Düsseldorf Die neuen schlanken Männer

Düsseldorf · Tuchel, Teyssen, Laschet - immer mehr Männer verordnen sich Abnehmkuren. Studien belegen, dass Schlanksein dynamisch wirkt und die Karriere beflügelt. Neuerdings nehmen sich das auch Männer zu Herzen.

Bei Thomas Tuchel geschah es in Italien. Vier Wochen verbrachte er mit seiner Familie dort, verzichtete aber auf landestypische Verführungen wie Pizza und Pasta. Stattdessen trieb der Fußballtrainer viel Sport - und kehrte gertenschlank zurück, bereit als neuer Trainer mit dem BVB in die Titelkämpfe zu starten.

E.on-Chef Johannes Teyssen hat 30 Kilogramm abgenommen - mit einer "Metabolic Balance"-Diät, die auf den Stoffwechsel zielt. Auch er aß wenig Kohlenhydrate, trank drei bis vier Liter Wasser pro Tag, trieb viel Sport. So senkte er sein Gewicht von 127 Kilo auf 95. Zur gleichen Zeit wurde E.on geteilt in die Sparte Ökostrom und den konventionellen Stromanbieter. "Wenn sich E.on spaltet, muss ich mich selbst auch mitspalten", sagte der Manager damals in einem Interview. Auch NRW-Oppositionsführer Armin Laschet (CDU) hat abgenommen. Gut ein Jahr vor den Landtagswahlen signalisiert der Politiker damit, dass er fit und unbeschwert in die politischen Auseinandersetzungen der nächsten Monate gehen will. Und als der Comedian Bastian Pastewka neulich bei der Lit.Cologne auftrat, war auch er nicht mehr wiederzuerkennen: Bauch weg, die vollen Wangen auch. Plötzlich saß da kein drolliger Übergewichtiger mehr auf der Bühne, den man sich jederzeit als Hänselopfer auf dem Schulhof hatte denken können, sondern einer von diesen neuen, agilen Typen, für die das ganze Leben ein Spaß zu sein scheint - so befreit von alter Last.

Der Mann mit Ambitionen von heute ist durchtrainiert, schlank, ernährungsbewusst. Er signalisiert durch sein Äußeres, dass er seine Gelüste zügeln, sein Handeln kontrollieren kann und auf keinen Fall zu Trägheit neigt. Das sind Qualitäten, die bei Führungspersönlichkeiten geschätzt sind. Die zähen Hunde machen das Rennen. Und seit Ernährung eine populäre Wissenschaft geworden ist, steht Schlankheit auch für Intelligenz, Bildung und finanzielle Potenz, denn 24-Stunden-Fitnessstudio, makrobiotisches Bio-Futter und "Low-Cab"-Kost wollen bezahlt werden.

Vorbei die Zeiten, da gesetzte Herrn mit Cognac-Schwenker und Zigarre in der Hand für gediegenes Unternehmertum und den Genussanspruch der Macher standen. Schlank ist das neue Erfolgreich. Darum ist der Wunsch nach null Prozent Fett auf den Hüften inzwischen kein typisches Frauenthema mehr. Auch Männer specken ab, schwingen sich auf die Hometrainer, stürmen in Laufschuhen auf die Siegerstraße. Kaum ein Manager, der nicht mindestens vom Halbmarathon neulich erzählen kann.

Natürlich lässt sich auch Facebook-Gründer Mark Zuckerberg beim Berlinbesuch als Läufer fotografieren: immer in Bewegung, dynamisch im Körper wie im Geist, so erfindet man Produkte, die das Leben revolutionieren - und den Erfinder zum Multi-Milliardär machen. "Diese Start-up-Mentalität aus den USA wird zum globalisierten Körperideal von Männern", sagt der Attraktivitätsforscher Ulrich Renz. Studien hätten zwar bisher ergeben, dass korpulente Männer - anders als Frauen - bei der Karriere keinen Nachteil fürchten müssten, doch seien diese Studien älter. "Männer müssen heute unter wachsendem Leistungsdruck wahrscheinlich stärker zeigen, dass sie sich disziplinieren können", sagt Renz. Eine Generation, die mit Fitnessstudios aufgewachsen ist und gute Oberkörper wichtig findet, ist in den Chefetagen angekommen. Das prägt das neue Bild.

Ohnehin gewinnt das Optische im Selfie-Zeitalter immer mehr an Bedeutung. Menschen, die bei Instagram fotografisch aus ihrem Alltag erzählen und sich mit Dating-Apps wie Tinder mit einem Wisch übers Foto - "hot" oder "not" - Partner für das nächste Rendezvous aussuchen, gewöhnen sich daran, andere nach dem Aussehen zu bewerten. Und zwar blitzschnell.

Es war also bloß eine Frage der Zeit, bis auch Männer dieses Verhalten auf sich selbst anwenden, den eigenen Körper in den Fokus rücken und mit der Optimierung beginnen. Nach den Frauen sind nun also auch Männer zum Objekt geworden, das gewisse Normen zu erfüllen hat - und zwar in ihren eigenen Augen. Auch Männer fühlen den Konkurrenzdruck auf dem Arbeits- und Partnerschaftsmarkt und wissen, dass er optisch entschieden wird. Also beginnen auch sie, sich selbst mit dem Blick der anderen zu taxieren.

Tatsächlich belegen viele Studien, dass gutes Aussehen die Karriere fördert. Attraktive Menschen sind seltener arbeitslos, verdienen mehr, gelangen in höhere Positionen. Die statistischen Zusammenhänge sind signifikant. Allerdings lassen sie unterschiedliche Deutungen zu: Möglich, dass schöne Menschen einfach sympathischer rüberkommen und darum die besseren Jobs ergattern. Möglich auch, dass sie tatsächlich erfolgreicher sind - weil sie sich gut fühlen, selbstsicher sind, die Bewunderung der anderen ist ihnen ja schon wegen ihres Äußeren gewiss.

Das alles geschieht zwar unbewusst, aber nicht unreflektiert. Menschen schätzen die Bedeutung des Äußeren immer höher ein. Das zeichnet sich in Langzeitstudien ab. Mitte der 1980er Jahre hatte etwa die Hamburger Wirtschaftswissenschaftlerin Sonja Bischoff begonnen, Führungskräfte danach zu fragen, was beim Karrierestart eine Rolle spielt. Damals nannten nur sechs Prozent der Befragten das Aussehen, 2008 waren es bereits 32 Prozent.

Bemerkenswert ist allerdings, dass ausgerechnet das Schlanksein sich gerade zum neuen männlichen Ideal aufschwingt, nicht etwa dicke Muskeln oder ein breites Kreuz. Fitness besiegt Machismo. Nicht die Geschlechterdifferenz, das betont Männliche ist derzeit in Mode, sondern die sichtbare Fähigkeit zur Selbstkontrolle - und zur Verantwortung für die eigene Gesundheit. Männer, die ihren Körper im Griff haben, können auch Konzerne lenken, Fußballvereine an die Liga-Spitze führen, die Opposition in den Wahlkampf führen, komisch unterhalten. Eine gute Figur schafft Vertrauen, signalisiert die optimistische Botschaft, dass einer es gut mit sich meint.

So wirkt Schlanksein wie das Gegenteil vom Verzagtsein. Die Schlanken brauchen keine Schutzhülle gegen die Zumutungen der Gegenwart, sie gehen lieber laufen - zu sich selbst.

(dok)
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