Ein Schrei nach Liebe

Nach dem plötzlichen Tod des Sängers der Band Linkin Park trauern Millionen Fans auf der ganzen Welt um ihn. Chester Benningtons Bewunderer wussten: Gewalt und Verzweiflung waren Teil seines Lebens. Ein Fan nimmt Abschied.

Er hat es angekündigt. Nicht direkt, nicht mit unmissverständlichen Worten. Und doch war da immer diese Warnung: Hört mich an, ich will nicht mehr.

Nun also auch Chester Bennington. Obwohl wir in einer Zeit leben, in der es einem vorkommen kann, als würde jede Woche der Tod eines neuen großen Künstlers vermeldet, sticht der Tod des Linkin-Park-Frontmanns auf besondere Weise hervor. Nicht nur, weil es sich ersten Meldungen zufolge um einen Suizid handelt. Vor allem deshalb, weil es ein Ende ist, das man hätte vorausahnen können. Wenn Künstler sterben, neigt man dazu, ihr Lebenswerk im Licht ihres Todes zu betrachten. Chester Benningtons Vermächtnis ist ein musikalischer Hilferuf.

Bevor Bennington seinen Kindheitstraum erfüllen konnte, Musiker zu werden, glich seine Jugend einem Albtraum. Seine Eltern, ein Polizist und eine Krankenschwester, ließen sich scheiden, als er elf Jahre alt war. Vor wenigen Jahren machte der Musiker zudem öffentlich, dass er in seiner Kindheit von einem Freund seiner Mutter sexuell missbraucht worden war. Wie so oft, wenn Kinder mit traumatischen Einschnitten konfrontiert sind, kanalisierte auch Bennington das Erlebte in kreativen Output: Mit einem Jugendfreund gründete er 1993 seine erste Band, "Sean Dowdell and his Friends".

Tragischerweise brachte Bennington neben Kreativität aber auch die zweite Zutat mit, die es - geht es nach stereotypen Vorstellungen - braucht, um als Rockstar Karriere zu machen: eine handfeste Drogensucht. Dem Vernehmen nach konsumierte Bennington die gesamte Palette populärer Rauschmittel: Alkohol, Marihuana, LSD, Crystal Meth.

Der Karriere tat das keinen Abbruch. Benningtons erste Band ereilte 1998 zwar das Aus, schon ein Jahr später aber stieß er als Sänger zur Band "Xero", jener Gruppierung, aus der wenig später eine der erfolgreichsten Bands der amerikanischen Musikgeschichte werden sollte: Linkin Park.

Mit Chester Bennington als Frontmann erreichte die Band schnell schwindelerregende Höhen. Schon das erste Album "Hybrid Theory" - der Name, den die Band zwischenzeitlich getragen hatte - wurde mehr als 27 Millionen Mal verkauft. Insgesamt sollte Linkin Park bis zum Tod Benningtons mit fünf Alben die US-Charts anführen.

Wie immer kam mit dem Licht auch Schatten. War das Debüt-Album noch als Erfolg der Nu-Metal-Band gefeiert worden, riefen zunehmende Pop-Anklänge Kritiker auf den Plan. Für eine Rockband sei die Musik zu sehr kompatibel mit dem Mainstream, hieß es. Eine vermeintliche Stärke Benningtons und der Band, wandelbar und breit aufgestellt zu sein, wurde ihnen als Schwäche ausgelegt. Auch die gezielte Vermarktung - Linkin Park traten in der Musiksendung "Top of the Pops" auf, brachten ein Videospiel heraus und waren etwa in der "Bravo" zu sehen - stieß Beobachtern sauer auf.

Chester Bennington sprach offen über Depressionen. Es klingt tragisch, aber die Dämonen, wie er sie nannte und über die er sang, waren sein größtes musikalisches Pfund. Wurde er auch wegen seiner stimmlichen Breite gefeiert, seine Texte waren das, was ihn ausmachte. Man mag der Band vorhalten, über die Jahre eine weichgespülte Ausgabe ihrer selbst geworden zu sein. Ihre Botschaften aber blieben so bedrückend wie beeindruckend.

In Benningtons Fall waren seine erfolgreichsten Kompositionen immer auch ein Klageruf. Einer der bekanntesten Refrains der Band stammt aus einem ihrer größten Hits. "I'm tired of being what you want me to be", singt Bennington da. Ich möchte nicht das sein, was ihr von mir erwartet.

Der Tod von Menschen hat die paradoxe Eigenschaft, anderen die Augen zu öffnen. Hätten wir das nicht alles kommen sehen müssen? Waren wir blind? Taub? Es lässt einen schwer schlucken, hört man Benningtons Texte im Licht seines Endes. "Sometimes solutions aren't so simple. Sometimes goodbye's the only way", singt er in "Shadow of the day" - manchmal sind Lösungen nicht so einfach, ein Abschied ist der einzige Ausweg. Er schließt die Blenden seiner Fenster und dreht sich vom Geschehen weg. Wäre es eine Verklärung seines Lebenswerks, darin einen Hinweis auf Todessehnsucht zu sehen? Vielleicht. Vielleicht aber ist jetzt erst klar, wie ernst es ihm war, wie verzweifelt er gewesen sein muss, solche Gedanken auf der großen Bühne in die Welt zu schreien. Und wie hilflos Fans, Familie und Kritiker angesichts ihrer Taubheit gewesen sind.

Soundgarden-Sänger Chris Cornell, ein guter Freund, hatte sich Mitte Mai das Leben genommen. "Ich kann mir keine Welt ohne dich vorstellen", schrieb Bennington damals über den Verlust seines Freundes. An Cornells 53. Geburtstag nahm sich Chester Bennington das Leben. Er hinterlässt eine Ehefrau und sechs Kinder, trauernde Bandmitglieder und Fans. In den kommenden Tagen sollte Linkin Parks Welttournee starten. Mit Sicherheit hätte Bennington auch das neue Album, "One More Light", präsentiert. Titel eins: "Nobody can save me". Niemand kann mich retten.

(tsp)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort