Interview mit Dieter Nuhr "Zensur durch Islamisten funktioniert"

Düsseldorf · Kabarettist Dieter Nuhr thematisiert seit vielen Jahren den Islamismus und wurde im Oktober von einem Moslem angezeigt. Angst vor einem Anschlag hat der 54-Jährige nicht, wie er im Interview mit unserer Redaktion erklärt.

Dieter Nuhr: Kabarettist, Fotograf, Fortuna-Fan
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Das ist Dieter Nuhr

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Foto: Ilgner/Carstensen

Islamismus ist seit vielen Jahren Thema in Ihren Programmen. Ein Moslem hat Sie vor kurzem angezeigt und versucht, eine Demonstration gegen Sie zu organisieren. Haben Sie Angst, dass jemand auf Ihre Zuspitzungen nicht mit einem Anwalt, sondern mit einem Sturmgewehr reagieren könnte?

Dieter Nuhr: Huh… Nein. Ich beleidige ja nicht den Propheten. Da klappt die Zensur durch die Islamisten schon recht perfekt. Sie können über Jesus Witze machen oder über den Papst oder sogar Helene Fischer, aber wenn man nicht suizidgefährdet ist, lässt man den Propheten aus. Das ist eigentlich ein Witz, dass es im 21. Jahrhundert noch mittelalterliche Irrationalisten gibt, die die Witzfreiheit einschränken können. Die Fähigkeit dazu haben sie in Paris eindrücklich nachgewiesen.

Die Anzeige gegen Sie war ohne aktuellen Anlass; die Äußerungen, auf die sich bezog, waren alt. Sie hatte zudem keinerlei Aussicht auf Erfolg. Und doch hat sie eine Schleuse geöffnet. Sie haben Zehntausende von Kommentaren im Internet und Zuschriften bekommen. Welchen Nerv hat diese Debatte getroffen?

Nuhr: Offenbar gibt es bei uns eine relativ leise Mehrheit von Menschen, die großen Wert auf Freiheit legt. Und dann gibt es natürlich die rechten Plärrer, die es schon immer gewusst haben, dass der Ausländer immer Schuld ist. Und da gibt es die Linke, die jede Kritik am Islamismus für islamophob hält. Also fühlen sich eine Menge Leute betroffen. Außerdem stehen sich ja plakative Gesellschaftsentwürfe gegenüber, auf der einen Seite die islamische Welt im nahen Osten, die ihre Legitimation aus einem mittelalterlichen Buch ableitet und sich mit Steinigungen und Enthauptungen hervortut. Bei uns dagegen die offene Gesellschaft, die verschiedene Lebensentwürfe toleriert, aber dadurch auch verletzlich ist. Da kommen eben Ängste auf, dass die Islamisten unseren Töchtern die Freiheit nehmen wollen, im kurzen Röckchen in die Disco zu gehen. Natürlich würden sie das gerne, aber soweit wird es ja nun kaum kommen. Dennoch: Es steht die berechtigte Angst im Raum, dass unsere freiheitliche Gesellschaft durch Attentate gefährdet ist. Das greift die Grundfesten unseres gesellschaftlichen Miteinanders an. Wen das nicht aufregt, der ist völlig stumpf im Kopf.

Sie haben sich gegen Beifall aus der rechten Ecke mit deutlichen Worten verwahrt. Warum überlassen deutsche Intellektuelle und Politiker dieses Thema denen, in deren Hände es am allerwenigsten gehört?

Nuhr: Weil es heute mehr um den Krawall und die Quote geht als um Inhalte. Polarisierung bringt Zuspruch, nicht das differenzierte Urteil. Wer gegen Islamismus ist, ist nicht gegen Muslime. Im Gegenteil: die meisten Muslime bei uns sind große Gegner des Islamismus. Da wird es kompliziert. Islamisten UND Rechte wollen uns einreden, es gäbe einen Konflikt zwischen Christen und Muslimen. Aber das ist Quatsch! Hier geht es um den Kampf der Vernunft gegen den Irrationalismus und das ist schwierig zu verkaufen. Das differenzierte Urteil bringt wenig Wählerstimmen. Argumente sind immer leiser als Krawall.

Islamisten und Rechte spielen Ping-Pong, und die 99,9 Prozent Vernünftigen schauen schaudernd, aber stumm zu. Glauben Sie, dass nach den Attentaten von Paris sich jetzt mehr Menschen trauen, sich des Themas ohne Schaum vorm Mund zu widmen?

