Talk bei Anne Will "Ich wusste nicht, dass Boateng dunkelhäutig und deutsch ist"

Düsseldorf/Berlin · In der Talkrunde bei Anne Will verteidigte der AfD-Politiker Alexander Gauland seine umstrittenen Aussagen über den deutschen Fußballnationalspieler und Weltmeister Jerome Boateng. Dabei offenbarte Gauland überraschende Wissenslücken.

Darum ging's:

AfD-Vize Alexander Gauland beherrscht die Schlagzeilen, seit ihn die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS)" vor einer Woche mit den Worten zitierte: "Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben." Wenige Tage vor dem Beginn der Europameisterschaft kochte die mediale Debatte hoch: Bundeskanzlerin und Vizekanzler verurteilten die Aussage scharf: "Der Satz, der da gefallen ist, ist ein niederträchtiger und ein trauriger Satz" (Angela Merkel) und "Gauland ist nicht nur gegen Fremde, sondern auch gegen das Gute an Deutschland: Modernität, Weltoffenheit und Liberalität" (Sigmar Gabriel).

Der AfD-Politiker verteidigte sich, indem er schwere Vorwürfe gegen die "FAS" erhob: Es sei ein vertrauliches Hintergrundgespräch gewesen, die Überschrift durch keinen Satz im Text gedeckt, und die Journalisten hätten vor der Veröffentlichung auch keine Zitate zur Autorisierung vorgelegt. Die Zeitung bestreitet die Vorwürfe. Da sowohl Gauland als auch Eckart Lohse, politischer Korrespondent für die "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", in der Runde waren, wurde der Streit auf der Talkshow-Bühne weitergeführt.

Darum ging's wirklich:

Da die Argumente schon ausgiebig diskutiert worden sind, war die eigentliche Frage: Wer kann seine Version überzeugender darstellen? Der AfD-Politiker oder der Journalist? Wurde Gauland hereingelegt, oder haben sich die Journalisten an die Standards gehalten? Danach diskutierte die Runde, ob die Aussage überhaupt rassistisch sei. Um dann am ganz großen Rad drehen zu wollen und die Frage zu diskutieren, wie weit verbreitet Rassismus in Deutschland denn überhaupt sei.

Die Runde:

  • Heiko Maas (SPD), Bundesjustizminister
  • Alexander Gauland, Stellvertretender Bundessprecher der AfD und Fraktionsvorsitzender im Brandenburgischen Landtag
  • Eckart Lohse, Politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
  • Bilgin Ayata, Migrationsforscherin
  • Werner J. Patzelt, Politikwissenschaftler

Der Frontverlauf:

War zu Beginn der Sendung sehr übersichtlich: ein Zweikampf zwischen Alexander Gauland und Eckart Lohse. Nur selten unterbrochen von Moderatorin Anne Will stritten sie darum, wer was wann bei dem Interview gesagt haben soll — andere Gäste kamen zunächst gar nicht zu Wort. Die sattsam bekannten Vorwürfe wurden nochmal ausgetauscht: "Wir hatten ein Hintergrundgespräch. Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet, dass es irgendwie veröffentlicht wird" (Gauland) versus "Warum sagen Sie dann nach zwei Dritteln des Gesprächs 'so jetzt ist das vertraulich'?" (Lohse). "Wir hätten das Zitat freigeben lassen, wenn Herr Gauland drum gebeten hätte" (Lohse) versus "Wenn es ein Hintergrundgespräch ist, wieso soll ich um so etwas bitten" (Gauland). "Sie haben mich reingelegt" (Gauland) versus "Ich halte für unfair, dass Sie das jetzt behaupten." (Lohse).

Eine schnell ermüdende Diskussion ohne großen Erkenntnisgewinn, in der Aussage gegen Aussage stand. Das änderte sich erst, als Gauland überraschend erklärte, warum er gerade den Nationalspieler Boateng als Beispiel — nach eigener Aussage im Rückblick ein falsches — genommen hatte: "Ich wusste nicht, dass er dunkelhäutig ist, dass er Christ ist, dass er Deutscher ist. Das alles wusste ich nicht." Aufgrund seines Namens habe er ihn für einen Fremden gehalten, neben dem viele Deutsche nicht gerne wohnen wollen. Weil es in dem Gespräch um den Islam in Deutschland ginge, fühle er sich hereingelegt, als die Journalisten Boatengs Namen erwähnten. Lohse erwiderte, dass Gauland als Politiker und ehemaliger Journalist die Spielregeln genau kenne.

Justizminister Heiko Maas wies Gauland mit sichtlicher Freude darauf hin, dass deutsche Nationalspieler zwangsläufig den deutschen Pass haben, weil sie ja sonst nicht für die Nationalmannschaft spielen könnten. Maas beschrieb eine regelrechte Masche der AfD: Erst würden Vertreter der Partei Aussagen machen, die fremdenfeindliche Ressentiments aus parteipolitischen Zwecken schüren, später würden diese dann relativiert. Der Justizminister ging Gauland hart an: "So durchschaubar. So peinlich. Das ist nicht glaubwürdig."

