Ein Lob auf die Sommerzeit

Sommerzeit ist, wenn man nach Hause kommt und das Schlüsselloch findet, ohne eine Taschenlampe zu benutzen. Wenn man nach einem langen Arbeitstag nicht müde ins Bett fällt, sondern Energie verspürt, um eine Runde mit dem Fahrrad zu fahren. Winterzeit hingegen ist, wenn man um 18 Uhr die Jalousien runterlässt, weil man draußen ohnehin nichts mehr sieht. Sommerzeit bedeutet Entscheidungsfreiheit, Winterzeit heißt Gebundensein an die eigenen vier Wände.

In der Winterzeit ist der Tag vorbei, wenn die Arbeit vorbei ist. Die Sommerzeit beschert uns lange, helle Abende voller Tatendrang. Kann es also etwas Schöneres als die Sommerzeit geben?

Sieben Monate im Jahr ist Sommerzeit. Sie ist gewissermaßen der Normalzustand. Wie einfach erscheint das Leben, wenn das ganze Jahr lang Sommerzeit wäre. Morgens beginnt der Tag zwar eine Stunde eher, dafür ist länger Feierabend. Warum lassen wir uns Sonntagnacht wieder dazu verpflichten, unsere Tage kürzer und damit unattraktiver zu machen - obwohl doch keine Notwendigkeit mehr dazu besteht? Früher hoffte man, mit der Sommerzeit Energie zu sparen. Doch das ist längst nicht mehr so.

Wollen wir die Revolte anzetteln? Freiwillig auf die eine geschenkte Stunde verzichten? Und dafür ein halbes Jahr profitieren? Stellen wir uns vor, dass wir die Uhr am Sonntag nicht zurückdrehen. Wir wären am Montag die Ersten im Büro, könnten in Ruhe den ersten Kaffee des Tages trinken und eine Menge wegarbeiten. Und dann, nach ein paar Stunden, würden wir fröhlich in die Runde nicken und einen schönen Feierabend wünschen, während es den anderen langsam dämmert, dass es bei ihnen schon dämmern wird, wenn sie den ersten Fuß aus dem Büro setzen werden.

Befürworter der Winterzeit argumentieren mit der Gemütlichkeit, denn es ist das einzige Argument, das bleibt. Doch was ist damit: Zur Sommerzeit lächeln die Menschen mehr. Vitamin D braucht der Mensch, kriegt er im Winter aber zu wenig. Und frische Luft auch. Zur Sommerzeit ist es leichter, Menschen zu treffen, denn keiner verschanzt sich in der Wohnung. Kinder können draußen spielen und gehen ihren Eltern nicht auf die Nerven, weil sie sich drinnen nicht austoben können.

"Summertime", singt Porgy für seine Bess in George Gershwins gleichnamigem Bühnenstück, "and the living is easy". So einfach könnte es sein.

(RP)
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