Unternehmen Familie Lass sie doch!

Düsseldorf · Frauen stehen viele Lebensmodelle offen. Frei in ihrer Wahl sind sie dennoch nicht, denn es gibt mächtige Vorstellungen in der Gesellschaft, welche Rollen erwünscht sind. Kinderlosigkeit etwa gilt noch immer als Mangel.

Unternehmen Familie: Lass sie doch!
Foto: Nik Ebert

Frauen jenseits der 30, die keine Kinder bekommen, kennen diesen Satz: Du wirst es bereuen! Manchmal hören sie ihn direkt ausgesprochen von Menschen, die ihnen nahestehen. Manchmal ist er nur die heimliche Botschaft in scheinbar harmlosen Nachfragen. Etwa zur weiteren Lebensplanung: Wie lange seid ihr noch mal verheiratet? Oder: Wie viele Zimmer hat das neue Haus? Manchmal liegt die Drohung auch nur in diesem "Du wirst schon sehen"-Blick.

Denn so vielfältig Lebensmodelle von Frauen in Deutschland auch geworden sind, die unterschiedlichen Rollenmodelle stehen keineswegs gleichwertig nebeneinander: Die Vater-Mutter-Kind-Idylle ist immer noch das mächtige Ideal, wenn auch inzwischen angepasst an die Bedürfnisse des modernen Arbeitsmarkts. Natürlich ist die Mutter heute eine berufstätige Frau, die sich die Familienarbeit selbstbewusst mit Partner oder Partnerin teilt. Doch gehalten hat sich die Vorstellung, dass ein wirklich erfülltes Leben nur gelingen kann, wenn eine Frau eben auch Mutter, ein Paar auch Eltern wird. Über Kleinkindbetreuung, Arbeitszeitmodelle und Ansprüche an die neuen Väter und flexiblen Mütter mag man streiten. Keine Kinder zu bekommen, gilt immer noch als Mangel, als Schicksalsschlag oder trauriger Entschluss. Du wirst es bereuen!

Bemerkenswert ist, dass es oft die Frauen selbst sind, die rigide urteilen. Mütter schimpfen über "Karrierefrauen", die keine Ahnung hätten, wie anstrengend ein Tag mit Kind wirklich ist. Frauen, die sich für ein Leben ohne Kind entscheiden, lästern über Latte-Macchiato-Mamas, betonen, dass ein Leben zwischen Kita und Kinderkrempel wirklich nichts für sie wäre und die Teilzeit-Kolleginnen nie da sind, wenn die Arbeit wirklich drängt.

Gerade wenn es um weibliche Rollenmodelle geht, erscheint der Druck enorm, den eigenen Lebensweg zu rechtfertigen. Und da verfallen auch Frauen leicht in das bekannte Schema: Alternativen abwerten, um sich selbst besser zu fühlen. Als gäbe es den einen goldenen Weg. Als könnten nicht viele verschiedene Formen, sein Leben anzunehmen und zu gestalten, nebeneinander bestehen.

Wie stark die Kräfte sind, die gerade in Frauenfragen bestehende Normen verteidigen, zeigt sich gelegentlich, wenn Studien erscheinen, die gängigen Vorstellungen widersprechen. Etwa jene Befragung der israelischen Soziologin Orna Donath "Regretting Motherhood - Mutterschaft bereuen", in der eine recht übersichtliche Anzahl an Frauen bekannte, dass sie ihre Kinder zwar lieben und auch nicht weggeben wollten - aber die Tatsache bereuten, welche bekommen zu haben.

Als die Studie erschien, wurde nicht etwa über unzureichende Betreuungsangebote, kinderfeindliche Arbeitswelten oder aktivere Väter diskutiert, sondern darüber, ob Frauen unmütterliche Gefühle haben dürfen. Und ob sie öffentlich eingestehen sollten, dass sie Frust, Überdruss, Sehnsucht nach einem selbstbestimmteren Leben empfinden. Sofort war von Jammermüttern die Rede, auch unter Frauen. Als müsse die Gesellschaft ein goldenes Mutterbild verteidigen, an das sie selbst gar nicht glaubt. "Wir bereuen berufliche Entscheidungen, wir bereuen Tattoos, Partner, Ehen - warum nicht auch die Entscheidung für Kinder?", fragte Donath in einem Interview. Da hatte man sie bereits mit Häme und Hassmails überschüttet. Als seien Frauen schlechte Mütter, nur weil sie mit der gesellschaftlichen Rolle hadern, in die sie mit dem Ja zum Kind geraten sind.

