Köln Einkaufswagen für die Selbstständigkeit

Köln · Der alltägliche Einkauf im Supermarkt ist gerade für Rollstuhlfahrer nicht immer leicht. Spezielle Einkaufswagen würden den Betroffenen helfen - und sie unabhängiger machen. Doch kaum ein Supermarkt schafft die Wagen an.

Wenn Lukas Schiwy einkauft, zieht er die Blicke auf sich. Es liegt nur zum Teil daran, dass er im Rollstuhl sitzt. Auch nicht nur an der angeborenen Fehlbildung, wegen der ihm ein Bein fast ganz fehlt und Unterschenkel und Fuß am vorhandenen Bein verformt sind. Denn vor allem durch eine andere Sache fällt der 22-Jährige auf: Den kleinen, roten Einkaufskorb muss er immer wieder von der einen Hand in die andere nehmen, um mit der jeweils freien Hand seinen Rollstuhl anzuschieben. "Rumhampeln" nennt er das. Erst, wenn genug Waren im Korb liegen, der Korb schwer genug ist, kann er ihn auf dem Schoß balancieren. Dabei gäbe es eine einfache Lösung für seine Situation: Einkaufswagen für Rollstuhlfahrer.

Solche Einkaufswagen sind etwas niedriger als die für Fußgänger, man befestigt sie vorne am Rollstuhl. So hat der Rollstuhlfahrer die Hände frei und kann mehr Waren transportieren. Nach Schätzungen von IT.NRW leben rund 350.000 Rollstuhlfahrer in NRW. Doch nur vereinzelt findet man die speziellen Wagen im Supermarkt. In einem Markt in Kaarst, wo Schiwys Eltern wohnen, hat der Rollstuhlfahrer zwei Mal den Kauf eines solchen Einkaufswagens angeregt. Die Reaktionen waren positiv, die Mitarbeiter wollten die Idee weitergeben - passiert ist nichts. Die Supermarktketten verweisen auf Anfrage unserer Redaktion darauf, dass die Entscheidung für oder gegen einen solchen Wagen bei den Filialleitern liege. Man müsse den Bedarf vor Ort beachten, heißt es zum Beispiel von Rewe. "Es ist nicht sinnvoll, wenn ein solcher Wagen vier Jahre herumsteht", erklärt eine Sprecherin.

In einem Supermarkt in Köln fährt Lukas Schiwy durch die Regalreihen. Für Rasierklingen muss er ins obere Stockwerk. Die Laufbänder, die nach oben führen, darf er wegen der Versicherung nicht benutzen. Obwohl er es könnte: Schiwy ist Sitzvolleyballer und war 2016 bei den Paralympics in Rio. Er hat einen breiten Oberkörper, starke Arme. Problemlos könnte er sich an den Handläufen festhalten und nach oben ziehen lassen. Doch stattdessen zeigt ein Mitarbeiter ihm einen anderen Weg: Ein Rolltor führt ins Lager, dahinter befindet sich ein kleines Labyrinth aus Paletten mit H-Milch, Klopapier und Tierfutter. Ganz hinten ist der Lastenaufzug. Schiwy muss den Einkaufskorb wieder von der einen in die andere Hand nehmen, um vorwärts zu kommen. Es ist mühsam, selbst für einen Paralympioniken.

Oben ist auch die Getränkeabteilung und damit das nächste Problem: "Ich könnte einen Sixpack Bier auf mein Fußbrett stellen", sagt Schiwy. Doch einen ganzen Kasten? Keine Chance. Bei Großeinkäufen kommt deswegen seine Freundin mit. Sowieso kämen Rollstuhlfahrer selten alleine, weiß der stellvertretende Filialleiter. Und wenn doch, könne ein Mitarbeiter helfen. Aber genau darum geht es Schiwy: nicht auf Hilfe angewiesen zu sein. "Ich möchte möglichst alles selbstständig machen", sagt er.

Doch immer wieder trifft er auf Barrieren im Alltag. Zum großen Supermarkt kommt er nur mit dem umgebauten Auto, weil die Bahnstation vor seiner Tür nur teilweise barrierefrei ist. In der Uni braucht er für die Stufen im Flur mehrere Minuten, weil die Hebebühne für Rollstühle Jahrzehnte alt ist. Und immer wieder der Supermarkt. Es werde viel über Inklusion gesprochen, sagt Schiwy, "doch wenn ich meinen Einkauf nicht vernünftig machen kann, bringt das kaum was". Dabei wäre ein Einkaufswagen für Rollstuhlfahrer gar nicht so teuer. Warum also schaffen die Supermärkte die Wagen nicht an? Schiwy weiß es aus Erfahrung: "Wenn es keine Auflagen gibt, wird oft nichts gemacht."

(mre)
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