Netflix-Revival Die "Gilmore Girls" von früher sind nicht mehr da

Meinung · Seit Freitag läuft die Fortsetzung der erfolgreichen Serie "Gilmore Girls" auf Netflix. Unsere Autorin ist enttäuscht von den neuen Folgen. Lorelai und Rory sind nicht mehr die, die sie einmal waren. Wer sie noch nicht gesehen hat: Vorsicht, Spoiler-Alarm.

Gilmore Girls: Neue Bilder der Netflix-Miniserie veröffentlicht
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"Gilmore Girls" – Bilder der Netflix-Miniserie

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Foto: Robert Voets/Netflix

Echte Fans haben lange auf die vier magischen Worte gewartet, mit denen Gilmore-Girls-Erfinderin Amy Sherman-Palladino ihre Serie eigentlich enden lassen wollte. Und sie haben tatsächlich etwas Gutes. Wenigstens können Fans sich nun in ihrer Fantasie aussuchen, mit welchem Mann Rory am Ende zusammen kommt. Von Logan bekommt Rory zwar ein Kind, aber Jess ist auch noch nicht endgültig abgehakt. Das verrät der sehnsuchtsvoll schmachtende Blick, den Jess kurz vor Schluss von draußen durch ein Fenster auf Rory wirft.

Eine weitere gute Idee ist übrigens Kirks Hausschwein Petil. Das Schweinchen wird ähnlich wie Lorelais Hund "Paul Anka" zum heimlichen Serienstar.

Soweit das Gute vorneweg. Bis die magischen vier Worte gesprochen sind, müssen Fans nämlich einiges durchmachen mit dieser Serie.

Eine Erklärung wäre schön: Was ist bloß mit den "Gilmore Girls" passiert? Die Figuren fallen aus der Rolle, die Szenen sind schief. Und die Serie schafft es bei einer Länge von insgesamt sechs Stunden nicht, eine schlüssige Handlung zu erzählen. Stattdessen dichtet sie den Figuren Verhaltensweisen an, die nicht zu ihnen passen.

Lorelai Gilmore geht zum Beispiel mit ihrem Noch-nicht-Ehemann Luke zu einer Leihmutter-Agentur, weil sie darüber nachdenkt, mit 48 Jahren noch ein Kind zu bekommen. Sie fängt eine Therapie an: Zunächst begleitet sie ihre Mutter Emily Gilmore, dann geht sie alleine hin und verschweigt es Luke.

Diesselbe Lorelei macht sich in der sechsten Staffel über ihre Tochter lustig, weil diese nach ihrer Rückkehr an die Yale-University zu Therapiesitzungen verdonnert wird. Diesselbe Lorelai nimmt am Ende der sechsten Staffel eine hübsche Psychotherapeutin nicht ernst, die mit Rorys Vater Christopher verkuppelt werden soll. Am Ende sitzt Lorelai mit dieser Therapeutin im Auto und heult sich über die verkorkste Beziehung zu Luke aus, weil sie niemals eine Praxis betreten würde.

Lorelai geht auf einen Selbstfindungstripp in die Berge

In der Episode "Sommer", der dritten der vier neuen Folgen, bricht Lorelai einen Streit mit Luke vom Zaun und geht auf einen Selbstfindungstripp. Sie will auf dem "Pacific Crest Trail" entlang der kalifornischen Küste wandern (das schaut sie sich bei dem Film mit gleichnamigen Buch "Der große Trip" ab). Auch das passt nicht zur Figur. Lorelai rennt zwar gerne vor sich selbst davon, aber sie setzt sich ins Auto und fährt ihren Tank leer, als sie vor ihrer Trauung mit Rorys Literatur-Lehrer Max Medina flieht. Camping und Natur sind beides Dinge, die Lorelai nicht liegen.

Und ihre Tochter Rory Gilmore mutiert von einer jungen Frau mit Witz und Biss zu einer Karikatur ihrer selbst. Gleich in der ersten Folge taucht ein fester Freund namens Paul auf, der offenbar zu unbedeutend ist, um sich an ihn zu erinnern. Denn sie vergisst in jeder Folge gleich mehrere Male, sich von ihm zu trennen. Ein Gag, der auch nicht besser wird, je häufiger man ihn wiederholt.

Sie hat einen unfallartigen One-Night-Stand mit irgendeinem Typen, der als Star-Wars-Figur verkleidet ist. Sie arbeitet zwischenzeitlich ehrenamtlich als Herausgeberin der "Stars Hollow Gazette", weil ihr nichts besseres einfällt.

Damit soll sie vielleicht die rastlose, unterbezahlte und emotional entwurzelte Generation der "Um-die-30-Jährigen" vertreten, die bei ihren Eltern wohnt. Aber das ist unplausibel. Rory ist eine priviligierte junge Frau, mit Abschlüssen von einer Elite-Schule und einer Elite-Universität, ihre Familie hat Kontakte und Geld.

Und es ist nicht die "echte" Rory. Die würde nämlich niemals unvorbereitet zu einem Vorstellungsgespräch gehen. In der fünften Staffel lädt Logans Vater, Mitchum Huntzberger, sie zu einem Zeitungspraktikum ein. Rory legt zur Vorbereitung mehrere Hefter mit Dossiers über das Leben von Mitchum Huntzberger an und quetscht Logan über seinen Vater aus.

Die Serie ist ein Schaulaufen der alten Darsteller — ohne intelligente Handlung. Die Chefköchin des "Dragon Fly" und Lorelais beste Freundin Sookie St. James darf zwar die Hochzeitstorte machen, ist am Ende bei der Hochzeit aber nicht dabei.

Und die neuen Folgen fehlt es an Charme und Atmosphäre. Zuschauer fühlen sich kurzfristig in einen Baz-Luhrmann-Film versetzt, wenn Logan und seine Kumpel von der Life-and-Death-Brigade in der vierten Folge in Stars Hollow vorbeischauen. Die Kulissen sind so schrill wie in "Moulin Rouge", etwa die Tango-Bar, in die die Freunde Rory mitnehmen.

Das minutenlange "Stars Hollow"-Musical ist überflüssig

Einmal wird minutenlang eine Aufführung eines "Stars Hollow"-Musicals gezeigt, das in den besseren Momenten als Persiflage der amerikanischen Gegenwartskultur verstanden werden könnte. Ansonsten ist es aber völlig überflüssig und zerrt an den Nerven.

Viel ist vorher versprochen, viel erhofft worden. Auch mit niedrigen Erwartungen bleiben die Folgen unter allen Hoffnungen zurück. Denn für jeden Fan haben sich die "Gilmore Girls" zu eigenen Freudinnen mit Innenleben entwickelt. Das offene Ende ist hoffentlich kein Anlass für eine Fortsetzung der Fortsetzung. Gutes sollte man vielleicht einfach mal so stehen lassen.

(heif)
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