Extrem-Transplantation "Doktor Frankenstein" hat einen Plan

Rom · Der italienische Chirurg Sergio Canavero will noch 2017 die weltweit erste Kopftransplantation realisieren. Schwere Krankheiten, insbesondere Lähmungen, aber etwa auch Krebs oder Diabetes, könnten so besiegt werden.

 Sergio Canavero wird auch als "Rockstar der Neurochirurgie" gefeiert. Doch Kritiker bezeichnen sein Vorhaben, einen Kopf zu transplantieren, als Himmelfahrtskommando.

Sergio Canavero wird auch als "Rockstar der Neurochirurgie" gefeiert. Doch Kritiker bezeichnen sein Vorhaben, einen Kopf zu transplantieren, als Himmelfahrtskommando.

Foto: dpa

Ärzte können heute so gut wie jeden Körperteil verpflanzen. Seit Jahrzehnten sind Herz-, Nieren-, Lungen-, und Knochenmarktransplantationen möglich. Auch Arme, Hände, Haare und Gesichter sind ersetzbar. Eines der letzten Tabus der Medizin ist die Kopftransplantation. Technisch scheinbar unmöglich und ethisch fragwürdig, weil ein aus zwei Körpern zusammengesetztes Wesen den Frankenstein-Mythos und den Menschen als Schöpfergott ins Spiel bringen würde.

Himmelfahrtskommando?

Die Medizin scheut aus nachvollziehbaren Gründen vor einem derartigen Experiment zurück. Es gibt aber einen Arzt, der unbedingt den Beweis führen will, dass eine Kopftransplantation technisch möglich ist. Er heißt Sergio Canavero, 51, und hat bis vor zwei Jahren als Neurochirurg im Universitätsklinikum von Turin gearbeitet. Dann zerstritt sich der extrovertierte Italiener mit seinen Kollegen. Seither widmet sich Canavero mit noch mehr Hingabe seinem aberwitzigen Plan. "Als die Brüder Wright das erste Flugzeug konstruierten, wurden sie auch als verrückt bezeichnet", entgegnet Canavero seinen Kritikern.

Der medizinische Sinn seines Himmelfahrtskommandos leuchtet ein. Schwere Krankheiten, insbesondere Lähmungen, aber etwa auch Krebs oder Diabetes, könnten so besiegt werden. In Wirklichkeit ist die Kopftransplantation nämlich der Austausch eines kranken Körpers durch einen gesunden. Der funktionsfähige Kopf des Empfängers bekäme den gesunden Körper eines hirntoten Menschen, des Spenders. Damit hören die Gewissheiten aber auch schon auf. Es sei denn, man heißt Sergio Canavero.

"Rockstar der Neurochirurgie"

Zuletzt stellte der Arzt sein Projekt auf einem Kongress im November in Glasgow vor. Den "Rockstar der Neurochirurgie", nennt ihn der italienische Wissenschafts-Journalist Edoardo Rosati, mit dem Canavero ein Buch über sein Projekt geschrieben hat. Canavero ist muskulös, trägt Glatze und bezeichnet sich selbst als Einzelgänger, betreibt japanischen Kampfsport, spricht angeblich acht Sprachen und soll eines seiner raren Interviews sogar auf Chinesisch gegeben haben. "Er ist ein hochgebildeter Nerd", behauptet Rosati.

Seit über 30 Jahren beschäftigt sich Canavero mit der Kopftransplantation, in verschiedenen medizinischen Aufsätzen, teilweise in renommierten Zeitschriften, beschreibt der Italiener seinen verwegenen Plan. Danach würde in einem eigens einzurichtenden Operationszentrum mit bis zu 150, im Turnus arbeitenden Chirurgen, zunächst der zu versetzende Kopf auf bis zu zwölf Grad herunter gekühlt und dann vom gelähmten Körper abgeschnitten. Der entscheidende und medizinisch umstrittenste Schritt ist die notwendige Durchtrennung der Rückenmarksnerven des Empfängers und ihre Zusammenführung mit denen des fremden, gesunden Körpers.

Affe starb nach 36 Stunden

1970 gelang in den USA die Kopftransplantation bei einem Affen, der anschließend jedoch gelähmt blieb und nach 36 Stunden starb. Canavero behauptet, er habe die Lösung. Ein von Spezialisten angefertigtes, extrem scharfes Messer zur glatten Durchtrennung der Nervenfasern sowie Polyethylenglykol als Klebstoff. Die Fachwelt ist skeptisch, aber Canavero hat bereits ein Basisteam aus Ärzten in China, Südkorea und den USA beisammen, die seiner Idee folgen. "Die Wissenschaft interessiert sich für ihn, weil die Reparatur von zerstörten Nervenfasern ein großer Fortschritt wäre, etwa zur Heilung von Querschnittsgelähmten", behauptet Rosati.

Diese Perspektive ist Canaveros Trumpf, die Unbekannten sind unzählig. Welche Überlebenschancen hätte der Patient mit neuem Körper? Sind die Operation und die unkalkulierbaren Folgen einem Menschen zumutbar? Was, wenn das neue Wesen Kinder bekommt? Einen Patienten hat Canavero immerhin schon. Der an einer unheilbaren Form des Muskelschwunds erkrankte Russe Valeri Spiridonov will der erste Mensch mit einem neuen Körper sein.

Bill Gates und Marc Zuckerberg als Mäzen?

Ob Spiridonov wirklich der erste sein wird, ist ungewiss. Bis zuletzt behauptete Canavero, die Operation solle noch vor Weihnachten 2017 in China über die Bühne gehen, mit chinesischen Patienten. Inzwischen träumt er wieder, seinen Traum in Europa zu verwirklichen. Wo genau, weiß er wohl nicht einmal selbst. Dem Problem, dass Kopf und Körper sich gegenseitig abstoßen, will Canavero mit "Virtual-Reality-Training" und Psychotherapie beikommen. Auch die Finanzierung der etwa 15 Millionen Euro teuren Operation ist alles andere als gesichert. Canavero klopfte bei den US-Mäzenen Bill Gates und Marc Zuckerberg an, ohne Erfolg.

Sollte das Experiment überraschenderweise in diesem Jahr beginnen, würde Neurochirurg Canavero gar nicht persönlich eingreifen. Ihm fehlt die Operations-Erfahrung. Er würde den tollkühnen Plan im Hintergrund koordinieren, sozusagen als Kopf der ganzen Angelegenheit.

(RP)
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