Mit diesem Satz nahm die Diskussion an Fahrt auf und auch die anderen Teilnehmer machten endlich mit. Über die Frage, ob Gaulands Aussagen rassistisch seien, war die Runde geteilter Meinung. Während Maas ("Wenn jemand wegen seiner Herkunft, seiner Hautfarbe oder seiner Religion als Mitmensch in Frage gestellt wird, dann ist das nichts anderes als rassistisch") und Migrationsforscherin Bilgin Ayata ("Wenn Urteile allein dank eines fremd klingenden Namens gefällt werden") das bejahten, sprang der Politikwissenschaftler Werner Patzelt dem AfD-Politiker zur Seite: "Rassistisch sind Menschen, die einen, der nicht aussieht wie sie, nicht in ihrer Nachbarschaft haben wollen. Nicht-Rassist ist, wer sagt, in Deutschland gibt es leider Gottes Menschen, die einen, der nicht aussieht wie sie, nicht in ihrer Nachbarschaft haben wollen. Diese Aussage ist keineswegs eine rassistische Aussage."

Das viele Menschen keine Fremden in ihrer Nachbarschaft haben wollen, machten die nun präsentierten Zahlen einer Umfrage deutlich. Demnach stimmten 27,5 Prozent der Deutschen der Aussage zu: "Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet". Und sogar 36,6 Prozent finden: "Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden." Patzelt erklärte diese weitverbreitete Ablehnung mit Ängsten, die bei dem Wandel in eine Einwanderungsgesellschaft entstehen würden. Der Politikwissenschaftler überraschte mit der Aussage, dass der Rassismus nach Umfragen langfristig gesehen auf dem Rückmarsch sei. Er räumte gleichzeitig ein, dass diese Studien nur aus Zahlen vor der Ankunft der vielen Flüchtlinge im vergangen Jahr bestünden.

Im Anschluss ging es vor allem um das Thema "Einwanderung". Während Maas die Notwendigkeit von Migration für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes betonte, war Gauland dagegen, weil seiner Meinung nach die falschen Einwanderer kommen würden ("junge, nicht-ausgebildete Männer"). Eine bekannte Diskussion, die keine neuen Erkenntnisse brachte.

Spannend wurde es erst wieder, als es in einem Einspieler um andere Aussagen Gaulands ging, die er bei öffentlichen Reden geäußert hatte: "Frau Merkel will das deutsche Volk ergänzen und ersetzen"; "Es ist eine Kanzler-Diktatorin"; "Heute sind wir tolerant, und morgen fremd im eigenen Land". Den letzten Satz hatte schon die NPD als Wahlwerbung benutzt; er stammt aus dem Lied einer rechtsextremen Musikband von einem Album mit dem Titel "Hitler lebt", wie Justizminister Maas erklärte. Gauland erklärte, dass er den Satz, den er vorher nicht gekannt habe, auf einem Plakat gesehen hatte und ihn gut fand. Die rechtsextreme Band würde er nicht kennen. Gauland geriet nun sichtbar in die Defensive. Das wurde noch deutlicher, als er seine Aussage erklären sollte, Frau Merkel wolle das deutsche Volk ergänzen und ersetzen. "Das deutsche Volk verändert sich", redete sich Gauland heraus. Auf die Frage, wer durch wen ersetzt wird, wollte er nicht antworten. Stattdessen ergänzte er: "Frau Merkel ist für viele Deutsche eine fremde Macht geworden."

Migrationsforscherin Ayata sieht in der Rhetorik der AfD eine große Gefahr: Die Stimmung würde so weit aufgeheizt, dass die Gesellschaft nach rechts rücke. "Es werden Ängste geschürt, mit denen Politik gemacht werde", sagte sie. Am Beispiel der NSU-Morde zeigte sie auf, dass es in Deutschland sehr tief verwurzelte rassistische Probleme gebe, die nicht nur Gewalttäter sondern auch Institutionen wie die Polizei betreffen würden.

Zahlen des Abends

Im vergangenen Jahr hat es mehr als 1000 Angriffe auf Flüchtlingsheime gegeben. Die Gewalttaten gegen Flüchtlinge und Unterkünfte haben sich damit verfünffacht. Das hat es in dieser Form laut Bundesinnenminister Thomas de Maizière noch nie gegeben.

Satz des Abends:

"Ich stelle immer fest, bei allem was Herr Gauland tut, er weiß überhaupt nicht, was er tut", sagte Justizminister Heiko Maas.

Erkenntnis:

AfD-Vize Alexander Gauland offenbarte erstaunliche Wissenslücken. Er gehört angeblich zu den wenigen Menschen in Deutschland, die den FC Bayern-Spieler und Fußballweltmeister Jerome Boateng nicht kennen: "Ich wusste nicht, dass er dunkelhäutig ist, dass er Christ ist, dass er Deutscher ist". Dass ihm außerdem nicht bewusst war, dass deutsche Nationalspieler einen deutschen Pass haben müssen, ist an Absurdität kaum noch zu überbieten. Auf Unwissenheit beruft er sich auch, wenn er sich Slogans zu eigen macht, die von Rechtsradikalen benutzt werden. Das alles muss auch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten im vergangenen Jahr deutlich angestiegen ist.

(joh)
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