"Sunday Assembly" Englische Atheisten erfinden Gottesdienst ohne Gott

London · Merkwürdige Dinge geschehen in der Conway Hall im Londoner Stadtteil Holborn. Man könnte meinen, es wäre ein Gottesdienst. Es ist Sonntag, rund 400 Menschen sitzen in langen Reihen auf harten Stühlen. Vorn spricht jemand vom besseren Leben, dann wird gemeinsam gesungen. Schließlich gibt es eine Kollekte, dann noch ein Lied, dann ist Schluss. Doch es ist kein Gottesdienst, von Gott fehlt jede Spur, von Gebeten auch.

 Im Internet wirbt die Gruppe auf einer Webseite für ihre Veranstaltungen.

Im Internet wirbt die Gruppe auf einer Webseite für ihre Veranstaltungen.

Foto: Screenshot

Was wie Kirche aussieht, nennt sich schlicht "Sunday Assembly", Sonntagsversammlung. Es ist, und das klingt paradox: eine Gemeinde von Atheisten. Die Sunday Assembly ist der Einfall von Sanderson Jones.

Er habe den Einfall dazu gehabt, erzählt er, als er vor Jahren einem Weihnachtsgottesdienst beiwohnte: "Da gab es so viel, was ich gern mochte. Aber leider war der Kern etwas, an das ich nicht glaube."

Die Lieder, die Geschichten, die Gemeinschaft, die Besinnung — alles wunderbar, wenn nur die Religion nicht wäre. Vor rund einem Jahr veranstaltete Sanderson die erste Assembly in einer säkularisierten Kirche im Stadtteil Islington.

Seitdem hat es ein phänomenales Wachstum gegeben. Mittlerweile gibt es Sonntagsversammlungen in 37 Städten in Großbritannien, den USA und Australien. "Wir wachsen um 3000 Prozent", freut sich Sanderson, "und damit schneller als jede Kirche der Welt."

Man darf abwarten, wie nachhaltig der Erfolg sein wird. Aber es ist nicht abzustreiten, dass die Sonntagsversammlungen einen Nerv der Zeit treffen. Worum es im Kern geht ist: Gemeinschaft. In Zeiten der allgemeinen Vereinzelung und der säkularen Atomisierung der Gesellschaft dient die Assembly als eine Art Anti-Einsamkeits-Kirche. Selbst Christen sind willkommen.

Das zieht viele Menschen an. Die Konkurrenz sieht es mit Neid. Die Assembly, so war jüngst in der "Church Times", der Zeitung für die Anglikanische Kirche, zu lesen, sei "viel näher an authentischer Religion als die verknöcherten Gottesdienste in vielen Kirchen".

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