Team Wallraff in der Sicherheitsbranche Prügel für 8,40 Euro die Stunde

Vorerst letzte Folge des RTL-Investigativ-Formats "Team Wallraff": Verdeckt recherchierten Reporter acht Monate lang in der Sicherheitsbranche. Ergebnis: Das Wachpersonal wird systematisch ausgebeutet. Den Frust bekommen Unschuldige zu spüren.

Günter Wallraff deckt Missstände in der Sicherheitsbranche auf
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Was Team Wallraff in der Sicherheitsbranche erlebte

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Ein bisschen gibt sich Günter Wallraff bei RTL seit drei Wochen so wie die zentrale Anlaufstelle für soziale Ungerechtigkeiten und zum Himmel schreiende Arbeitsbedingungen. Seit Monaten und immer wieder bekomme er auch Hinweise aus der Sicherheitsbranche, hieß es auch in der vorerst letzten Ausgabe von "Team Wallraff" am Montagabend bei RTL.

250.000 sind in dieser Branche deutschlandweit beschäftigt. Als Security-Personal sollen sie für Sicherheit sorgen, etwa im Einkaufscenter, bei Konzerten, Volksfesten, aber auch beispielsweise in öffentlichen Einrichtungen wie dem Jobcenter.

Wachpersonal im Hartz-Center ist selbst Kunde

Was oft übersehen wird: Der Job ist schlecht bezahlt, die Arbeitszeit lang, Überstunden sind programmiert. Geradezu bizarr eine Beobachtung im Jobcenter Frankfurt: Das Sicherheitspersonal der Arbeitsagentur entpuppt sich als Aufstocker, das mit 930 Euro netto im Monat kaum über die Runden kommt. "Man lässt sich beschimpfen - und ist noch weniger wert als Hartz IV", sagte eine Frau. "Dass ausgerechnet die Bewacher eines Jobcenters so wenig verdienen, dass sie gleichzeitig auf Stütze durch das Jobcenter angewiesen sind, ist absurd und muss abgestellt werden", sagt Wallraff.

Hinzu kommt für die Branche typischerweise ein konfliktgeladenes Umfeld: Pöbeleien, Beleidigungen oder Handgreiflichkeiten sind an der Tagesordnung. Wallraff hat diesmal gleich zwei Reporter undercover eingeschleust. An mehreren Einsatzbereichen wollen sie aufzeigen, dass die Umstände in der Sicherheitsbranche noch schlechter sind als gemeinhin angenommen. Und werden schnell fündig.

Kontrollverlust auf dem Oktoberfest

Der erste Einsatz erfolgt auf dem Oktoberfest. Mit versteckter Kamera dokumentiert RTL-Reporter Daniel Hartwig, wie er sich als Wachmann auf dem Oktoberfest in München einschleust und haarsträubende Zustände dokumentiert, die weit von dem entfernt sind, was die Unternehmen in ihren Prospekten an Sicherheit und Expertise versprechen.

Nach fünf Tagen Schulung soll er fit und ausgebildet sein, auf dem Volksfest in München Konflikte zu regeln und den Einlass bei einem hoch frequentierten Festzelt zu regeln. Ein bisschen Psychologie, ein bisschen Recht — dann wird Hartwig ins kalte Wasser geschmissen, 12 Stunden ohne Pause, 8,40 Euro die Stunde.

"Man wird ein anderer"

Am Einlass muss er sich bespucken und anpöbeln lassen. "Du bist ein Bastard", und ähnliche Sätze fliegen ihm um die Ohren. Auch die Kollegen brüllen. Die aufgeheizte Atmosphäre lässt keinen Raum für Nettigkeiten.

Anfangs bleibt der Reporter zurückhaltend, auch weil er sich überfordert fühlt. Mit den Stunden übernimmt jedoch auch er zunehmend den rauen Umgangston. "Man wird ein anderer", sagt er. So wie ihm ergeht es nach Darstellung von RTL auch vielen Kollegen. Unzureichend qualifiziert, übermüdet und entnervt lassen sie ihren Frust an schwierigen Gästen ab.

Der Wettbewerb drückt die Preise

In einer Szene filmt Hartwig einen Zwischenfall, in dem die Ordner völlig die Kontrolle verlieren. Als ein Unbeteiligter sieht, wie brutal die Ordner einen Gast in die Knie zwingen, filmt er die Szene mit dem Handy — und gerät selbst in Schwierigkeiten. Es gibt Schläge, Schreie sind zu hören, verzerrt durch den Sprachfilter, mit dem RTL die Stimmen verfremdet. Mit den Knien wird der Handy-Zeuge auf den Boden gedrückt, weil er sich weigerte, seine Aufnahmen abzugeben. "Das ist Körperverletzung, eine Straftat", urteilt ein Experte.

Das Problem steckt wieder einmal im System. Die Dienstleister in der Sicherheitsbranche befinden sich im Wettbewerb. Um Aufträge zu ergattern, bleibt ihnen oft nichts anderes übrig, als die Kosten zu senken. In einem Fall verkleidet sich Wallraff als Diskotheken-Betreiber und holt Angebote ein. Schnell wandert in der Kalkulation der Posten der Personalkosten in den Keller. Der tarifliche Mindestlohn wie in diesem Fall aus Berlin von 8,14 Euro spielt keine Rolle mehr. Sicherheit, so die Botschaft der Investigativ-Doku, darf nichts kosten, aber letztlich nicht mehr als eine Fassade.

An mehreren Beispiel illustrieren die Reporter die Misere.

Flüchtlingsheim In einem Flüchtlingsheim in Hamburg schikanieren frustrierte Ordner wehrlose Männer und Frauen, provozieren mehr als dass sie schlichten oder gar helfen. "Kommt mir einer blöd, dann gibt's im Rahmen der Notwehr sofort auf die Fresse", sagt einer. Obwohl der Job schlecht bezahlt ist, baut die Firma angeblich laut RTL extremen Druck auf. Wer nicht spurt, fliegt raus, erklärt ein Wachmann dem als Neuling angetreten Reporter Torsten Misler. Die Leute hätten Angst vor dem Chef und dem Jobverlust. Jeden Monat werde aussortiert.

Schießseminar Erstaunt zeigt sich Wallraff, wie leicht Laien die Erlaubnis bekommen, als Geldboten Waffen zu tragen. In einem dreitägigen Schieß-Workshop dürfen die Bewerber üben. Eine echte Prüfung gibt es nicht. Selbst erkennbar überforderte Laien bekommen am Ende die Erlaubnis. "Ich hoffe inständig, du baust keinen Scheiß", sagt ein Prüfer seinem Schützling zum Abschied.

Geldtransporter Die weiteren Beobachtungen bei Geldtransporten passen ins Bild. Das Personal, das regelmäßig ein Vermögen in Geldscheinen durch die Gegend fährt, wird ohne Training in den Einsatz geschickt, und auch am Material wird radikal gespart. Die Fahrzeuge sind veraltet und defekt, ein Transporter hat angeblich mehr als 500.000 Kilometer auf dem Tacho, die Hupe ist kaputt, die Bremsen müssen dringend erneuert werden. Selbst für eine Schutzweste ist kein Geld da, obgleich die Zahl der Überfälle zugenommen hat.

Alle Unternehmen, die mit den Berichten konfrontiert wurden, stritten die Vorwürfe ab.

Das Format "Team Wallraff" geht nach drei Folgen mit großer Resonanz vorläufig zu Ende. Weitere Einsätze sind angeblich bereits in Planung.

(pst)
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