Zwei Systeme im Vergleich Was kann die Waldorfschule wirklich?

Düsseldorf (RP). Heiner Barz, Bildungsforscher an der Düsseldorfer Heine-Universität, hat erste Ergebnisse einer Studie vorgelegt, zu der Waldorfschüler und Schüler von Regelschulen befragt wurden. Resultat: mehr Lernfreude bei den Waldorfschülern, mehr Erfolg beim "Lernen des Lernens" in der Regelschule.

Bilder aus der Welt der Waldorfschulen
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Der 150. Geburtstag des Philosophen, Pädagogen und Reformers Rudolf Steiner (1861—1925) hat kürzlich den Blick wieder verstärkt auf jene 222 privat geführten, gleichwohl staatlich geförderten Waldorfschulen in Deutschland gelenkt, deren Lehrer nach anderen Konzepten als die Kollegen in den Regelschulen unterrichten. Welche Schulform die bessere ist, das war lange Zeit eine Angelegenheit des Glaubens oder doch der begrenzten, indivuellen Erfahrung. Zu Steiners Geburtstag hat Prof. Heiner Barz, Bildungsforscher an der Universität Düsseldorf, jetzt erste Ergebnisse einer Studie vorgelegt, die sich mit der Unterrichtsqualität beider Systeme befasst. Zweiter Autor der Studie ist Prof. Dirk Randoll von der an Waldorf-Prinzipien orientierten Alanus-Hochschule in Alfter bei Bonn.

Das vorläufige Ergebnis der noch nicht ganz abgeschlossenen Studie lautet: "Größere Lernfreude, bessere Unterstützung durch die Lehrer, höheres Selbstbewusstsein, weniger Schulstress und geringere Gesundheitsprobleme wie Schlafstörungen oder Schulangst — das steht auf der Haben-Seite der Waldorfpädagogik beim Vergleich von Waldorf- und Regelschülern. Die Inanspruchnahme von Nachhilfe indessen bewegt sich auf ähnlichem Niveau wie an Regelschulen."

Gut in kultureller Bildung

Blättert man die Studie durch, gelangt man zu dem Schluss, dass die Waldorfschüler nur in einem wesentlichen Punkt schlechter abschneiden als die Staatsschüler: bei den Lerntechniken, die von der konventionellen Didaktik heute als wichtig erachtet werden. Beim "Lernen des Lernens" sind die Waldorfschüler den Regelschülern unterlegen. "In der Schule habe ich gelernt, Nachschlagewerke zu nutzen" — dieser Feststellung stimmen unter den Waldorfschülern nur 65 Prozent zu, unter den Regelschülern dagegen 81 Prozent.

Weit vorne dagegen stehen die Waldorfschüler der Studie zufolge bei der kulturellen Bildung. Sie beschreiben sich als sehr gut gefördert (87 Prozent) und sind in ihrer Freizeit künstlerisch deutlich aktiver als Regelschüler.

Die Quereinsteiger sind ein Sonderfall

Als problematisch haben sich in den Waldorfschulen die Quereinsteiger erwiesen. Von ihnen bekommen 31 Prozent Nachhilfe, während diejenigen, die ab Klasse eins die Waldorfschule besuchen, nur zu 20 Prozent zusätzliche Hilfe beanspruchen. Auch spielt die Vorbereitung auf staatliche Abschlussprüfungen, insbesondere das Abitur, eine Rolle: Waldorfschüler fühlen sich schlechter auf staatliche Abschlussprüfungen vorbereitet als Schüler an Regelschulen.

Der Anteil der Quereinsteiger an Waldorfschulen liegt der Studie zufolge recht hoch: bei 45 Prozent. Das bedeutet, dass fast die Hälfte der Schüler vor dem Besuch der Waldorfschule andere Schulformen durchlaufen hat. Dem Lernerfolg der Waldorfschulen kommt laut Studie zugute, dass dieser ursprünglich als Arbeiterbildungsschule konzipierte Typ mittlerweile zu einer Schule des Bildungsbürgertums geworden ist. Kinder von Migranten oder aus sozialen Brennpunkten sind deutlich unterrepräsentiert. Das allerdings gilt ebenso für das Gymnasium.

Steiners Lehre kennen die wenigsten

Ein weiterer bemerkenswerter Befund: Kinder, die nicht in einer klassischen "Kernfamilie" aufwachsen, sind in der Waldorfschule deutlich überrepräsentiert. Rund 40 Prozent der Eltern in der aktuellen Waldorfschulstudie sind alleinerziehend.

Oft hört man, dass Waldorfschulen die Kinder und Jugendlichen zur Anthroposophie erzögen, also zur ganzheitlichen, auch Esoterik umfassenden Lehre von Rudolf Steiner. Die Studie dagegen zeigt, dass nur 13 Prozent in der spezifisch anthroposophischen Christengemeinschaft konfirmiert wurden. "Auch die als Indiz für die angeblich verqueren Unterrichtsinhalte gerne angeführten Äußerungen Steiners zur mythischen Insel Atlantis", so heißt es weiter, "sind nur einem kleinen Teil der befragten Schüler bekannt." Im Übrigen konnte kaum einer erklären, worin die Lehre von Rudolf Steiner besteht.

Das allerdings — so muss man hinzufügen — überfordert selbst die meisten Erwachsenen. Denn Steiner war auf so vielen Feldern tätig, dass kaum einer in der Lage ist, ihm überallhin zu folgen, geschweige denn den Zusammenhang der Einzelgebiete zu erkennen.

(RP)
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