Missbrauch Wie die Kirche in anderen Ländern reagierte

(RP). Die amerikanische Kirche zog nach Tausenden von Missbrauchsfällen die Konsequenz: Kein Täter im Priestergewand darf je wieder Seelsorger sein. Wie verfährt die katholische Kirche in Deutschland?

Missbrauch-Skandal an der Odenwaldschule
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Sie trafen den Vatikan beinahe wie aus heiterem Himmel: all die Horrorberichte aus den USA Ende der 90er Jahre, mit denen immer wieder neue Fälle von sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch katholische Geistliche bekannt wurden. Also initiierte Rom 2003 einen internationalen Kongress zu diesem Thema, eine große Runde von Experten, die der Kirche helfen sollten. "Wir brauchen ihren Rat", sagte unumwunden der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, Joseph Ratzinger. Der ist heute Papst und sieht sich — sieben Jahren später — mehr denn je von dieser Not umstellt: von der Sorge um das Leid der Opfer, aber auch um die Zukunft seiner Kirche und die Glaubwürdigkeit seiner Geistlichen. Zumal der sexuelle Missbrauch nicht das finstere Phänomen eines einzelnen Landes geblieben ist; nach den USA und zuletzt Irland wird man jetzt auch in deutschen Bistümern von mehreren hundert Missbrauchsfällen ausgehen müssen. Das Ausmaß ist ungewiss und wird auch dann nur zu erahnen sein, wenn Studien hierzu veröffentlicht werden wie etwa der John-Jay-Report in den USA oder der "Murphy-Bericht" aus Irland vom vergangenen November.

Morgen wird der Freiburger Erzbischof und Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, nach Rom reisen und am Freitag mit Papst Benedikt XVI. zusammenkommen. Ihr Thema: der Missbrauch, die besten Wege der Aufklärung und der Hilfe.

Die Frage allerdings, was man von anderen Ländern lernen kann, erübrigt sich fast. Denn die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz von 2002, in denen das Vorgehen bei Missbrauchsfällen festgeschrieben ist, resultieren aus den Erfahrungen der amerikanischen Bischöfe. Dazu gehören spezielle Arbeitsstäbe mit externen Fachleuten, die zwar auch in Deutschland installiert wurden, die aber in manchen Bistümern, wie verlautet, bisher fast nie einberufen wurden. Kern des US-amerikanischen Modells ist zudem die so genannte Null-Toleranz: Wer sich einmal sexuell missbräuchlich verhalten hat, wird nie mehr als Seelsorger tätig sein können. Also auch jene Priester nicht, denen ein einmaliges Fehlverhalten attestiert wurde und die mit Hilfe einer Psychotherapie ihre sexuellen Impulse kontrollieren können.

Aus weiteren Untersuchungen in den USA geht hervor, das bis zu 30 Prozent der Priester homosexuell sind. Auch wenn in Deutschland von einem geringeren Prozentsatz ausgegangen wird, so dürfte dieser immer noch deutlich über dem Durchschnitt von fünf Prozent für die Gesamtbevölkerung liegen, so der renommierte Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller.

Sind denn homosexuelle Priester besonders anfällig für pädophiles Verhalten? Das nicht, doch wird es mittlerweile als ein erheblicher Risikofaktor für ein Fehlverhalten angesehen, wenn homosexuelle Priester sich mit ihren Veranlagung nicht auseinandergesetzt haben. Begünstigt wird eine solche Vermeidungshaltung freilich auch dadurch, dass Homosexualität innerhalb der Kirche weitgehend tabuisiert wird. Von sexueller Unreife und mangelnder Intimitätsbefähigung der Priester sprechen Fachleute, ein Fehlverhalten, das durch die Struktur der Kirche zu oft unentdeckt bleibt oder gar verschwiegen wird. Eine Verbindung zum Zölibat gilt dagegen als nicht erwiesen: "Wer pädophil veranlagt ist, den schützen weder der Zölibat noch die Ehe davor, das zu tun", so Müller.

Aber weder mit Null-Toleranz wird der Skandal gänzlich aus der Welt sein noch mit Hilfe und Wiedergutmachung — bisher zahlte die Kirche in den USA den Opfern über eine Milliarde Dollar, wodurch etliche Gemeinden Insolvenz anmelden mussten. Denn wahrscheinlich ist, dass weitere Fälle bekannt werden, jene etwa aus jüngerer Vergangenheit. Der Missbrauch von Minderjährigen durch katholische Priester wird ein tragisches Dauerthema werden und das Ansehen der Kirche mitbestimmen. Nach einer aktuellen Umfrage in den USA assoziieren 37 Prozent der Befragten dort die katholische Kirche mit sexuellem Missbrauch.

(RP)
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