"Hell on Wheels" Die beste unbekannte Serie der Welt
Düsseldorf · "Hell on Wheels" spielt nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Mit dem immergleichen Wildwest-Gedöns hat die Serie nichts gemein. Die Konflikte um Identität und Integration, Moral und Opportunismus und den Preis des Fortschritts sind so packend wie bildstark – und bleiben im Kopf.
"Hell on Wheels" spielt nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Mit dem immergleichen Wildwest-Gedöns hat die Serie nichts gemein. Die Konflikte um Identität und Integration, Moral und Opportunismus und den Preis des Fortschritts sind so packend wie bildstark — und bleiben im Kopf.
Wer die Websites der überregionalen deutschen Zeitungen nach "Hell on Wheels" durchsucht, findet: nichts. Nur hier und da einen Artikel über Thomas Hellriegel, den Triathleten aus Baden, der auf dem Fahrrad besonders stark ist und deshalb diesen Spitznamen trägt. Die Neue Zürcher Zeitung trägt noch bei, dass auch die 2. US-Panzerdivision so hieß, die 1945 beinahe Berlin erobert hätte.
Wer hierzulande die Hölle auf Rädern überhaupt mit einer TV-Serie in Verbindung bringt, denkt wohl am ehesten an böse Motorrad-Rocker in Lederkluft; diese Produktion heißt aber "Sons of Anarchy". Dass "Hell on Wheels" in Deutschland so unbekannt ist, grenzt an Frevelei.
Große Serie ohne große Namen
Im Mittelpunkt der Geschichte steht Cullen Bohannon, ein ehemaliger Sklavenhalter, der als Südstaatler zu den Kriegsverlierern gehört und beim Bau der ersten transkontinentalen Eisenbahnlinie anheuert. Er giert nicht nach so etwas Hehrem wie Sinn — nur nach Ablenkung und Rache an den Männern aus den ach so zivilisierten Nordstaaten, die in den Kriegswirren seine Frau und seinen Sohn ermordet haben.
Bohannon wird gespielt vom weitestgehend unbekannten Anson Mount, und auch beim Rest der Besetzung finden sich keine großen Namen. Am ehesten würden dazu noch der afroamerikanische HipHop-Musiker "Common" zählen sowie der Ire Colm Meaney, der sich in den Star Trek-Serien "The Next Generation" und "Deep Space Nine" um das "Beamen" und allerlei galaktische Hausmeistertätigkeiten kümmerte. In "Hell on Wheels" spielt Meaney mit sensationeller Wucht den intriganten Eisenbahnbaron Thomas Durant, der seine Gegenüber in fließendem Wechsel bezirzt, besticht und bedroht.
Von seinem persönlichen, obszön luxuriösen Eisenbahnwaggon aus blickt Durant genüsslich und Zigarren paffend auf die wachsende Bahnstrecke und das Leben in der mitreisenden, titelgebenden Zeltstadt, dem maximal unzivilisierten Brückenkopf der Zivilisation — wenn man das Leben nennen will, diese immergleiche Abfolge von Schuften, Fressen, Saufen, Schlafen, mit Besuchen in Bordell, Kapelle und dem Dia-"Kino" der milchgesichtigen McGinnes-Brüder als einzige Abwechslung.
Alles ist Darwinismus
Stetige Begleiter der arbeitenden Bevölkerung sind Hitze und Kälte, Wind und Nässe, Staub und Schlamm. Tränen fließen dabei fast nie, Blut, Schweiß und Schnaps umso häufiger. Alles, was Nord- und Südstaatler, desillusionierte Amerikaner und hoffnungsfrohe Immigranten darüber hinaus verbindet, iste ihre Verachtung für Huren und Schwarze — und alle miteinander schweißt ihre Angst vor den rothäutigen "Wilden" zusammen.
Solidarität und Freiheit bleiben Utopien, alles ist Existenzialismus und damit Darwinismus. Jeder benutzt jeden im Kampf um das eigene Vorankommen. Gekämpft wird mit Blicken und Worten, Geld und Sex, Chuzpe und Muskeln, Bibel und Blei. Alles hat seinen Preis, alles ist verhandelbar, Kategorien wie Gut und Böse inklusive.
Weite Prärien und enge Pinten, knisterndes Feuer und knarzende Galgen, wuchernde Bärte und rauchende Colts bilden eine starke Kulisse dafür. Wenn man der Serie eines vorwerfen kann, dann dass sie sich zu angestrengt selbst stilisiert. Fast regelmäßig sprechen die Protagonisten allzu markige Sätze oder blicken, wenn sie schweigen wie so oft, allzu bedeutungsschwanger in die Ferne oder ins Nichts.
Aber vielleicht ist das so unter rauen Menschen in einer rauen Umgebung nach einem Bürgerkrieg, der ihre ganze junge Nation zu einer "offenen Wunde" gemacht hat, wie es in der Pilotfolge heißt. Wer bin ich, darüber zu urteilen, 150 Jahre später, 7500 Kilometer und unzählige Welten entfernt?
Viel "Breaking Bad" mit einer Prise "Django Unchained"
Die Actionszenen mögen nach allen Regeln der Popcornkino-Kunst inszeniert sein, Gewaltverherrlichung aber kann man der Serie nicht vorwerfen. Meuchelmord bleibt immer als Meuchelmord erkennbar, mit Pfeffer präparierte Bandagen beim Boxkampf als das Werk eines Feiglings.
Und das Teeren und Federn wird vom Running Gag aus "Lucky Luke"-Comics endlich zu einer greifbaren Barbarei, die buchstäblich Narben hinterlässt — in diesem Fall beim zwischenzeitlichen Pseudo-Sheriff Thor Gundersen, der bereits an Herz und Seele vernarbt ist nach seiner Zeit in einem KZ-artigen Kriegsgefangenenlager, die den braven Buchhalter von einst zum gewaltbereiten, hemmungslosen Opportunisten gemacht hat.
Kein Konflikt wird ausgelassen, kein Charakter bleibt ohne Sünde und keine Sünde bleibt ungesühnt in "Hell on Wheels".
Das hat wenig mit Karl May-Filmen zu tun und noch viel weniger mit der Billigwestern-Meterware, die hierzulande auf den hinteren Kanälen seit Jahrzehnten nicht totzukriegen ist. "Hell on Wheels" ist eine Kreuzung aus viel "Breaking Bad" und etwas "Django Unchained". Das Ergebnis ist ein Drama, das selten mit Subtilität glänzt, aber eindrucksvoll den Kreislauf von (Selbst-)Zerstörung und Wiederaufbau zeigt sowie die Rückzugsgefechte um die Bewahrung von Glaube, Liebe und Hoffnung. Intensiv werden die zeitlosen Konflikte um Identität und Integration, Macht und Ohnmacht, Moral und Opportunismus, Schuld und Sühne verhandelt. Das ist in seiner bombastischen Inszenierung einerseits große Unterhaltung und bleibt andererseits im Kopf.
Bitter, dass hierzulande kein Entscheider bei einem Free-TV-Sender glaubt, dass ein Western das leisten kann.