Düsseldorf Dunkle Wolken über Hollywood

Düsseldorf · Der Fall Harvey Weinstein gibt Einblick in das System Hollywood: Die Traumfabrik wird von Männerbündnissen regiert. Mit den öffentlichen Vorwürfen gegen den Film-Mogul könnte sich das ändern. Das Ancien Regime scheint am Ende.

Männer sind eine komische Spezies. Nehmen wir nur mal Warren Beatty. Der brachte im Mai seinen neuen Film in die Kinos. Darin spielt er den legendären Film-Mogul Howard Hughes. Beatty ist inzwischen 80 Jahre alt, aber das hielt ihn nicht davon ab, die Rolle des Starlets, dem er sich im Film nähert, mit Lily Collins zu besetzen. Collins ist 28. Wer möchte so einen Eitelkeits-Porno sehen? Frauen? Eher nicht. Männer? Irgendwie auch nicht. Die Produktion kostete 25 Millionen Dollar und spielte magere 3,9 Millionen ein. "Box Office Bomb" nennen die Amerikaner solch einen Flop. Der Titel des Films: "Regeln spielen keine Rolle".

Es ist ein kurioser Zufall, dass dieser Film anlief, kurz bevor aufflog, wie der Produzent Harvey Weinstein offenbar über Jahrzehnte Frauen bedrängt und in mehreren Fällen sogar vergewaltigt haben soll. Der mächtige Mann und das Mädchen, das ist auch hier das Schema. Woody Allen, ein anderes Beispiel für die Eigenwilligkeit der männlichen Spezies, appellierte zunächst, man möge keine Hexenjagd veranstalten auf Weinstein und "jeden Kerl, der in einem Büro einer Frau zuzwinkert". Zur Erinnerung: Allen wird von seiner Tochter beschuldigt, sie als Siebenjährige missbraucht zu haben. Gestern stellte Allen dann klar, er sehe in Weinstein einen "traurigen, kranken Mann".

Hollywood mutet an wie ein Becken voll Testosteron. Die Filmindustrie hielt sich stets zugute, liberal zu sein und in großen Teilen die Demokraten zu unterstützen - gerade Weinstein war ja einer von Hillary Clintons großen Geldgebern. Aber La La Land wird von einem Männerbund regiert, Gleichberechtigung existiert nicht.

"Männer machen Geschäfte, Frauen ihre Haare", so charakterisiert die Kritikerin Kate Muir das Filmbusiness in der "Financial Times". 2015 wurde Frauen beim Filmfest in Cannes, wo Weinstein stets wie ein Sonnenkönig regierte, der Zutritt zum Roten Teppich verwehrt, weil sie keine High Heels trugen. Die Top-Schauspieler verdienen drei Mal so viel wie ihre bestbezahlten Kolleginnen. 70 Prozent der Hauptfiguren in Filmen der letzten Jahre sind männlich. 97 Prozent der Kameraleute sind männlich.

Es könnte sein, dass Hollywood lange Zeit an den Bedürfnissen des Publikums vorbeiproduziert hat. Schließlich sind 52 Prozent der Kinobesucher Frauen. Zuletzt dominierten Neuauflagen alter Stoffe und Verfilmungen von Comics die Kinocharts. Das lockte jüngere Zuschauer. Die bleiben allmählich aber aus; Hollywood-Produktionen finden immer weniger Zuspruch bei der Gruppe der bis 25-Jährigen.

Vielschichtige Rollen auch für ältere Frauen findet man hingegen in Fernsehproduktionen. Claire Underwood in "House Of Cards" etwa. Ein Talent wie die Regisseurin Jane Campion ("Das Piano") hat das Kino denn auch aufgegeben und die viel beachtete TV-Serie "Top Of The Lake" gedreht. Hollywood spürt seit einiger Zeit, dass es das Monopol auf das Erzählen von Geschichten verliert. Vor allem auf das Erzählen neuer Geschichten.

Wahrscheinlich wurden die Vergehen Weinsteins nur deshalb öffentlich. Den Produzenten hatte das Glück verlassen, der Start seines Kostümfilms "Tulpenfieber" wurde mehrfach verschoben, das Drama floppte. Er musste Leute entlassen. Inzwischen droht seinem Studio der Verkauf. Weinstein war also bereits angeschossen. Ebenso Roy Price, Chef der Amazon-Unterhaltungssparte, der jüngst wegen Belästigungsvorwürfen suspendiert wurde. Er hatte die bei einem zumeist weiblichen Publikum populären Serien "Big Little Lies" und "The Handmaid's Tale" abgelehnt. Anderswo wurden sie dann zu Hits.

Nur: Warum hat vorher nie jemand öffentlich über Weinstein geredet? Anscheinend haben es doch alle gewusst. Aber es gab bloß Andeutungen. Wie jene von Courtney Love, die Kolleginnen schon 2005 diesen Rat gab: "Wenn dich Harvey Weinstein zu einer Party ins Four Seasons einlädt, geh nicht hin!"

Die Filmemacherin Lena Dunham verriet in der "New York Times", auch sie sei von einem Mann aus der Branche belästigt worden. Erst nachdem sie quälend lange befragt worden sei und viel Zeit verging, wurde der Mann suspendiert. Männer decken einander, es herrscht eine Art Schweigegelübde. Omertà. Wie bei der Mafia. Hollywood ist ein System, das auf Angst gründet. Wer aufsteigen möchte, ist auf Empfehlungen angewiesen. Und wer sich wehrt oder Alarm schlägt, wird nicht empfohlen.

Die US-Essayistin Rebecca Solnit hat so gesehen den Text der Stunde geschrieben: In ihrem bislang nur auf Englisch erschienenen Buch "The Mother of All Questions" schlüsselt sie auf, wie Männergesellschaften durch die Jahrhunderte Frauen das Recht zu reden entzogen. Gewalt gegen Frauen sei Gewalt gegen die Geschichten, die sie zu erzählen haben, schreibt Solnit. Im Prozess gegen den früheren IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn etwa, der 2015 wegen Zuhälterei vor Gericht stand, konstatierte die Anklage ein "veritables Gesetz des Schweigens", dem sich die Frauen bei Gericht fügten. Auch Weinstein soll sich mit Frauen außergerichtlich geeinigt haben: Stillschweigen. Geld gegen Sprachlosigkeit.

Hinzu kommt, dass so mancher ebenfalls nicht frei ist von Schuld. Ben Affleck wagte sich früh vor und schüttelte bei Twitter über Weinstein den Kopf. Er wurde bald mit eigenen Verfehlungen aus dem Jahr 2003 konfrontiert, als er eine Moderatorin begrapscht hatte.

Schauspielerin Ashley Judd brachte den Stein durch ihre Anschuldigungen gegen Weinstein ins Rollen. Vielleicht wird den Männern Hollywoods nun der Rote Teppich unter den Füßen weggezogen. Frauen verschaffen sich Gehör, erzählen ihre Geschichten. Wie passend: Der erfolgreichste Film 2017 ist "Wonder Woman". Die Produktion hat fast eine Milliarde Dollar eingespielt. Für die Fortsetzung soll Patty Jenkins das höchste Honorar erhalten, das eine Regisseurin je bekam: neun Millionen Dollar. Es ist ein Anfang.

(hols)
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