Christian Rach "Die Industrie trickst und vertuscht"

Köln · Als Restauranttester im Fernsehen hat sich der Sternekoch einen Namen gemacht. Nun erklärt er ab 5. April für die ZDF-Reihe "Terra X" die Geschichte des Essens. Ein Gespräch über die Ess- und Kochkultur im Land sowie die Versäumnisse der Nahrungsmittelindustrie.

Unter den Spitzenköchen in Deutschland ist er einer der streitbarsten - aber im positiven Sinne. Der 57-Jährige hat Mathematik und Philosophie studiert, und das bildet mit die Grundlage seines, wie er selbst sagt, menschenfreundlichen Wesens. Rach setzt sich gerne mit seinem Gegenüber auseinander, er will überzeugen, aber auf pädagogisch wertvolle Art und Weise. Das hat seine RTL-Doku-Serie "Rach, der Restauranttester" zu einem Quotengaranten gemacht. Seit seinem Wechsel zum ZDF läuft es nicht mehr ganz so gut, "Rach tischt auf" wurde abgesetzt. Nun will der Koch, der vor der Kamera selten am Herd steht, den ZDF-Zuschauern die Geschichte des Essens nahebringen. Bei einem Treffen erzählt er von seinem neuen Projekt - überlegt, in fast druckreifen Sätzen.

Haben Sie bei der Arbeit an der Doku etwas übers Essen gelernt, was Sie noch nicht gewusst haben?

Christian Rach Eine Menge. Etwa, dass man sich klarmacht, wie schwierig das früher war, sich zu ernähren. Dass der Tagesablauf nur darin bestand, dass man ums Überleben kämpfte.

Sie sind nun bei "Terra X" mehr Moderator als Koch. Wollen Sie diese Rolle weiter ausbauen?

Rach Ich sehe es gerade umgekehrt. Ich war früher mehr Moderator und bin diesmal viel näher am Kochen. Früher war das Kochen nur ein kleiner Teil meiner Sendung, vielleicht zwei Minuten. Da ging es weniger ums Kochen als um Unternehmens- oder Menschenführung. Diesmal geht es rein ums Essen.

Verfolgen Sie die aktuellen Entwicklungen auf dem Kochshow-Markt?

Rach Ich verfolge das nicht und war auch selber noch nie in einer Koch-Sendung.

Sie meinen, Sie waren noch nie in einer eingeladen?

Rach Ich habe noch nie eine gemacht. Bei "Rach der Restauranttester" und in meinen anderen Sendungen ist das Drumherum das Ereignis gewesen, nicht das Kochen. Auch bei Kollegen bin ich nicht gewesen - das ist jetzt nicht wertend gemeint, sondern einfach eine Feststellung. Aber das war nie meins.

Hat sich die Ess- und Kochkultur im Land durch das Kochen im Fernsehen verändert?

Rach Es wäre wünschenswert, wenn man über dieses Beballern mit Kochshows im Fernsehen ein Umdenken erzeugt. Wenn ich sehe, wie die vegane Welle übers Land schwappt, kann ich dies nur positiv bewerten. Nicht weil ich sage, werdet alle Veganer, sondern weil eine Ursache dieser Welle der Protest gegen Massentierhaltung ist und gegen den Verlust des Respekts vor Lebensmitteln. Wir haben in Deutschland schon zwei Millionen Vegetarier und fast eine Million Veganer. Das ist zwar wenig, aber andererseits eine Strömung, die wirtschaftliches Geschehen beeinflusst. Wir können nicht erwarten, dass wir heute etwas senden, und morgen wird der Schalter umgelegt. Eine Entwicklung, die gesellschaftlich relevant sein soll, braucht Zeit.

Ernährungsbewusstsein bei Jüngeren ist das eine. Aber wird denn wirklich flächendeckend besser gekocht?

Rach Vermutlich haben wir da eine radikale Teilung. Wir haben einen Teil, der verdient viel Geld, und einen größeren Teil, dem geht es schlecht. Heute gehört es offenbar zum guten Ton, eine perfekt ausgestattete Küche zu besitzen. In gewissen gesellschaftlichen Kreisen hat das einen hohen Statussymbolwert. Im Prinzip brauchen sie nur zwei Pfannen, drei Töpfe und ein scharfes Messer, um gut kochen zu können. Andererseits wird auch wahnsinnig viel zu Hause gegessen und gekocht. Heute ist es state of the art, Freunde gut zu Hause zu bekochen. Aber auch da klafft die Schere auseinander. Man müsste das Fach Ernährung wieder an der Schule einführen, damit alle gesellschaftlichen Schichten in der Lage sind, sich gut zu ernähren.

Ist das denn Ihrer Meinung nach wirklich Kochen, was da passiert? Oder doch eher Nachkochen?

Rach Was ist Kochen und was ist Nachkochen? Malen nach Zahlen, kochen nach Bildern, es ist alles legitim - Hauptsache, man tut's. Was ist ein gutes Pasta-Gericht? Eigentlich überhaupt keine Hexerei. Im Prinzip brauchen sie nur gute Pasta, ein wenig Olivenöl und eine Scheibe Knoblauch. Aber Spaghetti aglio e olio ist überall nur Mist. Dieses Gericht kann köstlich sein, wenn man weiß, wie es geht. Aber ist das dann Kochen? Ich sage ja, solange man in der Lage ist, Kochen zu abstrahieren, und es über Technik, also über Können umzuwandeln in ein aktives Geschehen. Dann ist es Kochen. Auch wenn man nachkocht.

Wo bewegt sich die Esskultur hin? Es gibt auch heute viele junge Menschen, die Instant-Produkte frischen Lebensmitteln vorziehen, weil sie an den Geschmack gewöhnt sind.

Rach Das ist eine bestimmende Frage unserer Zukunft. Der Geschmack ist so manipuliert und indoktriniert über industrielle Vorgaben, das ist erschreckend. Aber wir werden diesen Trend umkehren müssen. Die vordringlichste Aufgabe, die wir haben, ist, unsere wachsende Erdbevölkerung zu ernähren. Wir brauchen eine gute Nahrungsmittelindustrie, aber die muss aufhören, uns zu veräppeln. Wir müssen Transparenz erwarten, dass man uns sagt, was in den Produkten ist. Es wird aber immer noch getrickst und geschummelt. Die Industrie klärt nicht auf, sondern vertuscht und verheimlicht. Als Verbraucher wollen wir nur wissen, was los ist, denn nur dann können wir entscheiden. Ich sage: Wir brauchen eine Industrie, aber bitte mit offenen Karten.

Ist es für Sie eine Option, irgendwann wieder ein Restaurant zu eröffnen?

Rach Nein. Die männlichste Entscheidung meines Lebens war, aus diesen Geschäftsmodellen auszusteigen. Auf der Höhe des Erfolges alle meine Firmen sein zu lassen, das erforderte Kraft und Überzeugung. Und ich habe es nicht bereut.

JÖRG ISRINGHAUS FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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