Günther-Jauch-Talk zur Ärzteversorgung Sind die Patienten etwa selbst schuld?

Düsseldorf · Drei Monate warten auf einen Arzttermin? Normalfall im deutschen Gesundheitssystem, insbesondere gilt das für Termine bei Fachärzten. Warum man bei der Lösung dieses Problem nicht weiterkommt, zeigte sich am Sonntagabend bei Günther Jauch.

 In der Sendung von Günther Jauch ging es um die Versorgung mit Fachärzten.

In der Sendung von Günther Jauch ging es um die Versorgung mit Fachärzten.

Foto: dpa, dpa

Wer nicht gerade in Düsseldorf, Mönchengladbach oder Köln wohnt, wird es vermutlich schon kennen: Das Warten. Durchaus bis zu drei Monate müssen sich Patienten vor allem außerhalb der großen Städte gedulden, bis sie einen Termin beim Facharzt bekommen. "Von wegen, der Nächste bitte! Das lange Warten auf den Arzttermin" hatte Günther Jauch seine Sendung vom gestrigen Sonntag deshalb betitelt.

Zwei Erkenntnisse konnte gewinnen, wer eine Stunde lang der streckenweise zähen Diskussion folgte, der auch Jauch kaum Struktur zu geben vermochte.

Erste Erkenntnis: Das System ist schon lange krank, aber mit der Therapie ist man ebenso lange schon sehr zurückhaltend.

Gesundheitsforscher Stefan Etgeton von der Bertelsmann-Stiftung stellte eines seiner Forschungsergebnisse vor: Die Ärzte sind in Deutschland sehr ungleich verteilt. In den Zentren der großen Städte ballen sich die Praxen, "aber schon der Speckgürtel um die Metropolen ist erstaunlich schlecht versorgt". Mehr als 25 Prozent der Deutschen müssen länger als vier Wochen auf einen Termin warten, im dünn besiedelten Osten Deutschlands sind es sogar 39 Prozent.

Das ist ein alter Hut. Seit Jahren versucht die Politik, verstärkt Landärzte zu gewinnen, denn: Von denen, die jetzt noch in den kleinen Städten und Gemeinden praktizieren, ist mehr als die Hälfte über 60 Jahre alt, wird also in den kommenden fünf bis zehn Jahren in Rente gehen. Nachfolger sind kaum in Sicht, denn auch für Ärzte sind die dünn besiedelten Gebiete unattraktiv: Kaum Jobs für den Partner, schlechte Kita- und Schulversorgung für die Kinder, mangelhafte Breitbandanbindung, vor allem aber weite Wege zu den Patienten und lange Arbeitszeiten.

Ein Callcenter soll helfen

Mit einem Versorgungsstärkungsgesetz will die Bundesregierung jetzt reagieren: Wer auf normalem Wege mit seiner Überweisung vom Hausarzt keinen Facharzttermin bekommt, soll sich an ein Callcenter wenden können, das dann einen Termin binnen vier Wochen bei einem niedergelassenen Facharzt organisiert - oder, wenn das nicht klappt, den Patienten in eine Klinik schickt. Die Rechnung dafür bekommt dann die Kassenärztevereinigung, denn sie wäre eigentlich zuständig dafür, die Versorgung der Patienten zu sichern.

Dass das ein guter Plan ist, davon ist Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) natürlicherweise überzeugt. "Wir handeln jetzt", sagte er in der Sendung. Warum nicht schon früher, fragte keiner. Auch Jauch nicht.

Unsinnig findet hingegen Andreas Gassen das neue Gesetz. Der Düsseldorfer Orthopäde ist Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Das neue Gesetz löse das Grundproblem nicht, findet Gassen: Die Frage danach, wieviel Medizin das Gesundheitssystem leisten kann. "Ein unbegrenztes Leistungsversprechen ist bei einer alternden Bevölkerung und einer schrumpfenden Zahl von Ärzten nicht einzuhalten", sagte er.

Sind die Patienten schuld?

Ihm sprang Paul Brandenburg zur Seite, der Erkenntnisse aus seiner alltäglichen Erfahrung als Notarzt. Viele seiner Notarztfahrten seien überflüssig, weil es keinen akuten Anlass gebe. "Die Krankenversicherung ist eine Flatrate für unbegrenzt Medizin", sagte Brandenburg.

Sind die Patienten also die Übeltäter, die das System lahmlegen, weil sie übermäßig oft und wegen Nichtigkeiten zum Arzt gehen?

Die Frage leitet zur zweiten Erkenntnis des Abends über: Die Patienten spielen bei den Entscheidungen über das System, in das sie jährlich "37 bis 38 Milliarden Euro" (Gröhe) pumpen, kaum eine Rolle.

Es saßen auf dem Podium vor allem Vertreter des Gesundheitssystems: der Gesundheitsminister, der Ärzte-Präsident, ein Notarzt. Immerhin kam mit etgeton ein Statistiker zu Wort.

Alles Einzelfälle?

Anscheinend als Vertreterin der Patienten hatte man Susanne Mauersberg vom Bundesverband der Verbraucherzentralen eingeladen. Die jedoch steuerte kaum etwas Substanzielles zur Diskussion bei, sie kassierte nicht einmal die einmütige Feststellung der restlichen Gäste, dass die drei Fallbeispiele, die Jauch zu Beginn der Sendung vorstellte, allesamt "Einzelfälle" seien: Der Herzinfarktpatient, der keinen Arzt für seine Nachversorgung findet, der Familienvater, der starb, bevor er einen Termin beim Kardiologen bekam und die junge Frau, die sich mit Schwindeln einen Termin bei Neurologen verschaffte, der ihr das Leben rettete. Sie wäre an einem Hirntumor gestorben, hätte sie auf den regulären Termin gewartet. Alles Einzelfälle?

"Wir bekommen ungewöhnlich viele E-Mails", sagte Jauch gegen Ende der Sendung. Das Thema bewege viele Menschen, die die langen Wartezeiten eben aus eigener Erfahrung kennen. Kämen sie zu Wort, würden sie vermutlich ein anderes Bild der Lage zeichnen als die Vertreter des Systems, die auf dem Podium saßen. Denn das System ruht in sich und seiner Selbstverwaltung, an die die Politik die wichtigen Fragen der Versorgung und Verteilung abgegeben hat - oder, wie es Notarzt Brandenburg in einem kritischen Moment seiner eigenen Zunft gegenüber formulierte: "Die Frösche verwalten ihren eigenen Sumpf."

Ob das gut ist, darf man bezweifeln. Ob mehr Regulierung, wie sie Gröhe mit seinem Gesetz anstrebt, die Lösung ist, ebenso. "Ich glaube, das Problem ist klar geworden", sagte Jauch am Ende des Talks. Das stimmt. Viel mehr war dann aber auch nicht.

(hav)
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