Los Gatos Die Welteroberer

Los Gatos · Netflix wurde lange unterschätzt. Zum heutigen 20. Firmengeburtstag hat der Streamingdienst rund 100 Millionen zahlende Kunden.

Los Gatos: Die Welteroberer
Foto: ferl

Vor anderthalb Jahren ging der US-Dienst Netflix, der in Europa, Australien und Japan bereits verfügbar war, auch in weiteren 130 Ländern online. Seitdem ist der Streamingdienst weltweit abrufbar, mit nur drei Ausnahmen: In Syrien und Nordkorea darf kein US-Unternehmen Geschäfte machen, China verweigert dem Konzern eine Lizenz. Netflix kommt das vielleicht sogar entgegen: An den Eigenheiten des chinesischen Markts sind schließlich schon viele gescheitert.

Netflix ist allerdings auch nicht irgendwer. Die Firma wurde heute vor 20 Jahren gegründet - zwölf Jahre vor Youtube, sieben Jahre vor Facebook, immerhin zwei Wochen vor Google. Für einen Digitalkonzern ist 20 ein beinahe biblisches Alter. Aber Netflix ist kein typischer Digitalkonzern. Weil seine Nutzer mit Geld statt Daten zahlen, gerät der Konzern nicht in einschlägige Debatten.

Gestartet ist der heutige Weltkonzern 1997 analog und offline. Während der ersten Hälfte seines Bestehens bestand das Geschäft darin, Filme auf dem damals neuen und zukunftsträchtig scheinenden Medium DVD zu verleihen. Per Post. Das "Net" in "Netflix" bezog sich damals darauf, dass man Bestellungen online aufgab, anstatt in eine Videothek laufen zu müssen. Konzernchef Reed Hastings (56) erzählt gern, dass ihm die Idee zu Netflix gekommen sei, als er 40 Dollar Verspätungsgebühr für eine vergessene "Apollo 13"-Videokassette zahlen musste. "Ich wollte meiner Frau nichts davon erzählen, und dann fragte ich mich: ,Will ich wegen einer Verspätungsgebühr wirklich die Integrität meiner Ehe gefährden?'"

Co-Gründer Marc Randolph sagt, das sei so nie passiert, aber die Story zeigte Wirkung: Eines der Hauptargumente, mit denen Netflix Kunden gewann, war der Verzicht auf Verspätungsgebühren. Geliehene DVDs musste man erst dann zurückgeben, wenn man die nächste ausleihen wollte.

2002 ging Netflix an die Börse, 2005 hatte es mehr als vier Millionen Kunden. Die größten Schritte machte das Unternehmen 2007 mit der Einführung des Streaming-Services sowie 2013, als es begann, unter großem finanziellen Risiko eigene Serien wie den Polit-Thriller "House of Cards" und die Knast-Serie "Orange is the New Black" zu produzieren. Mit diversen Preisen wie Emmys und Golden Globes wurden diese Formate ausgezeichnet, zuletzt gab es auch einen Oscar.

In den ersten Jahren hatte der Newcomer von niedrigen Preisen für Streaming-Lizenzen der Inhalte von Dritten profitiert, doch diese Zeiten sind vorbei. Inzwischen ist Netflix auf der Flucht nach vorn vor der Konkurrenz durch Amazon Prime sowie die TV-Sender, die teils allein und teils auch mit vereinten Kräften eigene On-Demand-Angebote aufbauen wie HBO, Hulu, Sky oder auch die öffentlich-rechtliche britische BBC. Zuletzt erklärte Disney, man arbeite an einer eigenen Video-Plattform.

Der Gejagte Netflix ist dabei selbst permanent auf der Jagd nach eigenen Inhalten, die so viele neue Kunden anlockt und alte weiter an sich bindet, dass sich das Geschäft eines Tages komplett rechnet. Wahr ist zwar, dass Netflix seit 2002 in jedem Quartal profitabel ist. Wahr ist aber auch, dass die Firma fast fünf Milliarden Dollar Schulden hat und dazu Zahlungsverpflichtungen in Höhe von mehr als 15 Milliarden Dollar. Angesichts des Firmenwerts (75 Milliarden Dollar) sowie Wachstum und Umsatz sind Analysten und Anleger insgesamt hochzufrieden.

Netflix zeigt alles außer Sport: den Dauerbrenner "House of Cards" (das in Deutschland kurioserweise lange exklusiv bei Sky zu sehen ist), das Historienspektakel "The Crown", den Erwachsenen-Cartoon "BoJack Horseman" über ein alkoholkrankes, sprechendes Pferd mit Midlife-Crisis, diverse Dokumentationen. Ständig kommt etwas Neues ins Programm. Die Zuschauer nutzen ihre Flatrate, die in Deutschland zwischen acht und zwölf Euro pro Monat kostet: 125 Millionen Stunden Programm sehen die rund 104 Millionen Kunden jeden Tag.

Viele Filmemacher schwärmen von der Zusammenarbeit. "Vom italienischen Fernsehen wurde ich oft eingeschränkt, wenn es um die Mafia ging, um die Politik oder den Vatikan", schwärmt etwa Regisseur Michele Placido (71). Bei Netflix genieße er deutlich mehr künstlerische Freiheit. Deren Mischkalkulation geht trotz einiger teurer Flops wie dem "Game of Thrones"-Abklatsch "Marco Polo" bislang auf. Vom Emanzipations-Drama bis zur Doku über die Amateurporno-Branche ist kein Thema so abseitig, dass es nicht sein Publikum fände.

Ermöglicht hat Netflix' Erfolgsstory auch die Arroganz der Etablierten. "Wird die Armee von Albanien die Welt erobern?", spottete der Chef des Medienriesen TimeWarner 2010 über die damals kleine Konkurrenz. Im Jahr 2000 hätte der Videotheken-Gigant "Blockbuster" Netflix für nur 50 Millionen Dollar schlucken können. Heute ist der damalige Primus längst insolvent.

(tojo)
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