Handyverbot oder Altstadt-Bann Wie Jugendrichter kreativ strafen

Düsseldorf · Handyverbot, Aufsatzschreiben oder Altstadtbetretungsverbot - das Jugendstrafrecht lässt Raum für ungewöhnliche Auflagen. Jugendliche Straftäter sollen dadurch geläutert werden, denn die Auflagen dienen der Erziehung.

 Handyverbot für Jugendliche - eine ungewöhnliche Strafmaßnahme.

Handyverbot für Jugendliche - eine ungewöhnliche Strafmaßnahme.

Foto: dpa, hka sab fdt

Ein 19-Jähriger versteckt sein Handy in einer Papiertüte, schneidet rund um die Kameralinse ein Loch hinein und filmt mit dem Gerät drei junge Frauen auf der Toilette. Er muss nun 450 Euro an die Frauen zahlen - und eine besondere Aufgabe erfüllen. Bei Gericht muss er einen Aufsatz "zur rechtlichen Einordnung der Straftat und den Auswirkungen auf die Geschädigten" vorlegen. Das hat das Düsseldorfer Jugendgericht gestern entschieden.

Dabei ist das Aufsatzschreiben kein Teil der Strafe, sondern eine erzieherische Maßnahme. "Im Jugendstrafrecht geht es nicht um Vergeltung, abschreckende Wirkung oder ein Strafbedürfnis der Bevölkerung", erklärt Frank Neubacher, Direktor des Instituts für Kriminologie an der Universität Köln. Vielmehr steht ein erzieherischer Aspekt im Vordergrund. Um diesen Erziehungseffekt zu erreichen, lässt das Jugendgerichtsgesetz den Richtern einen großen Freiraum. Sie können den jungen Straftätern sogenannte Weisungen erteilen. Und die sind im besten Fall möglichst individuell auf den Jugendlichen und seine Tat zugeschnitten.

So musste ein 14-jähriger Schüler aus Düsseldorf jüngst für einen Monat sein Smartphone abgeben. Im sozialen Netzwerk Facebook hatte er eine Mitschülerin schwer beleidigt. Er schrieb: "Sie schickt euch Nacktbilder und Videos", hinterließ den kompletten Namen des Mädchens und auch noch deren Handy-nummer. Weil der Junge keinen Computer besitzt, benutzte er sein Handy, um in sozialen Netzwerken zu surfen oder Spiele zu spielen. Richter Edwin Pütz ließ das Smartphone für 30 Tage einkassieren. Ein 19-Jähriger bekam vier Monate abendliches Altstadtverbot wegen Pöbeleien. In einem anderen Fall veröffentlichte ein 15-Jähriger Oben-ohne-Fotos einer Mitschülerin bei WhatsApp. Auch er musste sein Handy für vier Wochen abgeben.

Die Weisungen können aber auch Gebote sein, zum Beispiel zum Lesen. Der 15-Jährige muss nun einen Roman lesen, in dem ein Junge aus Frust Fotos von einer schlafenden Ex-Freundin verbreitet. Torsten Heymann, Jugendrichter in Leverkusen, legte einem Jugendlichen, der Nazi-Symbole an Wände geschmiert hatte, auf, das "Tagebuch der Anne Frank" zu lesen und die einzelnen Kapitel zusammenzufassen. Ähnlich hatte zuvor der heute pensionierte Richter Reiner Kötting entschieden. Auch er gab einen Aufsatz über das Schicksal der Anne Frank als Weisung.

Als neue Entwicklung sieht Experte Neubacher die "kreativen" Lösungen aber nicht. In den 1950er und 60er Jahren habe sich in der Rechtsprechung das Instrument von sogenannten spiegelnden Weisungen entwickelt, erläutert Neubacher. Dabei musste beispielsweise ein Jugendlicher die Pflege für das Grab seines Opfers übernehmen. "Das wurde stark kritisiert", sagt Neubacher. "Durch die Weisungen muss eine erzieherische Einwirkung erreicht werden, sie sollen keinen vergeltenden Aspekt haben." Neubacher betont, dass eine Jugendstrafe die Ausnahme sei. "Rauferei en, Schwarzfahren, Grafitti sprühen, das machen im Alter von etwa 14 bis 21 Jahren viele Jugendliche einmal. In der Regel kann man mit Weisungen da noch einiges erreichen." Auch der 19-jährige Toilettenfilmer zeigte bereits vor Gericht Reue. Erklären könne er sich nicht mehr, wie er auf die Idee gekommen war, berichtete er. "Es tut ihm außerordentlich leid", sagte der Anwalt des Schülers. "Ich gehe davon aus, dass es eine einmalige Verfehlung war", sagte der Richter.

Immer wieder forderten Politiker in den vergangenen Jahren eine Verschärfung des Jugendstrafrechts. Anlass waren Amokläufe oder Gewalttaten wie im Fall des zu Tode geprügelten Dominik Brunner an einem Münchner S-Bahnhof. Die Annahme, das Jugendstrafrecht sei zu lax, führt Neubacher auf die Unkenntnis über seinen Sinn und Zweck zurück.

(RP)
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