Bjarne Mädel Nicht normal

Grimme-Preise hin oder her – es heißt, Bjarne Mädel spiele immer dasselbe: Minimale Variationen des trotteligen Normalos. Das Gegenteil ist richtig. In seiner Kunst zeigen sich alle Facetten des Lebens. Ein Porträt.

Das ist Bjarne Mädel
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Vielleicht sollte man diesen Text mit etwas Krassem beginnen, einem brüllend komischen Gag in blutiger Umgebung zum Beispiel oder mit dem Lungenriss, den er sich im echten Leben zuzog, als er einmal zu intensiv spielte. Aber Bjarne Mädel schätzt das Subtile. Das wiederum schätzen seine Fans an ihm. Und Sie zu einem Fan zu machen ist das Ziel dieses Texts.

Etwas Subtiles also: "Wäh?" fragt Tatortreiniger Heiko Schotte, wenn er wieder mal nur Bahnhof versteht. Eine Mischung aus "Wat?" und "Hä?", aber das "Wäh?" ist besser, weil so viel glaubwürdiger. "Bitte?" sagt ja ohnehin kaum jemand. Außer überall sonst im deutschen Fernsehen.

Bjarne Mädel hat sich entschieden, "Wäh?" zu fragen. Er stolpert, stottert, schwitzt. Flucht und führt seine Sätze nicht zuende. Er ist in seinen Rollen nicht so wundersam schlagfertig wie 99 Prozent aller TV-Charaktere. Manchmal haben seine Begegnungen ein Happy End, meistens nicht. Die Komik entspringt der Tragik. Wie im echten Leben halt. Nur verdichtet.

Das ist die Kunst von Bjarne Ingmar Mädel, 46. Als Kind gehänselt wegen seines Nachnamens. Ex-Hafenarbeiter. Ex-Student der Weltliteratur und Vertreter für Putzmittel in Los Angeles. Ex-Schauspielschüler. Ex-Theaterschauspieler, der Fernsehen als "oberflächlich und doof" verachtete. Aktuell: Vorzeige-Fernsehschauspieler, Gewinner von Deutschem Comedypreis und Grimme-Preisen. Eine Kombination, die ihm nicht als Erstem gelang, aber auch zuvor ausschließlich Granden wie Oliver Kalkofe, Oliver Welke und Ina Müller.

Er trägt die Frisuren seiner Figuren und frisst sich ihren Speck an

Was Mädel macht, kann man Comedy nennen, aber es ist ungewöhnliche Comedy. Experimentierfreudig. Unvorhersehbar. Mal brüllend komisch, mal todernst. Mal albern, mal tiefgründig. Manchmal mit Kloß im Hals statt Schlusspointe. Gleich bleibt nur die Qualität seines Spiels. Das liegt auch an seinem Quasi-Privatregisseur Arne Feldhusen und den Drehbuchschreibern, an Glück und Timing. Vor allem aber investiert Mädel immer wieder alles: Herz und Hirn, Handwerk und Hingabe.

Regelmäßig läuft er im Privatleben mit den belämmerten Frisuren seiner Charaktere durch die Gegend. Mehrmals hat er zehn Kilo zu- und wieder abgenommen, weil er als gemütlicher Dorfpolizist unterm Pantoffel einen stattlichen Bier- und Wurststullenbauch haben soll, in anderen Rollen aber nicht. Mädel ist sich durchaus bewusst, dass er sich Haarteile basteln oder ein Kissen um den Bauch binden lassen könnte – aber das wäre nicht sein Anspruch. Er macht keine halben Sachen.

Im zweiten Jahr an der Staatlichen Schauspielschule in Potsdam sprach er einen Monolog so intensiv, dass ihm die Lunge einriss. Das sei schmerzhaft gewesen, sagt er heute dazu, aber man dürfe das auch nicht zu hoch hängen. Es gäbe dazu auch eine medizinische Veranlagung, und anderen passiere das auch, Trompetern etwa oder Sängern. Sein Fazit: "Ich hab' da gelernt, dass es sehr sinnvoll ist Luft zu holen, wenn man welche braucht."

Bekannt wurde 2004 Mädel mit "Stromberg", der Büro-Comedyserie. Die deutsche Version von "The Office". Die Helden von "Stromberg": die gleichnamige Chef-Karikatur von Christoph Maria Herbst – und mit jeder Folge mehr bis hin zum krönenden Kinofilm 2014 das von Mädel verkörperte Muttersöhnchen und Mobbingopfer Berthold "Ernie" Heisterkamp.

Aus dem größten Quotenerfolg stieg er aus

Weniger bekannt, aber genau so gut ist Mädel in der Werbesatire "Der kleine Mann", in der Hartz-IV-Milieustudie "Die Könige der Nutzholzgewinnnung", als kriegstraumatisierter Soldat im "Polizeiruf: Klick gemacht" (auf der Website zum Film ist sein Name falsch geschrieben). Die höchsten Quoten erzielte er mit der ARD-Provinzkrimikomödienserie "Mord mit Aussicht", bis zu sieben Millionen sahen zu. Mädel stieg aus. Weil ihm seine Figur "auserzählt" schien.

Umso mehr Lust hat er auf "Der Tatortreiniger", der 2010 zunächst in den frühen Morgenstunden der Weihnachtsfeiertage ohne jede Ankündigung vom NDR versendet wurde. Es bedurfte einer wahren Revolte von Feuilleton und Fans, zweier Grimmepreise und vier Jahre Zeit, bis sie in diesen Tagen einen festen Sendeplatz erhielt: mittwochs um 22 Uhr im NDR. Die noch bessere Nachricht: Am Samstag, 3. Januar, laufen ab 20.15 Uhr acht Folgen am Stück bei EinsPlus.

In "Der Tatortreiniger" spielt er einen Putzmann, der in Hamburg den Toten hinterherwischt. Und dabei kammerspielartig konfrontiert wird mit rabiaten Angehörigen, schockierten Prostituierten, penetranten Schamanen. Mit einem Neonazi, der den schlicht gestrickten Schotty in Grund und Boden argumentiert. Und einer rollstuhlfahrenden Veganerin. Besonders letzteres Aufeinandertreffen bringt sensationelle Fremdschäm-Momente: Schotti verwechselt "vegan" mit "Contergan", dem Medikament, das tausende Menschen verkrüppelte. Schotti nennt als trennendes Element zwischen Mensch und Tier "aufrechten Gang" – eisiges Schweigen aus dem Rollstuhl. Schotti rudert. Auf überragende Intelligenz kommt er schließlich noch. Sie faucht: "Geistig Behinderte, Komapatienten und Unter Dreijährige darf man also essen!"

Eigentlich sollte die Serie "Der letzte Dreck" heißen. Damit kamen sie dann doch nicht durch. Mit vielem, sehr vielem anderen aber eben schon. Zum Glück.

Apropos: "Glück reimt sich nicht auf Leben / Na ja, so ist das eben" heißt der Gedichtband, den Bjarne Mädel 2011 schrieb. Dieser Reim ist der mit Abstand beste darin. Aber wenn Bjarne Mädel alles könnte, wäre es ja auch unfair.

(tojo)
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