Jahrzehnte des emanzipatorischen Kampfes haben Frauen also eine neue Vielfalt möglicher sozialer Rollen eröffnet. Zugangsschranken etwa zu Studium und traditionellen Männerberufen sind gefallen, aber in der Gesellschaft herrschen noch immer strikte Vorstellungen davon, was Frauen glücklich zu machen hat. Welche Rollen insgeheim erwünscht sind.

Das wird deutlich, wenn Kritik an Frauen in Führungspositionen mit Hinweisen auf ihre Kinderlosigkeit garniert wird. Wie immer wieder bei Kanzlerin Angela Merkel. Da tritt die heimliche Überzeugung zutage, dass wirkliche Frauen Mütter sein sollten - glückliche Mütter, die eben nichts bereuen. Solche unausgesprochenen Erwartungen halten sich hartnäckig und sind schwer zu bekämpfen.

Besonders hart trifft das ungewollt kinderlose Frauen, die sich für ein Lebensmodell rechtfertigen müssen, das sie gar nicht freiwillig gewählt haben - auch vor sich selbst. Viele von ihnen haben auch das Ideal verinnerlicht, nur mit Kind erfüllt leben zu können. Die Fortpflanzungsmedizin mit Angeboten wie dem Tieffrieren von Eizellen, dem sogenannten Social Freezing, und neuen Methoden der Kinderwunschbehandlung fördert ja die Vorstellung, dass im Prinzip jeder sich seinen Kindertraum erfüllen kann. So erstarkt das Bewusstsein, dass Fortpflanzung dazugehört, dass sich Frau also nur als Mutter ganz selbstverwirklichen kann. Wenn es dann doch nicht klappt, bricht für die Betroffenen eine Welt zusammen. Sie fühlen sich minderwertig, wenden all die Erwartungen der schrumpfenden Wohlstandsgesellschaft gegen sich selbst. Private Erfüllung erscheint ihnen unerreichbar, und sie beschuldigen sich selbst, der Gesellschaft ihren Beitrag zur Zukunft schuldig zu bleiben. "Ich bin oft erschüttert, wie gnadenlos betroffene Frauen mit sich selbst sprechen", sagt Franziska Ferber, die sich als Systemischer Coach auf die Begleitung von Frauen und Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch spezialisiert hat. "Wenn der enorme innere Druck sich dann in Tränen Bahn bricht, nennen sie sich selbst etwa ,Heulsuse'." In einer Gesellschaft, in der Menschen häufig in Konkurrenzsituationen bestehen müssen, werde viel verglichen und gewertet statt beobachtet. "Frauen empfinden andere Lebenswege sofort als Abwertung des eigenen", sagt Ferber. Darin spiegele sich die Angst vor Andersartigkeit. "Alles, was außerhalb der Norm liegt, ist unberechenbar - und damit eine potenzielle Gefahr."

Vielleicht ist es an der Zeit für einen neuen Frauenkampf: den Kampf gegen unterschwellige Erwartungen, gegen den gläsernen Feind der unausgesprochenen Urteile. Erst wenn Frauen sich nicht mehr minderwertig fühlen müssen, egal in welche soziale Rolle das Leben sie trägt, wären sie wirklich befreit. Erst dann würden auch die überzogenen Vorstellungen von Mutterglück wieder auf ein realistisches Maß schrumpfen. Denn je mehr das Kinderkriegen überhöht wird, desto größer ist die Gefahr, dass Menschen aus falschen Gründen Eltern werden: wenn es in der Beziehung hakt, wenn es im Job nicht weitergeht, wenn alle anderen auch Kinder bekommen.

Frauen, die ohne eigene Kinder leben, ob freiwillig oder nicht, müssen häufig noch beweisen, dass sich ihr Leben "trotzdem lohnt". Unter dem Schlagwort "Otherhood" (Anderssein) erzählen solche Frauen in den sozialen Netzwerken, wie glücklich sie als Tante sind, wie sie ihren Freundeskreis pflegen, sich sozial engagieren, politisch aktiv sind und wie sie alt werden wollen, ohne Einsamkeit zu fürchten. Diese Lebensbeschreibungen sind meist im Ton der Selbstverteidigung verfasst. Noch hat die Gesellschaft nicht wirklich gelernt, Ambivalenz auszuhalten. Noch hat sie nicht verstanden, dass es viele Möglichkeiten gibt zu leben, zu lieben und geliebt zu werden. Für dieses Recht der Selbstbestimmung sollten Frauen eintreten - indem sie aufhören zu urteilen. Über andere und über sich selbst.

(dok)
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