Prozess um Feuertod wird neu aufgerollt Zurück an der "Mauer des Schweigens"

Karlsruhe (RPO). Vor fünf Jahren verbrannnte der Asylbewerber Oury Jalloh in einer Polizeiwache in Dessau. Der Prozess um seinen Feuertod wird nun neu aufgerollt. Der Bundesgerichtshof hob zudem einen Freispruch für einen Polizisten auf. Angehörige und Menschenrechler bejubeln das Urteil. Sie hoffen auf Aufklärung. Aber schon der erste Prozess war extrem schwierig.

 Die Vorsitzende Richterin des IV. Strafsenats des BGH in Karlsruhe, Ingeborg Tepperwien, spricht von einer extrem schwierigen Beweislage.

Die Vorsitzende Richterin des IV. Strafsenats des BGH in Karlsruhe, Ingeborg Tepperwien, spricht von einer extrem schwierigen Beweislage.

Foto: ddp, ddp

Damals hatte das Landgericht Dessau in einem langen und unendlich mühsam geführten Prozess auf Freispruch für zwei angeklagte Polizisten entschieden. Die Beweisführung war schwierig, manche Zeugen konnten oder wollten sich nicht mehr an den Tathergang erinnern, die Beweisführung gestaltete sich als schwierig. "In Dessau gab es eine Mauer des Schweigens. Mit dem Verweis an das Landgericht Magdeburg besteht nun die Chance, den Fall aufzuklären", sagte Regina Götz, eine Rechtsvertreterin von Jallohs Angehörigen. Ähnlich äußerte sich die Internationale Liga für Menschenrechte.

Wegen Fehlern in der Beweisführung kommt nun wieder alles neu aufs Tableau. Mit dem vom Bundesgerichtshof (BGH) am Donnerstag in Karlsruhe verkündeten Urteil droht dem im Dezember 2008 freigesprochenen Polizisten eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge. (Az.: 4 StR 413/09)

Nach Auffassung des BGH weist das Urteil des Landgerichts Dessau gegen den 49-jährigen Dienstgruppenleiter wesentliche Lücken in der Beweiskette auf. Der vom Landgericht beschriebene "Sachverhalt" um Jallohs Todesumstände sei "nur schwer nachvollziehbar", sagte die Vorsitzende Richterin Ingeborg Tepperwien. Der BGH gab damit der Revision von Staatsanwaltschaft und Nebenklage statt.

Erhebliche Lücken in der Beweisführung

Dem Urteil sei vor allem nicht zu entnehmen, wie es dem mit einer Hand an die Zellenwand gefesselten Jalloh möglich gewesen sein solle, den Bezug seiner Matratze mit einem Gasfeuerzeug anzuschmoren und den Matratzenkern zu entzünden, ohne sich die Hand zu verbrennen und Schmerzenslaute zu äußern. Diese Laute hätte der Angeklagte laut BGH über die Gegensprechanlage hören müssen. Der aus dem westafrikanischen Sierra Leone stammende Asylbewerber war einem Gutachter zufolge an den heißen Rauchgasen des Schaumstoffkerns der Matratze innerhalb von zwei Minuten gestorben.

Der BGH kritisierte überdies, dass das Landgericht dem Dienstgruppenleiter ein "pflichtgemäßes Verhalten" zugebilligt hatte. Tepperwien zufolge hätte der Polizist den Tod Jallohs womöglich verhindern können, wenn er nach dem Alarm des Rauchmelders sofort in dessen Zelle geeilt wäre. Statt dessen habe er den Alarm "zunächst weggedrückt, anschließend ein Telefonat mit seinem Vorgesetzten geführt" und sei auf dem Weg zur Zelle nochmals umgekehrt, weil er den Schlüssel für die Fußfessel "vergessen" habe.

Aussage zurückgezogen

Der BGH verwies den Fall nun an das Landgericht Magdeburg. Die Karlsruher Richter verlangten auch die Überprüfung der Angaben einer Polizistin, die ihren angeklagten Kollegen zunächst belastet, ihre Aussagen später aber abgeschwächt habe. Es sei zu klären, ob dies unter "Gruppendruck" geschehen sei. "Für die neue Hauptverhandlung ist alles offen", sagte Tepperwien. Die Lücken in der Beweiswürdigung könnten möglicherweise durch eine plausible Erklärung geschlossen werden. Es gebe aber eine "höchst schwierige Beweislage".

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl hat am Donnerstag erfreut darauf reagiert, dass der Prozess um den Feuertod eines Asylbewerbers in einer Dessauer Polizeizelle nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs neu aufgerollt werden muss. Sie äußerte die Hoffnung auf späte Aufklärung und Gerechtigkeit und spricht von einem "Polizei- und Justizskandal großen Ausmaßes".

Kritik und Lob von außen

Die Migrationsexpertin der Linken, Sevim Dagdelen, erklärte, die Verhandlung in Dessau sei "von Anfang an eine Farce" gewesen. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl nannte den Dessauer Prozess einen "Polizei- und Justizskandal großen Ausmaßes". Nun gebe es "Hoffnung auf späte Aufklärung und Gerechtigkeit". Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann (SPD) forderte die betroffenen Beamten auf, "dass sie zur Wahrheitsfindung beitragen und helfen, Schaden vom Land Sachsen-Anhalt abzuwenden".

Jalloh war genau vor fünf Jahren, am 7. Januar 2005, ums Leben gekommen. Er war festgenommen worden, weil sich zwei Frauen von dem alkoholisierten Mann belästigt gefühlt hatten. Weil Jalloh sich den Beamten widersetzte, wurde er an die Matratze gefesselt, die später in Flammen aufging. Der Tod Jallohs hatte in Deutschland und auch international Proteste ausgelöst.

(AFP/AP/ddp)
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