Analyse zu Maischberger-Eklat Politisches Theater in Talkshows

Düssledorf · Talkshows sind fester Bestandteil des abendlichen Fernsehprogramms. Für viele Politiker hat das Fernsehstudio das Parlament als wichtigste Bühne abgelöst. Doch der Talkshow fehlt eine Kultur der gepflegten Debatte.

Streit bei Maischberger – Wolfgang Bosbach verlässt vorzeitig das Studio
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Streit bei Maischberger – Bosbach verlässt vorzeitig das Studio

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Das Team von Sandra Maischberger hatte wie immer gute Vorarbeit geleistet. Die Gästeliste für den Mittwochabend stimmte. Platzkarten braucht es nicht, von links nach rechts, ist die Devise. Und auch das Thema des Abends war gut gewählt, immerhin ist die Debatte über die Eskalationen rund um den G20-Gipfel brandaktuell. Und obwohl die ARD-Moderatorin während der Talkrunde ins Schwimmen geriet und hinnehmen musste, wie ihr die Sendung mehr und mehr entglitt: Viel besser hätte es zumindest aus Sicht der Redakteure nicht laufen können.

Im Laufe des Abends konnte Sandra Maischberger vor allem den Streit zwischen CDU-Politiker Wolfgang Bosbach und der Publizistin Jutta Ditfurth zu keiner Zeit moderieren. Nach etwa einer Stunde verließ Bosbach das Studio - wutentbrannt und empört. Er warf Jutta Ditfurth vor, den ebenfalls anwesenden Hamburger Hauptkommissar Joachim Lenders "in geradezu unverschämter Weise angegangen" zu sein. Ihre provokative Mimik sei für ihn "einfach zu viel" gewesen. Ditfurth hatte der Polizei vorgeworfen, Aggression geschürt und Gewalt provoziert zu haben.

Doch eine richtige Debatte über die Konsequenzen aus den Krawallen in Hamburg kam nicht einmal ansatzweise zustande. Vielmehr ging es den Gästen darum, die Geschehnisse noch einmal aus ihrer Sicht zu schildern. Die Schuldfrage wurde von der Polizei zu den linken Autonomen und wieder zurück geschoben. Jeder Gast debattierte für sich, mit allen Mitteln, meist in deutlich erhöhter Lautstärke - und ohne jede Form der gepflegten Kommunikation zu beachten.

Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts haben die Kommunikationswissenschaftler Claude Elwood Shannon und Warren Weaver das simpelste aller Kommunikationsmodelle skizziert: Der Sender verfasst eine Nachricht. Ein Empfänger nimmt diese auf. Sprechen und zuhören. Friedemann Schulz von Thun hat diese Idee im "Vier-Seiten-Modell" erweitert. In der Mitte steht die Aussage. Der Sender eröffnet mit der Botschaft den Sachinhalt, gleichzeitig aber auch eine Selbstkundgabe, einen Appell und einen Beziehungshinweis. Damit nun all diese Informationen auch ankommen, muss aber der Zuhörer ebenso auf allen vier Ebenen empfangsbereit sein. In der abendlichen Fernsehtalkshow gelingt dies so gut wie nie, weil sie darauf erst gar nicht ausgelegt ist.

Rhetorikprofessor Joachim Knape von der Uni Tübingen nennt den Polit-Talk ein Phänomen: "Die Talkshow hat das Parlament als Träger der politischen Kommunikation ersetzt", sagt Knape. "Wer schaut sich schon Bundestagsdebatten live im Fernsehen an?"

Das Konzept ist meist identisch: Politiker, Interessensvertreter oder Fachleute nutzen die Bühne der Medien, um eigene Thesen - oder die der Partei - der Öffentlichkeit mitzuteilen. Knape merkt kritisch an, dass die Politik dabei ihre Hoheit preisgibt: Sie unterwerfe sich den Redakteuren und letztlich dem Moderator, der als "Gatekeeper" (deutsch: Schleusenwärter) der Botschaft auftritt. "Es ist eine Illusion, zu glauben, dass die Diskussion im Fernsehen auf das gemeinsame Klären einer Fragestellung abzielt."

Die politische Talkshow ist inszeniert. Ihr Genre kaum zu bestimmen. Sie liegt zwischen Entertainment und Information. Und genau das ist ihr Problem: Es werden keine echten Debatten geführt, sondern Streit im inszenierten Raum provoziert. Das ist politisches Theater auf der Mattscheibe. Der Zuschauer will ja eine Stunde, oder wie bei Maischberger rund 75 Minuten, unterhalten werden. Das Interessante ist dabei die größtmögliche Konfrontation, nicht die Lösung eines Problems. Die Besetzung der Runde ist bewusst gewählt. So versuchen Fernsehmacher möglichst kontroverse Gäste einzuladen, am besten mit unterschiedlichem Seriositätsgrad. "Je schriller desto besser", sagt Joachim Knape. Meinung ist dabei gut, der Eklat ist noch besser. So wie bei Maischberger.

CDU-Politiker Bosbach steht bekanntermaßen für konservative Ansichten. Andererseits weiß man, dass es krachen kann, wenn Publizistin Jutta Ditfurth anarchische Ideale vertritt. Daraus folgt, dass der Zuschauer auch keine ergebnisoffene Diskussion erwarten kann, weil diese gar nicht erwünscht ist. Erst nach der Sendung bildet sich der Zuschauer bestenfalls eine eigene Meinung. Das aber macht er allein zuhause, denn ein Fazit bieten politische Talkshows nur in den seltensten Fällen.

Wolfgang Bosbach müsste all das eigentlich wissen. Der 65-Jährige gilt als "Talkshow-König". Zwischen 2012 und 2016 war kein Politiker so häufig in einem Talk wie er. Am Mittwoch aber scheint selbst dem Talk-Profi das respektlose Miteinander zugesetzt zu haben. Zum einen wirkte sein Abgang wie der Gipfel der Selbstinszenierung eines Politikers. Zum anderen zeugte er von echter Empörung darüber, dass keine gepflegte Debatte unter gebildeten Menschen möglich war. Maischbergers nachträgliche Entschuldigung, gestern auf Facebook veröffentlicht, ist fadenscheinig und heuchlerisch. "Das ist immer eine Niederlage in einer Sendung, deren Aufgabe es ist, Menschen ins Gespräch zu bringen ", heißt es.

Wirklich bedauerlich ist, dass das deutlichste Zeichen fehlgeschlagener Kommunikation sichtbar wurde: der Gesprächsabbruch. Selbst für Jutta Ditfurth ist das problematisch, bleibt sie doch als unglaubwürdig und nicht diskussionsfähig zurück. Die "Maischberger"-Redaktion darf sich über Aufmerksamkeit freuen. Die Sendung war ein gelungenes politisches Theaterstück. Nur der Applaus bleibt aus. Weil der Preis der gepflegten Diskussionskultur zu hoch war - und der Zuschauer mal wieder ratlos zurückbleibt.

(ball)
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