Comedian Dieter Nuhr "Ich bin überhaupt kein Rechthaber"

Düsseldorf · Der Comedian Dieter Nuhr lässt in seiner neuen Sendung "nuhr gefragt" Prominente argumentieren. Ein Gespräch über Moral, die Verrohung der Sprache und offene Fragen.

Dieter Nuhr: Kabarettist, Fotograf, Fortuna-Fan
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Das ist Dieter Nuhr

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Foto: Ilgner/Carstensen

Herr Nuhr, in Ihrer neuen Sendung "nuhr gefragt" geht es um Antworten auf moralisch relevante Fragen. Was verstehen Sie darunter?

Dieter Nuhr Alles was mit "Darf man" anfängt und nicht juristisch gemeint ist. Vieles hat aber auch eine juristische und eine moralische Seite. "Darf ich den türkischen Staatschef als Ziegenbeschläfer outen?" ist eine juristisch relevante, aber auch moralische Frage, vor allem aus Sicht einer Ziege.

Gibt es eine Frage, die Sie persönlich nicht mehr hören können - und wenn ja, warum nicht?

Nuhr Noch nicht. Aber wenn wir die Sendung erstmal 23 Jahre lang gemacht haben, wird da sicher einiges zusammenkommen.

Welche Fragen werden zu selten gestellt?

Nuhr Die Frage, ob wirklich alles in Frage gestellt werden muss. Wir haben ja alle in der Schule gelernt, dass man fragen soll, wenn man etwas nicht verstanden hat. Leider machen sich viele Leute gar kein Bild davon, wie viel sie nicht verstanden haben.

Sind Sie eher jemand, der Fragen stellt oder der Antworten liefert?

Nuhr Meine Art von Komik lebt häufig davon, dass ich Antworten gebe auf Fragen, die keiner gestellt hat, und diese Antworten gleich wieder selbst infrage stelle. Ich bin ja ein großer Zweifler. Deshalb habe ich auch mit Heilsideologien, egal ob von links oder von rechts oder von religiöser Seite, meine Probleme. Und genau deshalb werde ich auch gerne ab und zu mal angegriffen, weil Leute es nicht aushalten, wenn viel zu einfache Antworten auf viel zu komplexe Probleme infrage gestellt werden.

Gibt es Fragen, die Sie besser gestellt hätten, sich aber nicht getraut haben?

Nuhr Nein. Außer vielleicht heute Morgen die Frage: "Kann es sein, dass die Milch sauer ist?" Dann hätte ich mir diesen Moment erspart, indem mir die Geschmackspapillen auf der Zunge mitteilten, dass der Verwesungsprozess schon im Gange war.

Auf welche Antworten warten Sie bis heute?

Nuhr Wenn es nur einen Anfang für alles geben kann, was war dann davor?

Die Antworten auf welche drängenden Fragen reichen Ihnen nicht aus? Und warum nicht?

Nuhr Nehmen Sie mir das nicht übel, aber diese Frage erscheint mir dann doch ein bisschen allgemein. Das geht ja vom richtigen Wirtschaftssystem bis zu der Frage, ob eine falsche Neun mit Götze in der Mitte ausreichende Aggressivität im Angriff verleiht. Eigentlich bringt ja jede richtige Antwort mindestens zwei neue Fragen auf. Wir werden wahrscheinlich nie allumfassende Erkenntnis erreichen, vor allem beim Fußball.

Antworten Sie Ihren Kritikern, und wenn ja, was?

Nuhr Das kommt drauf an, auf welche Art Kritik geübt wird. Wenn mir jemand höflich ein gutes Argument mitteilt, warum ich etwas falsch sehe, dann werde ich meine Sichtweise sofort verändern. Kein Problem. Ich bin überhaupt kein Rechthaber. Aber Überzeugung braucht Argumente. Daran hapert es oft. Leider ist einem großen Teil der Bevölkerung der Unterschied zwischen Kritik und Beschimpfung, zwischen rationaler Betrachtung und emotionalem Ausbruch nicht mehr bekannt. Wenn man sieht, was sich bei Facebook so an Kommentaren stapelt, dann wirft das die Frage auf, ob wir uns als Humanoiden wirklich kulturell über den Schimpansen befinden.

Hat sich der Ton verändert, in dem Kritik geäußert wird?

Nuhr Wahrscheinlich nicht. Aber durch das Internet wird jede Stimme sichtbar und öffentlich. Es war wahrscheinlich schon immer so, dass sich ausgerechnet die dümmsten Menschen aufgrund ihrer geistigen Beschränktheit am wenigsten vorstellen konnten, dass es andere und besser begründete Standpunkte als den eigenen geben könnte. Aber früher bissen diese Menschen in ein Stück Holz und blieben unerhört. Das war nicht immer schlecht.

Sie selbst üben ja auch gerne Sprachkritik - gibt es da für Sie mehr Ansatzpunkte, weil die Sprache verwahrlost?

Nuhr Leider muss ich da widersprechen, ich glaube nicht, dass die Sprache grundsätzlich verwahrlost. Es ist die Haltung hinter der Sprache, die verwahrlost. Sprache ist da nur ein Symptom.

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Ist die Einstellung des Verfahrens gegen Böhmermann eine gute Nachricht für Satiriker?

Nuhr Jedenfalls für alle Satiriker, die ausländische Staatschefs als "Ziegenficker" bezeichnen. Ich glaube, dass man dem Herrn Erdogan ziemlich viel vorwerfen kann, aber dass man ihm es recht einfach macht, wenn man ihn unter Niveau anpinkelt. Sein Palast mit 1000 Zimmern, den er sich gebaut hat, während seine Bevölkerung in Teilen des Landes aufeinander schießt, lässt mit Sicherheit darauf schließen, dass er großen männlichen Kompensationsbedarf hat, und dass seine Persönlichkeit interessante Störungen aufweist. Das Thema auf seine Ziegen zu bringen, war da wenig hilfreich. Ich halte es grundsätzlich für gut, dass bei uns der Rechtsstaat offensichtlich funktioniert. Das haben wir der Türkei schon mal voraus.

Welche Frage hätten Sie noch gerne beantwortet?

Nuhr Keine. Ich war ohnehin gerade fertig.

Jörg Isringhaus stellte die Fragen.


Neue Sendung "nuhr gefragt"

Konzept Bei "nuhr gefragt" versammelt Dieter Nuhr Comedians um sich, die zu einer mehr oder weniger moralisch relevanten Frage Position beziehen müssen. Nuhr entscheidet, ob sie Pro oder Contra argumentieren sollen.

Auch Zuschauer können Fragen einreichen unter mail@nuhrgefragt.de.

Sendung Ab Sonntag, 22.45 Uhr, WDR, sechs Folgen

(isr)
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