Düsseldorf/Kathmandu Wettlauf auf den Dächern der Welt

Düsseldorf/Kathmandu · Ist Extrembergsteiger Ueli Steck am Mount Everest tödlich verunglückt, weil er eine noch unerschlossene Route meistern wollte? Auf dem Weg zum Gipfel wagen sich erfahrene Alpinisten auf immer extremere Routen.

Diese Herausforderungen für Bergsteiger sind bisher nicht bewältigt.

Diese Herausforderungen für Bergsteiger sind bisher nicht bewältigt.

Foto: Ferl

Die Zone oberhalb von 7500 Höhenmetern gilt unter Bergsteigern als "Todeszone". Der Körper reagiert mit Kopfschmerz, Schwindelgefühl und Verwirrtheit, das Herz rast - Symptome einer Höhenkrankheit, die es dringend zu vermeiden gilt. Höhenbergsteiger müssen sich dem Berg anpassen, sich an Sauerstoffmangel und veränderten Luftdruck gewöhnen. Ganz langsam, ganz sachte. Genau das hatte der 40-jährige Ueli Steck vor.

Der Schweizer wollte die Gipfel des Mount Everest und des daneben gelegenen Lhotse innerhalb von 48 Stunden überqueren. Und zwar ohne künstlichen Sauerstoff. Denn der ist unter Profibergsteigern längst verschrien. Doch bevor sich der erfahrene Bergsteiger Steck an den eigentlichen Rekordversuch wagen konnte, stürzte er im Everest-Gebiet mitten in der Phase der Akklimatisation in den Tod. Nun glaubt Reinhold Messner, Steck habe einem weitaus größeren Rekord nachgejagt.

Reinhold Messner ist einer der bekanntesten Bergsteiger der Welt. Er zählt zum Kreis der Erlesenen, der Bezwinger aller 14 "Achttausender". Der Südtiroler hat 1978 den Mount Everest ohne künstlichen Sauerstoff bewältigt. Ohne Sauerstoffflasche erreichte er auch alle anderen Gipfel der "Achttausender". Ausgerechnet Messner mutmaßt nun zum tödlichen Unfall von Ueli Steck, dass der erfahrene Schweizer nicht zum Akklimatisieren am Mount Everest war, sondern um die bisher ungelöste Everest-Nuptse-Lhotse-Überschreitung zu bewältigen, die Kenner nur "großes Hufeisen" nennen. "Vielleicht hatte es sich Ueli Steck zum Ziel gesetzt, eben diese unmögliche Tour zu schaffen", sagte Reinhold Messner nun der Tageszeitung "Südostschweiz".

Das "große Hufeisen" gilt als eine der gefährlichsten, nie passierten Routen in der Szene der Profi-Höhenbergsteiger. Es führt durch das Tal des Schweigens am Mount Everest, vom "Western Cwm" hinauf auf den Nuptse. Vom Nuptse, einem Siebentausender im Himalaya, führt ein langer Grat hinunter auf den Südsattel. Vom Gipfel des Everest ginge es theoretisch über den Westgrat zurück in das Tal des Schweigens. Selbstverständlich ohne Sauerstoffflasche, denn die gilt ja als "unsportlich". Doch allzu oft waren es Unwetter, Lawinen oder andere Launen des Bergs, die ihren Tribut forderten.

Der Trend des Höhenbergsteigens geht hin zu einer gefährlichen Formel: höher, schneller, extremer. Technik und Ausrüstung werden besser. Die Profis suchen sich immer waghalsigere Aufgaben. Mal geht es darum, bestimmte Routen in möglichst kurzer Zeit zu klettern, mal geht es um besonders schwierige Routen entlang der höchsten Bergpässe der Welt.

Schon die Geschichte des Höhenbergsteigens in Europa beginnt in den 1930er Jahren mit einem Wettlauf. Und zwar in den Alpen. Gesucht wird damals der erste Bergsteiger, der die Eiger-Nordwand bezwingen kann. Viele scheitern. Einige sterben. 1938 erst gelingt es Anderl Heckmair, Ludwig Vörg, Heinrich Harrer und Fritz Kasparek, das Projekt in den Alpen erfolgreich abzuschließen. Auch Maurice Herzog und Louis Lachenal haben einen Platz in den Geschichtsbüchern. 1950 erklimmen die beiden den Gipfel der 8078 Meter hohen Annapurna I. und sind die ersten Menschen der Welt, die auf einem Berg stehen, der höher ist als 8000 Meter. Sie läuten das "Jahrzehnt der Achttausender" ein. Zwölf der 14 Achttausender werden alsbald bestiegen. Und dann der Rekord, den die Welt bis heute nicht vergessen hat: Gemeinsam mit Sherpa Tenzing Norgay erreicht der Neuseeländer Edmund Hillary am 29. Mai 1953 den Gipfel des Mount Everest, des höchsten Berges der Welt.

"Es ist nicht der Berg, den wir bezwingen. Wir bezwingen uns selbst", sagte Sir Edmund Hillary, der nach der Besteigung in den britischen Adelsstand erhoben und von den Medien gefeiert wurde. Hillary hatte immer diese besondere Sicht auf die Berge. Er bewundere sie. "Die Berge fordern dich in gewisser Hinsicht heraus. Und durch das Besteigen nimmst du ihre Herausforderung an."

Eine Herausforderung, vielleicht auch die Sehnsucht nach Aufmerksamkeit und Respekt, der Höhenbergsteiger noch heute fast alles unterordnen. Zwar suchen mittlerweile auch viele Extremkletterer den "Kick" an kleineren Bergen. Etwa an Sechs- und Siebentausendern, die sie ohne Flaschensauerstoff, aber eben auch ohne Touristen angehen können. Die Prestige-Projekte warten aber nach wie vor an den höchsten Gipfeln der Welt.

Seit Norgay und Hillary sind Jahrzehnte vergangen. Doch auch der höchste Berg der Welt zeigt den Höhenbergsteigern bis heute Grenzen auf. Der "Fantasy Ridge" folgt einer Route rechts um die Bergwand des Mount Everest. Die Ostseite gilt als stark lawinengefährdet und ist deshalb bis heute von keinem Bergsteiger versucht worden "Nur in der Fantasie kann über diesen Pfeiler ein Aufstieg erfolgen," sagte der britische Bergsteiger George Mallory einmal über diesen Pass. Seither heißt er "Fantasy Ridge".

An der Westwand des Makalu (8485 Meter) in China haben sich ebenfalls oft genug Bergsteiger versucht, den Aufstieg am fünfthöchsten Berg der Welt aber nie geschafft. Nicht nur in Nepal, auch in Pakistan warten Aufgaben: Aufstiege über die "Kangshung"-Ostwand des Masherbrum oder die Nordwand des Latok 1 sind bisher gescheitert. Noch nie hat ein Mensch diese Pässe überwinden können. Doch sie stehen auf den Listen derer, die den Trend des Bergsteigens leben: nicht die normalen Wege zu gehen, sondern stets die extremen. Und die ihnen einen Platz in den Geschichtsbüchern neben Hillary, Messner und Steck sichern sollen.

(ball)
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