Leverkusen Eltern stellen Anzeige gegen Betreuer

Leverkusen · Weil ihre behinderte Tochter von zwei Betreuern in einer Behindertenwerkstatt in Leverkusen gedemütigt wurde, wollen die Eltern rechtliche Schritte einleiten. Eine RTL-Sendung hatte die Erniedrigungen aufgedeckt.

Nach den Enthüllungen der RTL-Sendung "Team Wallraff" über Missstände in der Behindertenwerkstatt der Lebenshilfe in Leverkusen erheben die Eltern einer betroffenen behinderten Frau schwere Vorwürfe gegen den Träger. "Mehrere Personen müssen tatenlos zugesehen haben, das jedenfalls ergibt sich aus dem Filmbeitrag", sagen die Eltern, die ihren Namen nicht nennen möchten. Gegen die Lebenshilfe und die beiden von der Arbeit freigestellten Betreuer, die ihre Tochter aufs Schwerste gedemütigt haben sollen, wollen die Eltern nun rechtlich vorgehen und Strafanzeige stellen. "Die Überwachung des Personals funktioniert nicht. Selbst wenn die Leitung integer sein sollte, hat sie die Organisation nicht im Griff", sagt Thomas Nolte, der Anwalt der Familie. "Wir fordern eine lückenlose Aufklärung und weitere Konsequenzen."

Anders als etwa Altenheime oder Wohnheime werden Behindertenwerkstätten nicht von einer externen Institution überprüft. "Wohnheime werden von den kommunal organisierten Heimaufsichten im Schnitt einmal pro Jahr unangekündigt kontrolliert", sagt Christian Dopheide, theologischer Vorstand der Behinderteneinrichtung Hephata aus Mönchengladbach. Dabei würden die Mitarbeiter unter die Lupe genommen und zum Beispiel die Hilfspläne für die Bewohner und die gesamte Organisationsstruktur der Heime überprüft. Die Werkstätten dagegen gälten als normale Arbeitsstätten, in denen lediglich das übliche Arbeitsschutzrecht greife.

RTL hatte am Montag in der Sendung "Team Wallraff" Szenen gezeigt, in denen eine schwerbehinderte Frau in einer Leverkusener Werkstatt von zwei Betreuern gedemütigt wird. Die beiden Betreuer wurden vor zwei Tagen freigestellt, die gefilmten Szenen liegen aber teils mehr als ein Jahr zurück. Nach Angaben der Familie waren die Namen der beiden nun freigestellten Betreuer der Werkstattleitung schon Anfang 2016 bekannt.

Die Familie hatte einen anonymen Anruf von einer Frau erhalten, die sich als Freundin einer Mitarbeiterin der Einrichtung ausgab. Der Anruf kam in Wahrheit von RTL. "Die Anruferin schilderte, dass es unserer Tochter dort nicht gut gehe. Wir haben unmittelbar reagiert", sagt der Vater. In dem anonymen Gespräch seien nicht alle Details genannt worden, die nun bekannt wurden. Die Eltern vereinbarten dennoch einen Termin mit der Werkstattleitung. Das Gespräch sei angenehm verlaufen. "Wir haben die Werkstattleitung beauftragt, Maßnahmen einzuleiten. Bald darauf haben die beiden nun freigestellten Mitarbeiter zusätzlich um ein Gespräch gebeten", so der Vater. "Dort sind wir von den beiden belogen worden." Man habe der Familie versichert, alles laufe ordentlich. Die Familie glaubte das, denn die Enthüllungsaufnahmen hatte sie bis dahin nicht gesehen. Die sahen die Eltern erst jetzt im Fernsehen. Wenige Stunden zuvor hatte der Sender sie telefonisch informiert.

Die Lebenshilfe sagt, die beiden Mitarbeiter seien bis zuletzt unauffällig gewesen. Man habe sie erst jetzt freistellen können, weil RTL den Vorfall nicht früher offiziell mitgeteilt habe. Konfrontiert mit den Vorwürfen der Familie bekräftigte Geschäftsführer Harald Mohr gestern, er habe im Januar 2017 durch RTL Kenntnis über die Vorgänge bekommen, die Namen der Mitarbeiter kenne er seit Februar. Mohr bestätigte, dass es Anfang 2016 ein Gespräch der Eltern mit dem Werkstattleiter gab. Genaueres habe er aber erst im Januar erfahren.

Dass RTL die Heimleitung erst über ein Jahr nach den Aufnahmen mit den Beobachtungen konfrontiert haben soll, kritisierte Mohr schon am Dienstag. Hätte der Sender nicht weitere Misshandlungen durch eine frühere Meldung verhindern können beziehungsweise müssen? Nach Angaben des Rechtswissenschaftlers Thomas Hoeren von der Universität Münster hat RTL sich nicht strafbar gemacht. Wenn überhaupt sei dem Sender unterlassene Hilfeleistung vorzuwerfen. Aber auch nur dann, wenn sich die betroffenen Menschen in einer akuten Notlage befunden hätten. "In den gezeigten Aufnahmen war das aber nicht der Fall", so der Rechtswissenschaftler. Nur wenn unveröffentlichte Aufnahmen anderes zeigten, sei der Fall neu zu betrachten. Der Düsseldorfer Anwalt Udo Vetter bestätigt das: "Man kann bei den ausgestrahlten Aufnahmen rein rechtlich nicht direkt von Misshandlungen sprechen." Eher handle es sich um Respektlosigkeit und fehlende soziale Kompetenzen der nun freigestellten Betreuer.

Der Sozialverband NRW hofft, dass von dem Einzelfall nicht auf die Masse geschlossen wird. "Das Geschehene macht betroffen, aber deshalb sind nicht alle Werkstätten schlecht", sagt Sprecher Matthias Veit. Dieser Aspekt sei in der Sendung zu kurz gekommen. "Es war einfach nur reißerisch", so Veit.

(RP)
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