Neu auf DVD: "Fargo" Die Rache des kleinen Mannes war nie fürchterlicher

Die TV-Serie "Fargo" spielt im selben Universum wie der gleichnamige Kultfilm von 1996. In dem perfekt gelungenen Experiment brilliert neben Martin Freeman vor allem Billy Bob Thornton als Teufel auf Erden.

 Erschütternd, existenzialistisch und immer wieder brüllend komisch: Die Serie „Fargo“.

Erschütternd, existenzialistisch und immer wieder brüllend komisch: Die Serie „Fargo“.

Foto: Twentieth Century Fox

Die schwarze Komödie "Fargo" von 1996 über aus dem Ruder laufende Verbrechen und Leben in der verschneiten US-Provinz ist voller Uneindeutigkeiten, Rätsel, Fallstricke. Benannt nach einem Ort, der darin keine Rolle spielt. Beginnend mit dem Hinweis, dass er eine wahre Geschichte erzähle, was gelogen ist.

Wahr ist, dass 2001 eine junge japanische Frau nahe der real existierenden Stadt Fargo erfror. Sie hatte kein Wort Englisch gesprochen außer "Fargo" und eine Art Schatzkarte dabei gehabt. Schnell ging die Story um die Welt, dass sie auf der Suche nach dem fiktiven, von einem Killer im Schnee verbuddelten Geldkoffer aus dem Film gewesen war. Eine Geschichte zu verrückt, zu tragikomisch, zu gut, um wahr zu sein — bald erzählt in einem weiteren Kinofilm namens "Kumiko, the Treasure Hunter".

Die Pointe von alledem ist, dass Polizisten, Journalisten und Publikum eben jener Verwechslung zwischen Wunsch und Wirklichkeit aufsaßen, die sie der Toten unterstellt hatten. Die Schatzsuche-Story war in der Tat zu gut, um wahr zu sein; sie ist lediglich eine urbane Legende. Die Realität war viel trauriger und profaner: Dass das Opfer an Liebeskummer und Drogen starb, fand ein Dokumentarfilmer heraus — und drehte seinerseits einen dritten Film namens "This is a True Story", von dem die Öffentlichkeit wiederum kaum Notiz nahm (hier legal in voller Länge zu sehen; hier schreibt der Macher über die Hintergründe).

All das muss man wissen, um eine Ahnung davon zu bekommen wie groß das Sakrileg war, eine Mini-Serie zu drehen, die von diesem Kultfilm inspiriert ist und auch noch seinen Namen trägt.

Evolution vom Hobbit zu "Heisenberg"

Der Autor Noah Hawley hat es dennoch gewagt, die zunächst skeptischen Coen-Brüder mit seinem ambitionierten Ziel (nichts weniger einzufangen als die Essenz des Guten und des Bösen) überzeugt und als ausführende Produzenten für seine Serie gewonnen. Gemeinsam wollen sie mehrere Staffeln produzieren, die zu verschiedenen Zeiten spielen, aber im selben Universum und derselben Gegend, dem ländlichen Norden der USA.

Protagonist der ersten Staffel, die ein Jahr nach dem US-Start nun in Deutschland auf DVD erscheint, ist Lester Nygaard, Versicherungsvertreter im Kaff Bemidji, Minnesota, gespielt von Martin Freeman ("The Office", "Sherlock" und "Der Hobbit"). Um ihn herum: Ein aggressiver Spediteur, der ihm schon in der Highschool das Leben zur Hölle gemacht hat und auch als Erwachsener nicht vor körperlicher Gewalt zurückschreckt. Seine dumm-dreiste, schnippische Frau, die subtiler, aber noch schmerzhafter auf ihm herumhackt. Und sein schnöseliger, erfolgreicher Bruder, der sich so sehr für Lester schämt, dass er manchmal herumerzählt, dieser sei tot.

Lester ist nicht bloß in der Midlife crisis, er ist ein Mann wie Bernd das Brot: Sein Leben ist die Hölle. Wie sich das komplett ins Gegenteil verkehrt, wie er sich vom Hobbit zu Gangsterboss "Heisenberg" entwickelt, als er seine kriminelle Energie entdeckt, das Zeug zum Mörder, Meister-Manipulateur, Zocker und sogar Frauenheld, ist sensationell anzusehen. Die Rache des kleinen Mannes war nie fürchterlicher, die dafür nötige charakterliche Evolution der Figur ist unglaublich, aber nie unglaubwürdig.

Selten gab es einen faszinierenden Antagonisten

Angestiftet hat Lester dazu der mysteriöse Lorne Malvo, ein Killer mit Doofie-Ponyfrisur, der wie der Satan persönlich Zwietracht sät zwischen den harmlosen Provinzlern, bis Blut fließt, und zwar in Strömen. Als Profikiller verdient er sein Geld, doch das ist offensichtlich nur ein netter Bonus; Malvo hat sein Hobby zum Beruf gemacht. Billy Bob Thornton spielt ihn als Verkörperung des absoluten, banalen ("Es gibt keine Regeln"), aber hochintelligenten Bösen je nach Szene mit spöttischer Herablassung oder stählerner Entschlossenheit und Präzision.

Selten hat es einen faszinierenderen, verabscheuungswürdigeren Antagonisten gegeben.

Auf der Gegenseite steht neben dem blutdrucksteigernd inkompetenten Sheriff Bill Oswalt (Bob Odenkirk, "Breaking Bad", "Better call Saul") auch der pflichtbewusste, aber durchsetzungsschwache Officer Gus Grimly (Tom Hanks' Sohn Colin). Der muss sich eines Nachts entscheiden, ob er die Konfrontation mit Malvo wagt oder ihn ziehen lässt — aus Angst um sein eigenes Leben und davor, dass seine pubertierende Tochter in diesem Fall völlig allein aufwachsen müsste. Wie gut, dass es da noch die mollige, furchtlose und hartnäckige Polizistin Molly Solverson (zum Verlieben: Allison Tolman) gibt, die sich von den so hämischen wie beschränkten Kleinstadtcops um sie herum nicht einreden lässt, dass ihr Verdacht über Malvo Paranoia sei.

Die Beziehungen und Dialoge zwischen diesen und den vielen weniger wichtigen (teils absichtlich überzeichneten) Charakteren, die Gründe für und Folgen von deren Entscheidungen sind außergewöhnlich intelligent und glaubhaft gezeichnet, die Atmosphäre stimmig. Die Liebe zum Detail zeigt sich an der Länge der Liste mit Insiderwitzen sowie darin, dass jede Episode nach einem philosophischen Dilemma benannt ist, doch das bleibt kein nerdiger Selbstzweck. Das große Ganze stimmt: "Fargo" ist weniger eine Serie mit zehn einstündigen Episoden als ein zehnstündiger, extrem kurzweiliger Film. Es ist erschütternd und unterhaltsam, existenzialistisch und bei alledem immer wieder brüllend komisch.

Es ist wie "Breaking Bad". Nur ganz anders.

(tojo)
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