Talk bei Günther Jauch Mit der Deutschlandfahne ins Irrenhaus

Berlin · Vier gegen einen. Mit dieser Konstellation wollte Günther Jauch dem AfD-Mann von vornherein den Wind aus den Segeln nehmen. Doch der Politiker schaffte es trotzdem, sich und seine haarsträubenden Thesen zu verkaufen. Dazu brachte er eine Deutschlandfahne und Sätze wie "Die AfD spricht die Stimme des Volkes" mit.

Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker ist bekannt dafür, sich für Flüchtlinge stark zu machen. Der Angriff auf sie ist das jüngste und heftigste Beispiel des Hasses gegen Flüchtlinge und diejenigen, die sich für sie einsetzen. "Pöbeln, hetzen, drohen - wird der Hass gesellschaftsfähig?" war das Thema der Talkrunde am Sonntagabend. Günther Jauch hatte zu diesem Thema den Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), die NDR-Journalistin Anja Reschke, den Innenminister des Saarlandes, Klaus Bouillon von der CDU und Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der AfD im thüringischen Landtag, eingeladen.

Bereiten "rhetorische Brandstifter" wie Pegida oder die AfD mit ihren Reden den Weg für Taten wie den Angriff auf Reker? Mit dieser Frage leitete Jauch die Diskussion ein. Und schnell stellte sich das "1:4-Prinzip" ein, wie AfD-Mann Höcke beklagte: Maas, Reschke, Jauch und Bouillon waren sich bis zum Ende der Sendung in fast jeder Frage einig, Höcke hielt stets dagegen. Doch auch wenn er sich mehrfach über diese Konstellation beschwerte, war sie doch nicht eindeutig zum Nachteil des AfD-Politikers. Denn Höcke verstand es, seine teils aberwitzigen Thesen in brillante Rhetorik zu verpacken. Und legte damit eines der Kernprobleme bei der rhetorischen Hetze gegen Flüchtlinge und Ausländer offen: Wenn die fremdenfeinlichen Pöbler rhetorisch fit sind, können sie es schaffen, für ihre Thesen Zuspruch zu gewinnen.

Laut Bundesjustizminister Heiko Maas beginnt der Hass immer mit Worten: "Erst fällt die Hemmschwelle bei den Worten, dann folgen die Taten", sagte er. Und rief gleichzeitig dazu auf, es nicht so weit kommen zu lassen: "Es ist die Aufgabe der Gesellschaft, dagegen zu halten." Man dürfe den Hass nicht tolerieren.

Höcke hielt prompt dagegen: "Herr Maas lebt nicht in der Realität, sondern in einem ideologischen Wolken-Kuckucksheim". Er sei aus "tiefer Liebe zu seinem Land" in die Politik gegangen und brachte zum Beweis dafür eine Deutschlandfahne mit, die er demonstrativ über die Lehne seines Sessels legte. "Die AfD spricht die Stimme des Volkes", sagte Höcke und erntete für diesen Satz Applaus vom Publikum. Auch wenn es grammatikalisch wohl eher heißen müsste "Die AfD spricht mit der Stimme des Volkes".

Die Szene kann exemplarisch gesehen werden für das, was immer wieder auch passiert, wenn die Vertreter von AfD, Pegida und Co. die Menschen für ihre Zwecke zu gewinnen versuchen. Sie wählen große Gesten, pathetische Worte, arbeiten mit Symbolen. Dass das (leider) gut funktionieren kann, zeigte der Auftritt Höckes bei Jauch beispielhaft.Er war der schillerndste Gast in der Runde und diskutierte seine Mit-Talker nicht nur einmal an die Wand - auch wenn der Inhalt der meisten seiner Beiträge haarsträubend war. So schaffte er es auch, sich die meiste Redezeit zu sichern.

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Foto: Screenshot Twitter/Matthias Knödler

Auffällig in Höckes Argumentation war, dass er sich stets einen kleinen Schritt auf die Position seiner Mit-Talker zubewegte, nur um dann fünf große Schritte zurück zu machen. Trotzdem: Weil die anderen Gäste klare Kante gegen Höcke bezogen, wirkte es immer ein bisschen so, als sei er der offene, ausgewogene Redner, während die anderen sich in ihrer Meinung einzumauern schienen. So verurteilte Höcke das Attentat auf Reker klar als "unentschuldbar und entsetzlich" und wünschte ihr gute Besserung.

