist in den vergangenen Jahren nach Angaben des Bundesamts für Statistik kontinuierlich zurückgegangen.

Insgesamt 57.600 Häftlinge verbüßten zum Stichtag 31. März 2012 eine Freiheits- beziehungsweise Jugendstrafe. 2007 waren es noch über 64 000. Der Kriminologe Christian Pfeiffer aus Hannover glaubt, die Ursachen für den Rückgang zu kennen. Hauptgrund sei die Überalterung der Bevölkerung.

Pfeiffers Institut untersucht seit Jahren die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Kriminalitätsentwicklung. Ein Zwischenbericht mit Ergebnissen des ersten Projektteils wurde jetzt veröffentlicht. Darin gehen die Verfasser davon aus, dass sich die Altersstruktur in der Bevölkerung bis zum Jahr 2030 massiv verändern wird: "Die Zahl der Personen im Alter von 60 und mehr Jahren wird bis zum Jahr 2030 von rund 21 Millionen auf über 28 Millionen steigen, wobei die Gesamtbevölkerung in Deutschland von 82 Millionen auf unter 78 Millionen sinken wird", heißt es in der Studie.

Das Leben in den Gefängnissen wird sich verändern

Zurzeit sind fast 22.000 der über 57.000 Häftlinge unter 30 Jahre alt; etwa 2000 sind 60 Jahre und älter. Durch die alternde Bevölkerung wird sich auch die Altersstruktur in deutschen Gefängnissen und damit auch das Leben in den Haftanstalten verändern. "Der Altersdurchschnitt der Gefangenen steigt, was den Strafvollzug nicht unbedingt gewalttätiger werden lässt. Ältere Menschen haben weniger aggressive Dynamik und sind leichter zu handhaben", sagt Pfeiffer.

Der Kriminologe rechnet damit, dass mit dem Ende der Überbelegung auch die Gewalt in den Gefängnissen nachlassen wird. "Ältere Menschen sind harmloser", sagt er. Einen lascheren Umgang der Justiz mit Straftätern schloss Pfeiffer als Grund aus. "Die Justiz wird nicht milder. Aber die Kriminalität nimmt gerade in den Bereichen ab, die strafvollzugsrelevant sind." Gemeint sind zum Beispiel Tötungsdelikte, die seit dem Jahr 2000 rückläufig sind (30 Prozent weniger). Auch die Jugendkriminalität geht — entgegen der öffentlichen Wahrnehmung — bereits seit 2007 kontinuierlich zurück (22 Prozent weniger).

Das bestätigt auch das Justizministerium NRW. Weniger Kriminalität führt zu weniger Verurteilungen, und das sorgt auch in NRW für weniger Gefangene. "Im Jahr 2012 hatten wir insgesamt 40 000 Strafgefangene in unseren Justizvollzugsanstalten", sagt ein Sprecher. 2011 waren es noch rund 48 000 gewesen.

Der demografische Wandel spiele beim Rückgang auch eine Rolle. "Rund 500 unserer 16 000 Insassen, die an einem durchschnittlichen Tag in der JVA einsitzen, sind über 65 Jahre alt. Das ist schon ein beachtlicher Teil", sagt er. Allerdings liege das nicht nur an den älteren Gefangenen. "Die Jugend von heute ist ganz anders als ihr Ruf. Sie wird wesentlich seltener straffällig als die Jugend von vor 20 Jahren." Es gebe aber eine, wenn auch kleine, Gruppe von Intensivtätern, die regelmäßig in der JVA übernachteten. Das habe es in der Form früher nicht gegeben.

In anderen Teilen der Welt zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab. In den USA geht die Kriminalität seit 1991 stetig zurück. 1990 wurden in New York noch knapp 150 000 Autos pro Jahr gestohlen. Im vergangenen Jahr waren es 10 000. In Großbritannien ist die Zahl der bewaffneten Raubüberfälle in den vergangenen 20 Jahren deutlich gesunken — von 500 auf 69. Doch anders als in Deutschland führt weniger Kriminalität in anderen Ländern nicht zwingend zu leereren Haftanstalten. Die Gefängnispopulation bei den Briten hat sich zwischen 1993 und 2012 verdoppelt; auch in Amerika und Australien sitzen fast doppelt so viele Menschen hinter Gittern wie noch vor 20 Jahren.

Die Ursachen werden auch international diskutiert. Die Konservativen prophezeien, der Niedergang des traditionellen Familienbildes und die starke ethnische Vielfalt in manchen Ländern würden für einen Zuwachs an Kriminalität sorgen. Linksgerichtete glauben, dass es ohne völlige soziale Gleichheit niemals ein friedliches Miteinander geben wird. Und die Hardliner sind der Ansicht, dass nur harte und lange Strafen die Übeltäter wieder auf Kurs bringen können.

Warum geht die Kriminalität zurück?

Internationale Kriminologen halten solche schnellen Erklärungen für Unsinn. Der Rückgang der Kriminalität lasse sich nicht auf einen Faktor reduzieren. Maßnahmen der Politik haben in einigen Ländern Wirkung gezeigt.

Im niederländischen Venlo etwa will Bürgermeister Antoin Scholten einen harten Kurs gegen Drogendealer fahren und das Bild seiner Stadt als Drogenparadies nachhaltig tilgen. Seit einem Jahr dürfen die geduldeten drei Koffieshops im Stadtgebiet Haschisch oder Marihuana nur an Kunden mit Wohnsitz in den Niederlanden ausgeben, die einen Klubausweis besitzen. Den Drogentourismus aus Deutschland hat das bereits merklich eingedämmt.

In Rotterdam wiederum gibt es mittlerweile staatlich unterstütze Heime für ältere Heroinabhängige. Das wiederum hält die Beschaffungskriminalität (dazu zählen: etwa Diebstahl, Hehlerei und Prostitution) in Grenzen.

Eine große Rolle spielen außerdem die heutzutage weit fortgeschrittenen Sicherheitsmaßnahmen. DNA-Abgleiche, Handyortung und Überwachungskameras erhöhen das Risiko für Straftäter, erwischt zu werden, sagt Lawrence Sherman, Kriminologe an der Universität Cambridge. Der Fortschritt der Technik führte außerdem dazu, dass Täter weniger Möglichkeiten zur Deliktsbegehung haben. Gebrauchsgegenstände, die vor ein paar Jahren noch als Luxusgut galten, sind heute wesentlich weniger wert — ein DVD-Player kostet im günstigsten Fall gerade einmal 20 Euro.

(RP)
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