"Anne Will"-Talk über Merkels Krise "Da ist unglaublich viel schiefgegangen"

Düsseldorf/Berlin · Die Beliebtheit der Kanzlerin sinkt, die Gründe dafür wollte Anne Will mit ihren Gästen diskutieren. Der Talk entwickelte sich durchaus unterhaltsam, neue Erkenntnisse gab es allerdings nicht. Der Talk im Schnellcheck.

Darum ging's: Merkels schlechte Umfragewerte

Das Ergebnis im aktuellen ARD "Deutschlandtrend" ist eindeutig: 81 Prozent der Befragten finden, dass die Bundesregierung die Flüchtlingspolitik nicht im Griff hat. Nur noch 46 Prozent sind zufrieden mit der Arbeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel — zwölf Prozent weniger als noch im Vormonat. "Das ist ein schlechtes Zeugnis", findet Moderatorin Anne Will. Sie beschäftigte sich in ihrem Sonntags-Talk deshalb mit der Frage: "Merkel im Umfragetief — Kriegt sie noch die Kurve?"

Darum ging's wirklich: Die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung

Angela Merkel war nur der Aufhänger, um weiter über die Flüchtlingskrise zu diskutieren. Vor allem Ursula von der Leyen (CDU) stand im Fokus. Die Bundesverteidigungsministerin machte ihrem Amt alle Ehre und verteidigte den Kurs der Bundesregierung, was das Zeug hält.

Die Runde

  • Ursula von der Leyen, Bundesverteidigungsministerin und stellvertretende Vorsitzende der CDU
  • Oskar Lafontaine, Fraktionschef der Linken im saarländischen Landtag
  • Peter Schneider, Schriftsteller und Publizist
  • Hans-Ulrich Jörges, Journalist und Mitglied der "Stern"-Chefredaktion

Die Überraschung: Jörges als Merkel-Fan

Eigentlich teilt Hans-Ulrich Jörges in Talkshows richtig gerne aus. Bei "Anne Will" präsentierte sich der Journalist dagegen als Merkel-Fan. Jörges ist fest davon überzeugt, dass Merkel nicht gehen sollte und auch nicht gehen wird. In den nächsten Wochen werde sich zeigen, ob ihre Flüchtlingspolitik Erfolg hat — und danach sehe es derzeit aus. "Ich bin von der Richtigkeit ihrer Politik 100 Prozent überzeugt", sagte Jörges und sorgte damit für großes Staunen.

Die Positionen

Im Gesprächsverlauf schlug Jörges dann aber doch auch noch ein paar kritische Töne an. Seiner Ansicht nach habe die Regierung zwei zentrale Fehler gemacht: Sie hat schlecht kommuniziert und den Menschen nicht ausreichend erklärt, was sie tut und warum sie es tut. Außerdem hätte es einen Beschluss des Bundestags geben müssen. "Aus Wahrnehmung der Wähler besteht der Bundestag nur aus Befürwortern, und die Opposition findet sich gar nicht", sagte Jörges. Das spiele der AfD in die Hände. Der Journalist wünscht sich mehr offene Diskussionen im Bundestag.

Merkels "Wir schaffen das" war eine klare Ansage gegenüber den vielen Rechtsradikalen, lobte Peter Schneider. Gleichzeitig kritisierte der Schriftsteller, dass Merkel keine klaren Ansagen gemacht habe. "Sie müsste eigentlich eine Regierungserklärung abliefern. Ich kann ihr gerne die Rede schreiben, ich bin erfahren mit solchen Reden." Merkel müsse den Menschen sagen, warum es so nicht weitergehen kann, wie es weitergegangen ist. "Da ist unglaublich viel schiefgegangen." Besonders der seiner Ansicht nach "unehrliche Umgang" in der Debatte macht ihm zu schaffen.

"Ich bin absolut überzeugt, dass die Politik, die Angela Merkel macht, richtig ist", sagte Ursula von der Leyen. Merkel sei eine große Frau in Europa, die den Laden zusammenhalte. "Sie hat viel früher als alle erkannt, dass das eine europäische Generationenaufgabe ist, die bewältigt werden muss." Eine Obergrenze und eine Schließung der Grenzen wäre eine schnelle, billige und falsche Antwort gewesen, die Merkel zurecht nicht geben wollte", meinte von der Leyen. "Wir wären die Totengräber Europas gewesen, wenn wir die Grenzen dicht gemacht hätten." Von rechtspopulistischen Tendenzen dürfe man sich nicht beeinflussen lassen. Es sei wichtig, die AfD konsequent zu stellen und damit zu entlarven, sagte von der Leyen. "Wenn sie dann mal wirklich die Antwort geben müssen, fällt ihnen ein, dass man auf Flüchtlinge schießen sollte an der Grenze."

Oskar Lafontaine sieht nicht, dass Angela Merkel Europa zusammenhält und kritisierte das Kommunikationsverhalten der Kanzlerin gegenüber den anderen EU-Staatschefs. "Es ist Frau Merkel leider nicht gelungen, in Europa eine Zusammenarbeit zu organisieren. Sie hat zu oft allein entschieden, und das rächt sich jetzt", sagte der Linken-Politiker.

Die Lafontaine-Show

Fehlende Solidarität, eine schwache Angela Merkel und ein Durcheinander in der Regierung — Oskar Lafontaine hatte offensichtlich wenig Lust auf eine konstruktive Diskussion. Stattdessen spulte er immer wieder das Wahlkampfprogramm seiner Linken ab oder zitierte sich selbst.

Duell des Abends: Von der Leyen gegen Lafontaine

Anne Will und Ursula von der Leyen wirkten teilweise richtig genervt von Lafontaines Ausführungen. Als der von einem "Rohstoffkrieg der USA" sprach, stutzte von der Leyen ihn zurecht: "Der IS verhandelt nicht, der IS köpft", sagte von der Leyen.

Als Lafontaine eine bessere Ausstattung für Flüchtlingslager forderte, stimmte auch von der Leyen zu. "Dann kann ich ja heute froh nach Hause gehen", sagte Lafontaine grinsend.

Stärkster Auftritt: Ursula von der Leyen

Die Verteidigungsministerin wirkte entspannt, verzichtete auf Floskeln und stärkte ihrer Chefin in souveräner Manier den Rücken. Angela Merkel dürfte mit dem Auftritt ihrer Parteifreundin zufrieden sein.

Satz des Abends: "Dies ist eine Weltkrise, und eine Weltkrise kann man nicht innerhalb kürzester Zeit lösen", sagte von der Leyen mit Blick auf die Flüchtlingskrise und die schlechten Umfragewerte.

Erkenntnis des Abends: Merkel ist gleich Flüchtlingskrise

Angela Merkel ist schon lange nicht mehr nur Angela Merkel. Immer wenn es um die Kanzlerin geht, dann geht es auch automatisch um Flüchtlinge, Horst Seehofer, Wladimir Putin und Syrien. Das war gleichzeitig auch eine Schwäche der Sendung: Bei "Anne Will" entwickelte sich zwar eine unterhaltsame Diskussion, allerdings ohne richtigen Fokus. Ob Angela Merkel die Kurve bekommt, bleibt offen — in der Sendung hat sie jedenfalls gefehlt.

(gol)
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