"Altered Carbon" bei Netflix Ist Unsterblichkeit unmenschlich?

Mit der Buchverfilmung "Altered Carbon" wandelt Netflix auf den Spuren von "Blade Runner". Die Serie ist komplex, brutal und fragt, was Menschlichkeit ausmacht.

 Joel Kinnaman spielt in der Serie den ehemaligen Elitesoldaten Takeshi Kovacs.

Joel Kinnaman spielt in der Serie den ehemaligen Elitesoldaten Takeshi Kovacs.

Foto: Screenshot: Youtube (Netflix)

Wer einen geliebten Menschen verloren hat, kennt diese Wut auf ein unfaires Universum, das brutal einen Fixpunkt des eigenen Lebens entrissen hat. Müsste darum eine Welt, die den Tod besiegt hat, nicht einfach großartig sein? Dieser Frage geht Netflix mit der Science-Fiction-Serie "Altered Carbon" nach. Nachdem die Menschheit die Relikte einer außerirdischen Zivilisation, der sogenannten Elder, entdeckt hat, kann sie das gesamte Bewusstsein eines Menschen, auf einem Chip so groß wie ein Handteller speichern.

Stirbt der Körper, wird dieser Chip einfach in einen anderen Körper gesetzt — und die Persönlichkeit lebt weiter. Zumindest so lange, bis jemand auch den Chip zerstört. Der Tod hat so jeden Schrecken verloren. Denn das, was einen Menschen am Ende ausmacht, lebt immer weiter.

So wie Takeshi Kovacs (Joel Kinnaman). Einst war er ein Elite-Soldat, später ein Widerstandskämpfer gegen das UN-Protektorat, das mittlerweile diverse Planeten in verschiedenen Sonnensystemen besiedelt hat. Als er schlussendlich verhaftet wird, entfernt man seinen Speicherchip und legt ihn auf Eis. 250 Jahre später wird er wiedererweckt. Sein Chip steckt in einem neuen Körper. Verantwortlich dafür ist der einflussreiche Laurens Bancroft (James Purefoy). Jemand hat versucht, ihn umzubringen. Nun will er, dass Kovacs ermittelt. Denn Bancrofts Bewusstsein hat das nur überlebt, weil es noch eine zwei Tage alte Sicherheitskopie gab. Die aber hat keine Erinnerung an die Tat und weiß nicht, wer der Mörder war.

Ärger im Paradies also, das keines ist. Die Elite schwelgt im Luxus und lebt in Palästen, die sich weit in den blauen Himmel erstrecken. Jenseits des Fatalismus der stickigen, überbevölkerten Straßenschluchten auf der Erde. Unsterblich sind im Prinzip alle. Die Reichen aber nutzen Luxus-Klone ihrer eigenen Körper. Alle anderen müssen nehmen, was verfügbar ist: Die Körper von Verurteilten, deren Chip auf Eis gelegt wurde. Da wacht eine Siebenjährige nach einem Unfall dann auch in der Hülle einer verlebten 50-Jährigen auf, weil die Familie sich nichts anders leisten kann. Das Versprechen der Unsterblichkeit hat sich in "Altered Carbon" nicht erfüllt. Statt den Himmel auf Erden zu schaffen, ist die soziale Kluft immer tiefer geworden — weil das fehlt, dass alle Menschen einst gleich gemacht hat: der Tod.

Die Story klingt spannend und ist es auch, nachdem man die erste Folge überstanden hat. Denn die ist leider zäh und zieht sich. Dafür werden diese komplexe Welt und ihre Spielregeln etabliert. Ebenso wie die Hauptfigur Takashi Kovacs: ein desillusionierter, zynischer Krieger, der nichts mehr vom Leben erwartet. Trotz Unsterblichkeit gibt es nichts und niemanden mehr, den er kennt oder mit dem ihn etwas verbindet. Der Widerstand, dem er angehörte, wurde vor 250 Jahren brutal zerschlagen.

Hat man aber diese erste, etwas sperrige Folge überstanden, nimmt die Serie Fahrt auf und entwickelt sich über die verbleibenden neun Episoden zu einem Film noir in einem futuristischen Setting. Joel Kinnaman spielt mit Bravour den zynischen Detektiv auf der Suche nach der Wahrheit. Und die ist nicht nur spannend inszeniert, sondern meist auch äußerst brutal. Das passt indes zu dieser Welt. Ohne den Tod scheint das Leben jeden Wert verloren zu haben.

Die Menschheit entwickelt sich nicht mehr weiter, sondern stagniert gesellschaftlich und technologisch. Die breite Masse tritt auf der Stelle zwischen Drogen, Gewalt, schnellen, bedeutungslosen sexuellen Abenteuern oder Perversionen. Und die Vergnügungssucht der Reichen nimmt nach Jahrhunderten einer gelangweilten Existenz sogar noch extremere Ausmaße an. Nichts scheint in dieser nihilistischen, selbstsüchtigen Welt noch eine Bedeutung zu haben. Weil jeder unsterblich ist, spielt es auch keine Rolle, was er hinterlässt und wie man sich an ihn erinnert. Jede Vergänglichkeit ist vergangen.

Die Serie stellt immer wieder die Frage, ob wir Menschen ohne den Tod überhaupt noch Menschen sind. Und sie findet darauf nicht nur eine Antwort, sondern diverse. Die Neo-Katholiken beispielsweise lehnen diese Art der Unsterblichkeit ab, weil die Seele so nicht in Paradies einziehen kann. Diese komplexen Themen sind am Ende alle verwoben mit der düsteren Detektiv-Geschichte, die mit jeder Folge noch ein wenig komplizierter wird — weil es immer neue Wendungen gibt.

Optisch und stilistisch sind dabei die Einflüsse unter anderem des Films Bladerunner aus dem Jahr 1982 nicht zu übersehen: Seien es die fliegenden Autos, die tiefen Häuserschluchten oder die dreckigen Straßen, die im Kontrast zu den bunten Neon-Leuchtreklamen oder Werbe-Leinwänden stehen.

Schwächen gibt es dafür bei einigen Nebenfiguren, die im Vergleich zu Kovacs manchmal etwas flach ausfallen. Die Polizisten Kristin Ortega (Martha Higareda) wirkt in ihrer Ablehnung von Autorität und der Beugung von Vorschriften wie ein Aufguss so ziemlich aller männlicher, kerniger Actionfilm-Ermittler der 1980er-Jahre. Nur selten wächst sie darüber hinaus. Dafür gibt es andere Nebencharaktere, die einem ans Herz wachsen. So wie die künstliche Intelligenz Poe (Chris Connor) oder die Anführerin des einstigen Widerstands Quellcrist (Renée Elise Goldsberry), an die sich Kovacs immer wieder erinnert.

Und die Erinnerung an sie spielt auch im furiosen, emotionalen Finale eine Rolle. Das Ende lässt indes Raum für weitere Staffeln. Tatsächlich gibt es noch genug Geschichten aus diesem Universum. Die Serie beruht auf den 2002 erschienenen Roman "Das Unsterblichkeitsprogramm" von Richard Morgan, der mit "Gefallene Engel" und "Heiliger Zorn" bereits zwei Fortsetzungen geschrieben hat.

(jov)
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