Talk über Jan Böhmermann Anne Will lacht über "türkische Mächte"

Düsseldorf · Bizarrer Talk mit Anne Will zur Causa Böhmermann. Bis zum Ende weiß keiner, ob man über ein Gedicht oder eine Straftat diskutiert. Elmar Brok (CDU) will den Zuschauer für dumm verkaufen. Kabarettist Somuncu schlägt um sich. Und dann spielt die Technik verrückt. Der Schnell-Check.

Wer ist Jan Böhmermann? Der ZDF-Satiriker und Moderator im Porträt
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Das ist Jan Böhmermann

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Foto: dpa/Christophe Gateau

Darum ging's:

Titel der Sendung: "Streit um Erdogan-Kritik — Kuscht die Bundesregierung vor der Türkei?" Die Schmähkritik von Jan Böhmermann über den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan wird zum Politikum. Anne Will stellt die unangenehme Frage, ob die Bundesregierung offene Kritik an der Türkei meidet, um keine Rückschläge in der Flüchtlingspolitik zu riskieren.

​Darum ging's wirklich:

Böhmermann-Exegese. Alles nur Kabarett, sagen die einen. Eine gemäß § 103 StGB strafbares Straftat, die anderen. Dabei geht es um den Unterschied von Satire und Schmähkritik. Beim einen steht die Kritik an einem Sachverhalt im Mittelpunkt, beim anderen die unsachliche Diffamierung einer Person.

Was man wissen sollte:

Böhmermann hatte sein vor Beleidigungen nur so strotzendes Gedicht in seiner Anmoderation mit einem doppelten Boden unterlegt, um zu zu demonstrieren, wo genau dieser Unterschied liegt. "Ein Zwitter von satirischer Genialität", urteilte Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen bei Will. Denn Böhmermann thematisierte die Grenzen der Meinungs- und Satirefreiheit, indem er diese Grenzen übertrat. Das nun einzuordnen ist diffizil. Heute befasst sich die Bundesregierung mit dem Fall, weil die Türkei die Strafverfolgung Böhmermanns fordert. Mehrere Anzeigen liegen vor, der Staatsanwalt ermittelt.

Die Runde:

  • Serdar Somuncu (Kabarettist)
  • Elmar Brok (CDU, Europa-Parlamentarier)
  • Sevim Dagdelen (Die Linke)
  • Bernhard Pörksen (Medienwissenschaftler)
  • Fatih Zingal (Vize der Union Europäisch-Türkischer Demokraten und Erdogan-Anhänger)

Ein bizarrer Streit

Schon zum Einstieg geht es um die Frage, ob Merkel darauf verzichtete, eine Lanze für die Presse- und Meinungsfreiheit zu brechen, als sie mit dem türkischen Ministerpräsidenten Davutoglu über Böhmermann sprach. Offizielles Statement der Bundesregierung dazu: Es habe sich um ein "bewusst verletzendes Gedicht" gehandelt.

Elmar Brok bemühte sich, das als reine Meinungsäußerung der Kanzlerin darzustellen. Auch sie habe ein Recht dazu. Damit allerdings erlitt er direkt Schiffbruch und vermutlich war er sich dessen bewusst, so kümmerlich sein Ausdruck. Auch Brok wird wissen, dass es um Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei miserabel bestellt ist, dass Erdogan sich über den den deutschen Botschafter beschwerte, weil der sich solidarisch mit kritischen Journalisten aus der Türkei gezeigt hatte. "Das ist nicht Ihr Land, das ist die Türkei", verbat sich Erdogan die Einmischung in innere Angelegenheiten, versucht aber nun deutsche TV-Satire zu maßregeln.

Der wie so oft messerscharf argumentierende Serdar Somuncu gab Brok entsprechend Kontra. "Wir sprechen Merkel das Recht auf Meinungsfreiheit nicht ab. Aber wir sind auch nicht blöd", schrieb er dem CDU-Politiker hinter die Ohren. Und: "Wir reden hier nicht über Geschmack." Die türkische Forderung um Strafverfolgung fand er skandalös: "Das ist nicht mehr lustig, das ist ein Eingriff in die Grundrechte."

Ein bizarrer Gast

Fatih Zingal ist stellvertretender Vorsitzender der Union Europäisch-Türkischer Demokraten. Die Gruppe ist inoffizieller Ableger der AKP und steht voll und ganz hinter Erdogan und seiner Politik. Aus ihren Reihen stammen mehrere Strafanzeigen gegen Böhmermann. Zingal, ein Rechtsanwalt aus Solingen, argumentierte streng formalistisch und wie in Beton gegossen: Böhmermanns Gedicht sei eine Schmähkritik und damit nach Paragraph 103 strafbar, basta. Davon befreie ihn auch nicht seine Anmoderation. Sonst könne ja jeder zu seinem Chef gehen und sagen, pass auf, das was jetzt kommt ist nicht zulässig und ihn dann aufs Übelste beleidigen.

Ins Schleudern gerät Zingal dann, als es um die Türkei geht und er die Frage beantworten soll, wo es für Journalisten mehr Rechtssicherheit gebe, in Deutschland oder der Türkei. Er windet sich, quält sich sichtlich und lässt sich zu der Aussage hinreißen, "selbstverständlich" gebe es auch für Medienvertreter die gleiche Rechtssicherheit wie in Deutschland. Am Rande weist Will darauf hin, in der Türkei seien inzwischen 1800 Menschen angeklagt, weil sie angeblich Erdogan beleidigt haben.

Die Moderatorin ist gut aufgelegt an diesem Abend. Nicht nur, weil sie es versteht nachzuhaken, sondern auch weil sie dies mit Charme kombiniert. Quälende Nachfragen garniert sie mit einem schelmischen Zucken der Augenbrauen. Einmal kann sie nach einem bissigen Einwurf Somuncus nicht mehr an sich halten. Ganz unbefangen ist sie ja nicht. Schließlich war Anne Will Gast in der jüngsten Ausgabe von Böhmermanns "Neo Magazin Royale".

Ein bizarrer Moment

Ab 22.28 spielt auch noch die die Technik verrückt. "Welche Form von Kritik fände Herr Erdogan eigentlich witzig?", fragt Anne Will, als plötzlich ein Scheinwerfer an der Studiodecke dunkel wird und sich ein Schatten auf Zingal legt. "Da geht gleich das Licht aus", feixt die Moderatorin. "Das sind auch schon türkische Mächte, die hier herrschen", sagt sie und lacht. Das ist erst der Anfang. Einige Minuten lang knarrt es im Gestänge unter Studiodecke, die Gäste schauen verunsichert nach oben. "Ich hoffe die Lampen hier oben haben Sie im Griff", sagt Pörksen. "Ich hoffe Sie sehen uns überhaupt noch", sagt Anne Will. "Wir haben hier offensichtlich einen Stromausfall."

Dialog des Abends

Brok antwortet auf die Frage, ob Merkel vor der Türkei kusche: "Nein."

Somuncu: "Das ist Satire."

Erkenntnis

Wenig. Kritik an Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei ist nicht eben überraschend. Eher irritierend war der marionettenhafte Auftrat Zingals. Merkel sollte beunruhigen, wie viel Mühe Elmar Brok hatte, die Haltung der Kanzlerin zu verteidigen.

(pst)
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