Berlin Deutschlands teuerster Prozess

Berlin · 37 Millionen Euro Schadenersatz - so viel verlangt ein Berliner Jurist von einem Hotel, weil er auf dem glatten Bürgersteig ausgerutscht ist. Geht das so einfach? Ein Lehrstück von einem außergewöhnlichen Prozess.

Als Oliver Seeberg auf dem vereisten Bürgersteig vor dem Berliner Maritim-Hotel ausrutschte, brach er sich den Oberschenkel. Im Januar 2014 war das, die Temperaturen lagen in der Hauptstadt nahe dem Gefrierpunkt. Die Verletzung war nicht ganz einfach, viermal musste der promovierte Jurist operiert werden. Ein Unglück, das man niemandem wünscht. Als sich Oliver Seeberg dann entschied, das Hotel zu verklagen, löste er einen der teuersten Prozesse Deutschlands aus. Und in gewisser Weise ging das Unglück mit dem Verfahren weiter.

Das hat mit der Summe von 37 Millionen Euro zu tun. So viel Schadenersatz verlangt Seeberg nämlich von dem Hotel. Er hätte, so behauptet der frühere Rechtsanwalt, wegen des Unfalls einen wichtigen Termin verpasst. Dort hätte Seeberg nach einem Bericht des "Spiegel" über ein Immobilienprojekt in Vietnam verhandeln können. Auf diese Weise und über ein Darlehensgeschäft wäre er auf 37 Millionen Euro Gewinn gekommen. Und weil das Maritim-Hotel den Bürgersteig nicht gestreut habe, sei es dafür verantwortlich, dass er nicht an diesen Betrag komme. So weit, so verrückt. Summen dieser Art stehen für gewöhnlich bei Zivilprozessen der Amts- und Landgerichte nicht unbedingt an der Tagesordnung. Die Prozesskosten für ein Verfahren orientieren sich an dem Wert, um den gestritten wird - in diesem Fall 37 Millionen Euro. Weil der Streitwert also enorm hoch ist, sind auch die Gerichtskosten und die Anwaltsgebühren enorm hoch. Deswegen sieht das Gesetz eigentlich eine Grenze für Streitwerte von 30 Millionen Euro vor. Auch ein Mechanismus, um amerikanische Verhältnisse in deutschen Gerichtssälen zu verhindern. Im Fall Seeberg ist das aber nicht gelungen, und das liegt vor allem an Oliver Seeberg.

Der Duisburger Rechtsanwalt Herbert Schons ist Experte für die Gebührenordnung der Bundesrechtsanwaltskammer. Er hält den Fall für ein Lehrstück. "Bei der Höhe des Schadenersatzes sollte man vorsichtig sein", sagt er. Denn sollte Seeberg sich nach seiner Niederlage vor dem Oberlandesgericht Berlin wie angekündigt an den Bundesgerichtshof (BGH) wenden, was er laut BGH noch nicht getan hat, und sollte er auch dort verlieren, dann wird es vor allem für einen extrem teuer - für Seeberg. Der Unterlegene trägt die Prozesskosten, allerdings konnte er offenbar schon die bisherigen Forderungen wegen finanzieller Schwierigkeiten nicht begleichen.

Warum er, der doch als Jurist um die Eigenheiten des Rechts wissen müsste, sich dennoch in diesen Wahnsinnsprozess stürzte, ist unklar. Auch, ob er das überhaupt beabsichtigt hat. Denn, dass überhaupt um diesen Betrag von 37 Millionen Euro vor Gericht gestritten wird, verdankt er einer sogenannten Widerklage des Maritim-Hotels. Seeberg hatte ursprünglich nur 10.000 Euro gefordert, im Laufe der Zeit aber seine Aussichten auf das Immobiliengeschäft eingebracht. Die Anwälte des Maritim-Hotels nennen das eine "Fiktion ohne Realitätsbezug". Sie ließen das Gericht feststellen, dass Seeberg keinen Anspruch auf das Geld hat.

Dabei waren Seebergs Aussichten gar nicht so schlecht. Schließlich hatte das Maritim-Hotel nach 16 Uhr trotz gesetzlicher Streupflicht den Bürgersteig nicht mehr vom Glatteis befreit. Zwar war umstritten, ob der Jurist auch im "Streusektor" des Hotels ausgerutscht ist, allerdings gibt es zu dieser Frage unterschiedliche Rechtsauffassungen - jedenfalls auch solche, die für Seeberg gesprochen hätten. Mit seiner Forderung nach 37 Millionen Euro Schadenersatz hat er sich nun allerdings selbst aufs Glatteis geführt. Immerhin schreibt er mit dem Verfahren Geschichte.

(her)
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