"Günther Jauch" Der Geruch von Auschwitz

Düsseldorf · Auschwitz als Talkshow-Thema, kann das gut gehen? Es kann. Nur selten hat ein Publikum so aufmerksam zugehört wie am Sonntagabend, als Günther Jauch zwei Überlebende erzählen ließ. Eine denkwürdige TV-Stunde.

Günther Jauch sprach am Sonntagabend mit zwei Überlebenden von Auschwitz.

Günther Jauch sprach am Sonntagabend mit zwei Überlebenden von Auschwitz.

Foto: Screenshot NDR

Normalerweise ist das Tempo im Sonntagabend-Talk hoch. Man fällt sich ins Wort, kaum ein Gedanke findet die Zeit, zu Ende gedacht zu werden, ein Thema jagt das nächste. Nicht so am Sonntagabend, zwei Tage vor dem 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Im Gegensatz zum sonstigen Polit-Gebrüll gab es immer wieder Momente der Stille.

Wie sollte das auch anders sein, wenn Menschen erzählen, die erlebt haben, was Auschwitz bedeutet. Und das auf eine sanfte, anrührend milde Art und Weise, die mehr ins Herz traf als es jede Schilderung des Grauens hätte tun können.

Der Geruch des Lagers

Zu Gast bei Jauch waren zwei Frauen. Eva Erben, 84 Jahre alt, zuerst 1941 nach Theresienstadt gebracht, 1944 ins Todeslager Auschwitz. Auf der anderen Seite Margot Friedländer, 93 Jahre alt, 15 Monate im Untergrund auf der Flucht vor der Gestapo, dann doch in Theresienstadt. Sie verlor ihre Eltern und den Bruder in Auschwitz. Später kam noch Gerhard Wiese hinzu, Staatsanwalt im ersten Auschwitz-Prozess, der der Lebenslüge der jungen Bundesrepublik ein Ende machte, indem er die Schuld der Mittäter aufarbeitete.

Doch eigentlich hätte es ihn nicht gebraucht. Was die beiden Überlebenden in ruhigen, manchmal tastenden Worten erzählten, hätte vollauf gereicht für diesen Abend. Ihr Zeugnis machte deutlich, wie sehr Auschwitz Teil dieses Deutschlands ist und immer bleiben wird.

Erben erinnert sich an den Geruch von Auschwitz. "Wir haben gedacht, das ist eine Fabrik", sagt sie. Wir haben nicht gewusst, dass dort Menschen vergast wurden." In einem mit Brettern vernagelten D-Zug wurde sie dorthin gebracht. An der Rampe die Selektion, sie wird als arbeitsfähig eingestuft. So entgeht sie dem Tod durch das Gas.

Erst nach 34 Jahren spricht sie darüber

Sie redet leise, mit wachen Augen, nur manchmal zittert die Stimme. Allein die nüchternen Worte reichen, um das Monströse zu verdeutlichen. 34 Jahre hat sie gebraucht, um erstmals darüber sprechen zu können. Den Terror der ständigen Zählappelle. Ständig schreiende Nazis. Die Stiefel vor ihren Augen.

Oder auch wie Mengele den Frauen die Babys unter einem Vorwand wegnahm und sie später mit anschauen mussten, wie ihre Kinder umgebracht wurden. Wie sich eine Mutter tags darauf in den Elektrozaun warf, weil sie das Leiden nicht mehr ertragen konnte.

Auch Erben, damals 14 konnte diese Eindrücke nicht verkraften. Erst als sie Jahre später selbst Mutter wird, werden die Erinnerungen an die toten Kinder wieder wach. "Auschwitz, das erlebt man wie unter einem Schleier, wie unter Narkose", sagt sie.

Eine letzte Nachricht der Mutter

Dass sie überlebte, verdankte sie einem Zufall. Die Nazis trieben die letzten Insassen von Auschwitz wenige Wochen vor Kriegsende auf dem "Todesmarsch" nach Westen. Die Menschen starben vor Hunger und Schwäche. Auch ihre Mutter, der die damals 14-Jährige beim Sterben zuschauen muss. Tags darauf bricht auch sie zusammen, nachdem die SS die Gruppe für die Nacht in einem Stall zusammengetrieben hat.

Vor Erschöpfung überkommt sie die Ohnmacht, sie fällt direkt neben einer Kuh in den Mist. Als sie am Morgen beim Zählappell fehlt, lassen die Wächter die Hunde los. Doch unter dem Gestank des Viehs und des Dungs bleibt sie verborgen. Als sie aufwacht, ist sie allein.

Eine ganz andere Geschichte erzählt Margot Friedländer. Nur um Haaresbreite entging sie der Gestapo. Auf dem Weg nach Hause fällt ihr der seltsame Mann auf. Im Treppenhaus geht sie an ihm vorüber, als der ihren Bruder verhaftet. Bei Freunden findet sie Hilfe. Dort hat ihre Mutter ihr eine letzte Nachricht hinterlassen. Auch sie war der Gestapo entkommen. Doch sie entschied sich, sich zu stellen, um den 16-Jährigen Ralph zu begleiten.

Friedländer verurteilt die neuen Generationen nicht

Wenn Friedländer sich erinnert, wird Geschichte in ihren ganzen Tragweite lebendig, eben weil sie die Motive und Gefühlswelten der Menschen zurückholt. "Mein Bruder war vier Jahre jünger", sagt sie. Und versetzt sich in die damalige Lage ihrer Mutter. "Wie konnte sie sich vorstellen, nicht für ihn da zu sein?" Nach einer Pause ergänzt sie: "Hätte sie sich vorstellen können, dass sie zwei Minuten nach der Ankunft auseinandergerissen werden würden?" Bei Jauch trägt sie die Bernsteinkette ihrer Mutter um den Hals.

Umso anrührender, aber auch beschämender ist es, sie über das Deutschland von heute sprechen zu hören. Friedländer nämlich ist vor vier Jahren aus den USA zurück nach Deutschland gekommen, all dem Grauen zum Trotz. "Die Menschen, die ich jetzt getroffen habe, sind die dritte oder vierte Generation, oder waren damals im Krieg kleine Kinder", sagt sie. "Wie kann ich diese Menschen verurteilen, die nichts damit zu tun hatten?"

Jauch spricht die beiden Frauen später auf den wieder nach Europa zurückkehrenden Antisemitismus an. Und dass ein Fünftel der Deutschen unter 20 mit dem Begriff Auschwitz nichts mehr anzufangen wisse. "Ich versuche, ihnen die Hand zu reichen, damit sie die Zeitzeugen sind, die wir nicht mehr lange sein können", sagt Friedlander.

(pst)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort