Harstad Die Norwegerin und der deutsche Soldat

Harstad · Im Zweiten Weltkrieg verliebt sich eine junge Norwegerin in einen Wehrmachtssoldaten und verteidigt ihre Beziehung gegen alle Vorbehalte. WDR-Moderatorin Randi Crott schrieb die Geschichte ihrer Eltern auf, nun kommt sie als Film ins Kino.

Für die Zuschauer beginnt Lillians und Helmuts Geschichte mit der Erfüllung eines Versprechens. Vor vielen Jahren hat das Ehepaar Crott vereinbart, dass es seine letzte Ruhe auf Hinnøy, der größten Insel Norwegens, finden will. Dort, 300 Kilometer nördlich des Polarkreises, haben die Norwegerin und der deutsche Wehrmachtssoldat einander 1942 kennengelernt. Sie war 19, er 28. 2009 kehrt Lillian Crott Berthung zurück in die Hafenstadt Harstad, auf dem Flugzeugsitz neben sich eine Urne mit der Asche ihres Mannes. Auch Tochter Randi ist mit an Bord. Die WDR-Moderatorin will ein Buch schreiben, über die Liebesgeschichte ihrer Eltern während des Zweiten Weltkriegs. Dies liegt längst vor, nun ist der dazugehörige Film fertiggestellt. Ab dem 2. Februar läuft er im Kino.

Für Klaus Martens gibt es Geschichten, die erzählt werden müssen, und die von Lillian und Helmut Crott ist so eine. Der WDR-Redakteur ist seit vielen Jahren mit Randi Crott befreundet und kannte die Vergangenheit ihrer Eltern aus ihren Erzählungen. Gemeinsam entstand die Idee, sie mit anderen zu teilen. "Denn es ist nicht nur eine private, sondern eine politische Geschichte", sagt Randi Crott heute.

Ein wichtiger Faktor dabei war allerdings vor allem für Martens, der die Dokumentation filmte und produzierte, die Zeit. Denn die Protagonisten, sofern sie noch lebten, waren alt. Randi Crotts Vater war im Dezember 2008 gestorben, die Mutter damals fast 90 und eine andere wichtige Weggefährtin ebenfalls weit über 80. Monatelang begleitete Martens Lillian auf ihrem Weg in die Vergangenheit und besuchte mit ihr jene Orte, die sie einst hinter sich gelassen hatte.

In Lillians Heimat war es eine Schande, dass sich ein norwegisches Mädchen in einen Wehrmachtssoldaten verliebte. Von 1940 bis 1945 hatten deutsche Truppen das skandinavische Land besetzt. Lillian wurde beschimpft, sogar die eigenen Eltern wandten sich ab, erzählt sie, während sie im Film durch die Straßen des Ortes läuft. Ihre Stimme wirkt gefasst, der Blick ist fest. Sie will sich zwar erinnern, aber noch einmal durchleben will sie die Situation von damals nicht, das wird deutlich. Dabei hat sie sich nichts vorzuwerfen: Helmut trug die Wehrmachtsuniform nur, um als Sohn einer jüdischen Mutter nicht verfolgt zu werden - doch außer Lillian erzählte er niemandem davon und verpflichtete auch sie zum Schweigen.

Als er in seine Heimatstadt Wuppertal zurückgekehrt war, hielt es Lillian in Norwegen nicht mehr aus. Sie machte sich auf den Weg nach Deutschland. Ein Lächeln umspielt im Film ihre Lippen, wenn sie von ihrem Helmut spricht. Dann wirkt sie wie das Mädchen von damals, das sich verliebt hatte und diese Liebe gegen alle Widerstände zu verteidigen bereit war. Die alte Frau, die sie heute ist, nimmt den Zuschauer mit nach Dänemark, wo sie sich einst in einen Güterzug schlich und unter Kohlen versteckt über die Grenze fuhr. "Das war sehr stark", erinnert sich Martens. Er habe seine Protagonisten nie besonders in Szene setzen müssen. "Sie haben sehr ungeschminkt erzählt, das spricht ja für sich", sagt er.

Lillian berichtete ihrer Tochter, geboren 1951 in Wuppertal, erst davon, als diese 18 wurde - gegen den Willen des Vaters. "Er hat sich mit der Vergangenheit nicht mehr beschäftigt. Jedenfalls nicht für mich spürbar. Und er hat jedes Gespräch darüber abgeblockt", sagt Randi Crott. "Es muss eine furchtbare Erfahrung für ihn gewesen sein, ausgegrenzt, verachtet zu werden. Nach dem Krieg wollte er unbedingt zu dieser bundesrepublikanischen Gesellschaft wieder dazugehören. Deshalb hat er wohl seine Geschichte verschwiegen." Für die Tochter war der Prozess des Schreibens damit auch eine Erkundung zu begreifen, warum der Vater so gehandelt hat und auch, warum sie nicht Wut empfand, sondern seine Scham teilte, als sie nach seinem Tod auf einer alten Liste mit den Namen nicht-arischer Studenten seinen und damit ihren eigenen fand. Ausgrenzung - ein Thema, heute "erschreckend aktuell", sagt Randi Crott.

Im Film gibt es noch einen weiteren Charakter, der dem Zuschauer eine emotionale Szene beschert: Ilse Kassel. Die Krefelderin war eine von jenen jüdischen Menschen, die im September 1944 von den Nazis für eine Nacht in den Schlachthof in Düsseldorf-Derendorf gepfercht worden waren und unter denen sich auch Randi Crotts Großmutter und deren Schwester befunden hatten. Martens brachte Kassel, die heute nicht mehr lebt, mit Mitte 80 für seinen Film zurück an diesen Ort. Die Parzellen sind übersät mit Graffiti, Schweine hat es dort schon lange keine mehr gegeben. Kassel steht in der Halle, sprachlos, ihre Erinnerung füllt den Raum. Heute befindet sich an dieser Stelle der neue Campus der Hochschule Düsseldorf.

Das Buch "Erzähl es niemandem!" war ein großer Erfolg. Rund 260.000 Mal wurde es bislang verkauft, noch immer veranstaltet Randi Crott Lesungen. Der gleichnamige Film ist selbst finanziert, es ist ein Herzensprojekt, entstanden in einem jahrelangen Prozess. Morgen läuft er als Eröffnungsfilm auf dem Dokumentarfilmfest "Stranger than fiction" in Köln. Randi Crott wird ihn dann mit ihrer Mutter (94) zum ersten Mal in voller Länge sehen.

Was die Tochter tun wird, wenn Lillian stirbt, ist klar. Randi Crott will die Urne mit ihrer Asche nach Norwegen bringen: "Es wird genauso sein wie bei meinem Vater."

(RP)
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