Nuhr: Im Moment sieht es eher so aus, als hätte der Anschlag die Polarisierung verstärkt. Je emotionaler die Diskussion wird, umso weniger kommen die zu Wort, die rationale Problemlösungen anstreben. Jetzt gibt es schon Verschwörungstheorien, der israelische Geheimdienst hätte den Anschlag verübt, vielleicht auch die Amerikaner, Aliens oder die Pilotengewerkschaft… Das ist für Vernunftbegabte schwer zu verkraften.

Der Terror der vergangenen Tage hat zu einer Welle der Solidarität unter Satirikern und Publizisten geführt. Ist das auch in Deutschland denkbar? Sie sind für Ihre Thesen von anderen Kabarettisten scharf kritisiert worden.

Nuhr: Na, da bin ich gespannt, ob da jetzt mal ein Umdenken einsetzt. Ich hatte ja schon vor Jahren erklärt, dass man nun zum ersten Mal seit langer Zeit Angst vor körperlicher Gewalt haben muss, wenn man ein bestimmtes Thema aufgreift, nämlich den Islamismus. Und dass ich das für eine unerträgliche Einschränkung der Meinungsfreiheit halte, was uns da von mittelalterlichen Esoterikern zugemutet wird. Daraufhin musste ich mir von Kollegen vorhalten lassen, das sei "gequirlte Scheiße". Das ist schon traurig, wenn ausgerechnet bei den selbsternannten Intellektuellen das ideologische Brett vorm Kopf den Blick auf die Realität versperrt. Die sind jetzt "überrascht" von diesem Anschlag, aber wie blind kann man sein, dass einen das überrascht? Seit Jahren führt jeder Witz über den Islam zu wilden Drohungen, aber das deutsche Kabarett ist zu großen Teilen noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen, die pflegen die Multikultiromantik der 70er Jahre. Kabarettisten sehen die Welt gerne schablonenhaft: rechts-links, oben-unten. Da ist man dann eben überrascht, wenn sich die Realität nicht an die Ideologie hält.

Nach Paris verwahrt sich nun auch die große Anzahl der vernünftigen Moslems erstmals öffentlich wahrnehmbar dagegen, dass Terroristen ihre Religion kapern. Wie wichtig ist das?

Nuhr: Das ist das Allerwichtigste, dass sich nun endlich Muslime massenhaft weigern, sich von Islamisten vereinnahmen zu lassen. Wie gesagt: Die allermeisten Muslime sind aufseiten der Vernunft. Und es wird Zeit, dass sie das sichtbar machen. Dieser Terror geschieht in ihrem Namen. Dagegen müssen sie sich wehren.

Wodurch wird die aufgeklärte Vernunft zur Waffe gegen den Wahn des Terrors?

Nuhr: Indem wir deutlich machen, dass der Islamismus in seiner Irrationalität dem Faschismus ähnelt. Da sind so viele übereinstimmende Motive, der Jude, der an allem Schuld ist, die Bewertung jeglicher Kritik als feindlichen Akt, die Behauptung im Besitz einer ewigen Wahrheit zu sein, die Bereitschaft für die Ehre zu sterben, die Aufstiegsmöglichkeiten in der Hierarchie der Bewegung für Underdogs und vieles mehr. Rassenwahn und Religionswahn sind erstaunlich ähnlich. Dem kann man nur mit der Vernunft des Argumentes begegnen. Wie sonst?

Ist das jetzt die Stunde, wo Witze wichtiger denn je sind? Oder ist es mehr die Stunde der nüchternen Fakten, zum Beispiel zur Verteilung von Religionszugehörigkeit in Deutschland?

Nuhr: Mit Religionszugehörigkeit hat das erst mal gar nicht viel zu tun. Wie gesagt: Die meisten Muslime sind auf unserer Seite. Ich durfte jetzt schon ein paar Mal bei türkischen Taxifahrern in Berlin nicht bezahlen, weil die meinten, ich solle unbedingt so weitermachen. Das zeigt: Die Fronten verlaufen anders. Der Religionswahn ist lächerlich, diese Gestalten, die mit wutverzerrten Gesichtern der ganzen Welt mit dem Tod drohen, die müssen lächerlich gemacht werden. Da gilt das gleiche wie auch für Nazismus, Linksradikalismus, Rassismus und so weiter. Man MUSS sich darüber lustig machen, um die Lächerlichkeit offenzulegen.

Verändert der Anschlag Ihre Arbeit konkret? Müssen Sie Pointen künftig darauf scannen, ob Sie anschließend Personenschutz brauchen?

Nuhr: Das mache ich schon seit Jahren. Wer nicht blind und taub war, hat seit Jahren gewusst, dass es Grenzen gibt, die man nicht überschreiten darf. Das ist eigentlich unerträglich und entsetzlich, aber real.

Das Interview führte Ralf Jüngermann.

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