Anja Reschke in den "Tagesthemen" Ein Auschwitz-Kommentar beschäftigt das Netz

Düsseldorf · Der gesprochene Kommentar in den "Tagesthemen" gilt vielen als Anachronismus. Wie wichtig er aber für eine öffentliche Debatte werden kann, zeigt nun der Fall Anja Reschke. Irgendwann muss mal Schluss sein mit dem Erinnern? Nicht mit ihr. Mit sehr persönlichem Klartext zur Jährung von Auschwitz löste sie im Internet eine heftige Diskussion aus.

Anja Reschke löste mit ihrem Kommentar in den Tagesthemen eine große Diskussion aus.

Anja Reschke löste mit ihrem Kommentar in den Tagesthemen eine große Diskussion aus.

Foto: Screenshot ARD

Die NDR-Moderatorin sprach an dem Tag, an dem Bundespräsident Joachim Gauck klarstellte, dass Auschwitz immer Teil deutscher Identität sein werde. Ihr Thema: Das Grauen von Auschwitz und was es für die Generationen von heute und morgen bedeutet. Ihre Sorge: Die Mehrheit der Deutschen will einer Bertelsmann-Studie zufolge einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen.

"Auschwitz, Holocaust. Ich kann's nicht mehr hören. Es muss doch mal Schluss sein", so leitet sie ihren Kommentar ein. Und widerspricht dann dieser Forderung vehement: "Dieser Teil unserer Geschichte ist in seiner Abartigkeit so einzigartig, dass er gar nicht vergessen werden kann." In der Geschichte gebe es keinen Schlussstrich. "In keiner."

Eine alte Doku zeigt ungeschönte Bilder

Dabei verweist sie auf eine ganz persönliche Erfahrung: Entscheidend war für sie eine alte Dokumentation in flackerigen Schwarz-Weiß-Bildern, gedreht von Alfred Hitchcock. Die ARD hatte den Film mit dem Titel "Night will fall" am Montag zu viel zu später Stunde, erst um 23.45 Uhr, ausgestrahlt.

Sie zeigte Aufnahmen von Kriegsreportern, die die britischen Truppen beim Kampf in Deutschland filmen sollten. Sie zählten zu den ersten, die Auschwitz sahen. Die Krematorien rauchten noch. Mit ihren Kameras zeichneten sie für die Nachwelt auf, was unbeschreiblich war. Bergen von Leichen. Lebende Menschengerippe hinter Fenstern, zu schwach um aufzustehen.

Als die heute 90-jährigen Männer, die damals hinter der Kamera standen, in der Doku von diesen Eindrücken aus dem Januar 1945 erzählten, mussten sie weinen. "Keiner von ihnen kann einen Schlussstrich ziehen", sagt Reschke. "Genauso wenig wie die Opfer, die überlebt haben."

Gewaltige Resonanz

Sie selbst gehöre zur dritten Generation, sei nicht dabei gewesen. Trotzdem habe sie sich geschämt, als sie die Bilder gesehen habe. Danach habe sie nicht schlafen können.

Und dann in einem anderen Programm die "Pegida"-Demonstranten in Dresden gesehen. "Die sich aufregen über die vielen Ausländer in Deutschland. Ganz ehrlich: Das ist mir dann wirklich schlecht geworden."

Die ARD veröffentlichte das Video mit ihrem Kommentar bei Facebook. Die Resonanz: gewaltig. Inzwischen hat es mehr als 2,6 Millionen Abrufe und wurde mehr als 35.000 mal geteilt. Unter anderem Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) beziehungsweise dessen Facebook-Team hat "Gefällt mir" angeklickt, der Mediendienst meedia.de berichtete von einem "eindrucksvollen" Kommentar.

Wie sehr die Frage nach einem angemessenen Umgang mit der düsteren Vergangenheit die Deutschen beschäftigt, wird in den Kommentaren deutlich. Dort hat sich eine heftige Diskussion mit mehr als 3000 Beiträgen entwickelt. Die meisten davon sind eindeutig positiv. "Toller Kommentar", heißt es da oder "Besser kann man es nicht sagen".

Zuspruch und Kritik

Doch üben manche auch Kritik an Reschkes Aussagen, einige lehnen es ab, Verantwortung für die Gräueltaten der Nazizeit zu übernehmen. Und schreiben: "Ich kann es nicht mehr hören." Oder: "Was habe ich als 18-Jähriger damit zu tun?" Deutschland werde oft nur auf die Nazi-Vergangenheit reduziert, der dritten und vierten Generation damit ein riesiger Schuldstempel aufgedrückt.

Auch "Pegida"-Sympathisanten melden sich zu Wort und beschimpfen Reschke, weil sie die Bürgerbewegung aus Dresden mit Auschwitz in Verbindung bringt. Damit habe "Pegida" nun wirklich nichts zu tun.

Der Dokumentarfilm "Night will fall" ist in der ARD-Mediathek zwischen 20 und 6 Uhr abrufbar. Tagsüber ist der Film gesperrt, weil er wegen seiner Grausamkeiten erst ab zwölf Jahren freigegeben ist.

(pst)
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