TV-Talk bei Anne Will Ein Streit unter Europäern

Düsseldorf · Zu Anne Wills Diskussion über Europa waren dieses Mal nur überzeugte Europäer geladen. Gestritten wurde trotzdem. So war die hitzige Auseinandersetzung durchaus aufschlussreich.

Darum ging's: Aus aktuellem Anlass wollte Anne Will von ihren Gästen wissen, was die österreichische Bundespräsidentenwahl und das italienische Verfassungsreferendum für Europa zu bedeuten haben. Welche Schlüsse lassen sich aus den Vorgängen in den beiden Staaten für die Europäische Union ziehen?

Darum ging's wirklich: Die Diskussion drehte sich nicht nur um Österreich und Italien, sondern vor allem um Europa. Die Frage, wie Europa angesichts immer erfolgreicherer Rechtspopulisten künftig aussehen wird, stand im Mittelpunkt. Bei dieser Frage diskutierten sich Anne Wills Gäste in Rage. Dass die Idee der europäischen Einheit eine gute sei, da war sich die Runde einig. An allem anderen — Bewältigung der Flüchtlingskrise, Eurokrise, Wirtschaftskrise, schieden sich an diesem Abend aber die Geister.

Die Gäste:

  • Ursula von der Leyen (CDU), Bundesverteidigungsministerin
  • Wolfgang Sobotka (ÖVP), österreichischer Bundesminister für Inneres
  • Ulrike Guérot, Professorin für Europapolitik und Demokratieforschung
  • Dirk Schümer, Europa-Korrespondent für die Zeitung "Die Welt"

Der Frontverlauf: Mit Alexander Van der Bellen stand der Wahlsieger in Österreich gerade erst fest, als Anne Will ihre Gäste im Studio begrüßte. Matteo Renzis Niederlage beim italienischen Verfassungsreferendum stand hingegen noch aus. Bei ihren europafreundlichen Gästen wollte trotzdem schon zu diesem Zeitpunkt keine rechte Siegesstimmung aufkommen.

Der österreichische Innenminister Wolfgang Sobotka redete die Wahl von Van der Bellen gleich zu Beginn der Diskussion klein — diese sei kein Richtungsentscheid. Nicht ganz überraschend, schließlich ist Van der Bellen als Grüner kein Parteifreund von Sobotka. Österreich sei eine stabile Demokratie und stehe ganz klar zur Europäischen Union. "Das ist selbstverständlich, denn das bestimmt schlussendlich die Regierung", nicht etwa der Präsident, so Sobotka weiter.

Weniger zugeknöpft und sehr erleichtert zeigte sich Ursula von der Leyen über den Wahlsieg von Van der Bellen. Sie gab aber zu bedenken, dass fast die Hälfte der österreichischen Wähler seinem Rivalen, dem Rechtspopulisten Norbert Hofer, ihre Stimme gegeben hatten.

Der Journalist Dirk Schümer befand daraufhin, dass auch die Wahl Hofers keine Katastrophe gewesen wäre. Stattdessen müsse man endlich eingestehen, dass die FPÖ im Parteienkonzert von Österreich inzwischen komplett normal sei. "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die FPÖ an der Regierung ist. Und das kann ganz schnell gehen", prophezeite Schümer.

Gerade die Nonchalance mit der Schümer die FPÖ beschrieb, war der Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot ein Dorn im Auge. Die Wahl Hofers zum Bundespräsidenten sei in Österreich im Vorfeld eigentlich schon akzeptiert worden, sagte sie "Das eigentlich Erschreckende ist die Gelassenheit, mit der das passieren kann", so Guérot. Der Erfolg der FPÖ bis weit in die österreichische Gesellschaft hinein sei ja gerade das Problem, das man auch in Frankreich und in den Niederlanden habe.

Der Bestandaufnahme, dass es überall in Europa eine zunehmende Skepsis gegenüber Europa, den Eliten und dem althergebrachten System gibt, die gerade den Rechtspopulisten Auftrieb verleiht, konnten sich alle in der Runde anschließen. Bei der Frage, welchen Ausweg es aus dieser Situation geben könnte, blieb die Runde aber unkonkret.

Ursula von der Leyen sprach von einer "Erklärungsfaulheit", die sich eingeschlichen habe. Diese gelte es zu überwinden, und komplexe Fragen und Antworten wieder auszudiskutieren. "Nicht Europa ist schlecht, nicht Europa ist schuld, sondern wir müssen Europa in die Lage versetzen zu funktionieren. Dann wird es besser", so von der Leyen.

Etwas bloß besser zu erklären, sei hingegen schlicht nicht gut genug, befand Guérot. Statt zu erklären, müsse etwas getan werden. "Wie muss dieses Europa gestaltet werden, damit es funktioniert — für die Leute, für den Euro, für die Flüchtlingskrise?", fragte Guérot. Für sie schien nur eine radikale Umgestaltung weg von den Nationalstaaten und in Richtung mehr Europa zielführend zu sein.

Eine ganz so radikale Lösung wie Guérot schwebte Schümer nicht vor. Nur immer mehr Europa und weniger Nationalstaat könnten das grundsätzliche Problem nicht lösen, so der Journalist. Das eigentliche Problem seien auch nicht die Radikalen in der Politik, sondern die Funktionsstörungen der EU im Bereich der Zuwanderung und des Euro. "Das Dach brennt in Europa", sagte Schümer mit Blick auf Jugendarbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise zum Beispiel in Italien. Statt mit Nebenschauplätzen müsse man sich deshalb endlich fragen, wie man die EU wieder zum Laufen bringen könne.

Sobotka schließlich brach eine Lanze für die Nationalstaaten in Europa. "Wir haben ein Europa der Schönwetterpolitik. Und wenn es ein Problem gibt, ist auf einmal keiner zuständig", so der österreichische Innenminister. Am Ende gehe es darum, dass Europa wieder für den Einzelnen und sein persönliches Umfeld relevant werden müsse.

Eine Antwort auf die Frage, wie das denn ganz konkret zu bewerkstelligen sei, blieb Sobotka aber schuldig.

Das wahrste Wort des Abends: "Und was machen Sie daraus, außer ernst nehmen?" fragte Anne Will die Bundesverteidigungsministerin angesichts des erstarkenden Rechtspopulismus in Europa. Mehr als gut Gemeintes aber Unkonkretes konnte von der Leyen darauf nicht antworten.

Fazit: "Eigentlich sind Sie doch ganz nah beisammen", rief Bundesverteidigungsministerin von der Leyen während einer hitzigen Diskussion zwischen Guérot und Sobotka in die Runde. Dieses Gefühl, dass sich die Gäste eigentlich gar nicht so weit voneinander entfernt waren, hatte man während der ganzen Diskussion immer wieder. Einig wurden sie sich trotzdem fast nie.

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