Ein Einspieler zeigte dann aber einen augenscheinlich ganz anderen Höcke als den, der bei Jauch im Sessel saß: Auf Mitschnitten von Demonstrationen in Erfurt skandierte Höcke "Wir sind das Volk" und sagte hanebüchene Sätze wie "Der Syrer, der zu uns kommt, hat noch sein Syrien. Aber wenn wir unser Deutschland verloren haben, haben wir keine Heimat mehr" oder "Erfurt ist schön deutsch und schön deutsch soll Erfurt bleiben". Bei dem Satz "Die Angsträume werden immer größer in unserem Land, gerade für blonde Frauen" hakte Jauch nach. Höcke distanzierte sich daraufhin halbherzig von seiner eigenen Aussage: "Ich muss mich für diesen Satz entschuldigen, natürlich waren auch Brünette oder Schwarze gemeint".

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Foto: dpa, mkx hpl

"Wollen Sie mich verarschen?"

Der saarländische Innenminister Bouillon sprach aus, was in diesem Moment wohl auch viele Zuschauer dachten: "Wollen Sie mich verarschen?", fragte er geradeheraus in Richtung Höcke. Doch auch diesen Satz wusste Höcke für seine Zwecke zu nutzen und warf Bouillon vor, keine Marnieren zu habe und nicht konstruktiv zu diskutieren. Zu Günther Jauch sagte Höcke, dieser verdrehe seine Aussagen: "Sie haben mich nur nicht verstanden, Herr Jauch, das ist das Problem".

Im Folgenden gelang es Jauch, Höcke die Hohheit über die Diskussion zeitweise zu entziehen und auch die anderen Gäste zu Wort kommen zu lassen. Maas forderte die Menschen im Zusammenhang mit dem Pegida-Galgen dazu auf, "zu gucken, hinter wem man herläuft". Es sei ein Problem, dass niemand bei der Demo den Mut gehabt habe, den Galgen seinem Träger "aus der Hand zu schlagen". Maas forderte alle auf, gemeinsam dafür zu sorgen, dass ausländerfeindliches Gedankengut in Deutschland keinen Nährboden findet. "Wenn man dahin geht, wo rechtsradikale Parolen verbreitet werden, dann trägt man das mit und macht es größer, als es ist", warnte Maas.

"Anti-germanische Volksverräterin"

Im zweiten Teil der Diskussion ging es um das Thema ausländerfeinliche Stimmungsmache im Netz. NDR-Journalistin Reschke hatte Hass-Mails mitgebracht, die sie erhalten hatte, nachdem sie in einem Kommentar bei den Tagesthemen dazu aufgerufen hatte, gegen Fremdenhass aufzustehen. Sie zitierte Sätze wie "Warte nur, bis du oder deine Tochter von einem dieser dreckigen Neger vergewaltigt werden" oder Beschimpfungen wie "anti-germanische Volksverräterin". Vieles von dem, was sie vorlas, sei ein Straftatbestand, sagte Maas.

Facebook ist derzeit eines der größten Forum für ausländerfeinliche Kommentare im Netz. Maas bekräftigte, dass er es nicht länger akzeptieren wolle, dass "ein bisschen nackte Haut" von Facebook sofort gelöscht werde, fremdenfeinliche Kommentare jedoch stehen blieben. Reschke hielt es für gerechtfertigt, dass einige Medien im Zusammenhang mit der Flüchtlingsdiskussion die Kommentarfunktion unter ihren Artikeln im Netz ausschalten. "Das ist oft ein pragmatischer Weg. Die Redaktionen kommen beim Sichten der Kommentare an ihre Grenzen", sagte Reschke.

Erst zum Ende der Diskussion kam Bouillon zu Wort. Der saarländische Innenminister hatte vier Wochen lang in einer Flüchtlingsunterkunft gearbeitet und danach in einer Rede vor dem Landtag offen über die Probleme und Missstände gesprochen, die dort herrschen. "Zur Wahrheit gehört die ganze Wahrheit", sagte Bouillon. Maas pflichtete ihm bei: "Politische Korrektheit darf keine Rolle spielen, wenn es darum geht, die Zustände zu beschreiben. Die Dinge müssen benannt werden", sagte er. Und erneut ergriff Höcke seine Chance, das Ruder in der Diskussion zu übernehmen: "Sie sind ein Vorbild und machen eine wunderbare Arbeit", schmeichelte er sich bei Bouillon ein. Doch dann bezog er klar Stellung: "Nein, wir schaffen das nicht. Wenn wir den Zustrom nicht begrenzen, schaffen wir das nicht" sagte er mit Blick auf die Flüchtlingskrise. Maas nahm den Faden auf und verwies auf die Linie der Bundesregierung, dass der Zustrom nur begrenzt werden könne, wenn man die Fluchtursachen bekämpfen würde.

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(lsa)
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