TV-Nachlese zu "Günther Jauch" Kein Blatter ist auch keine Lösung

Berlin · In Günther Jauchs Talkrunde zum System Blatter leistete der Fifa-Sprecher bemerkenswert schlicht und zahm Widerstand. Leider sprachen die Diskutanten kaum über Verantwortliche außerhalb der Fifa.

Zu Gast bei Günther Jauch (von links): Florian Bauer, Guido Tognoni, Claudia Roth, Alexander Koch und Marcel Reif.

Zu Gast bei Günther Jauch (von links): Florian Bauer, Guido Tognoni, Claudia Roth, Alexander Koch und Marcel Reif.

Foto: ARD

Walter De Gregorio ist ein Mann, dessen Klugheit höchstens von der seines Chefs Sepp Blatter übertroffen wird. Der Medien-Direktor der Fifa stand nicht nur für Montagabend bei "Hart, aber fair" auf der Gästeliste, sondern sollte auch am Sonntagabend bei "Günther Jauch" seinen Arbeitgeber verteidigen. Dann aber fiel ihm ein, dass er sich unbedingt auf eine Strategiesitzung der Fifa am Montagmorgen vorbereiten müsse. So schickte er seinen vermutlich hocherfreuten Stellvertreter Alexander Koch nach Berlin, um im Duell Fünf gegen eins zu bestehen. Oder es zumindest zu versuchen.

Wenn immer der Fußball bedroht ist, wird er von der wichtigsten Nebensache der Welt zur einzigen Sache überhaupt. Also nahm sich auch Günther Jauch der Krise an, die die Verhaftung von sieben Fifa-Funktionären am Mittwoch ausgelöst hatte. Er fragte: "Der Fifa-Sumpf — wie schmutzig ist unser Fußball?" Wenn es nach ihm und vier seiner fünf Gäste ging, dann lautete die Antwort: sehr, sehr schmutzig. Fußballkommentator Marcel Reif, Empörungsgarantin Claudia Roth, Ex-Fifa-Mediendirektor Guido Tognoni und ARD-Fifa-Experte Florian Bauer teilten alle auf ihre Art mit — von trompetend bis supersachlich — dass Blatter ausgedient habe und es dringend Reformen bedürfe.

Der Fifa-Verteidigungs-Beauftragte Koch setzte auf Jugendlichkeits-Turnschuhe und sich von Anfang an eine so zahme Miene auf, als sei ihm ausschließlich daran gelegen, bloß nicht durch blatter'eske Peinlichkeiten aufzufallen und als fairer Diskussionsteilnehmer auftreten. Er fiel nicht ins Wort, er wurde nicht laut. Seine Defensivstrategie war trotzdem vorhersehbar und schlicht: Einzelne Fifa-Funktionäre sind böse, aber Sepp Blatter und seine Fifa-Administration sind gut. Was kann denn der Blatter Sepp dafür, wenn sich der Verbandspräsident im fernen Taka-Tuka-Land bestechen lässt? Er hat ja die Reformen auch gewollt, aber die europäischen Mitglieder waren dagegen.

Nur einmal wagte er im Duell mit Claudia Roth — wie immer in ihrer Paraderolle als Claudia Roth — einen Angriff. Sein originelles Argument ging so: Es hat den Arbeitern geholfen, die WM an Katar zu vergeben, weil so die Öffentlichkeit hergestellt wurde, um Druck auszuüben. Dass viele Arbeiter durch die WM überhaupt erst ins Land gekommen sind, um todesmutig Straßen und Häuser zu bauen, ließ er in seiner Ausführung lieber weg. Roth setzte sich daraufhin auf ihren Argumentationstrecker und fuhr den armen Kerl einfach über den Haufen: Vergeben wir die WM dann nach Nordkorea, damit die Situation dort besser wird?

Die Runde diskutierte ansonsten beinahe zivilisiert angesichts der Tatsache, dass es um König Fußball, unseren König Fußball ging. Aber sie verpasste es, Verantwortliche außerhalb der Fifa zu benennen. Primär ging es um die Frage: Hätte Blatter die Korruption verhindern können? Dabei wäre Gelegenheit gewesen, den Kreis der Schuldigen zu erweitern. Zum Beispiel, als Marcel Reif, deutlich überzeugender vor der Kamera als hinterm Mikrofon, sagte: "Wenn so viel Geld auf der Straße rumliegt, kommt jemand und hebt es auf." Was ungefähr bedeutet: Es steckt so viel Geld im System Fußball, dass Korruption nie zu verhindern sein wird.

Das wäre der Moment gewesen, um nicht nur Blatter und die Fifa anzuprangern, sondern um nüchtern festzustellen: Weil im Fußball so viel Geld zu verdienen ist, profitieren so viele Einzelne und Unternehmen davon, dass auch sie das System auf ewig stützen werden. Die Fifa hat ja diese Macht nicht per Naturgesetz, sondern weil andere ihr sie geben. Wenn niemand sich für die WM interessiert, kann die Fifa keine Soldaten schicken und das Interesse erzwingen. So überlegen zwar Sponsoren einigermaßen vernehmbar, dass sie das auch alles gerade nicht so gut finden. Das aber soll bloß verhindern, dass der schlechte Ruf der Fifa auf sie abfällt. Und könnte außerdem bei den nächsten Sponsoring-Verhandlungen den Preis drücken.

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Foto: dpa, pse hak

Und nicht völlig zu Unrecht wies Koch auf die deutschen Unternehmen hin, die mit den Bauarbeiten in Katar gut verdienen. Bloß griff es niemand auf. Auch Wolfgang Niersbach kam an diesem Abend beinahe ungeschoren davon. Dabei hat er sich bei seinem Spagat zwischen Blatter-Kritiker und Neuling im Exekutiv-Komitee längst irreparable Schäden zugezogen. Auch er weiß: Lieber kuschen und zum Kreis der Mächtigen gehören, als die Wahl zu boykottieren und am Kindertisch Platz zu nehmen. Gerne hätte man sich auch den ARD-Chef in der Runde gewünscht, wie er erklärt hätte, warum sein Sender zwar die Tour de France boykottieren kann, aber niemals die WM. Ach ja, die Sendung lief ja in der ARD.

Weil alle mitmachen, wusste in der Jauch-Runde auch keiner so Recht, wie die Reformen aussehen sollten, die die Fifa retten könnten. Es gibt im Grunde nur zwei Möglichkeiten, von denen die erste noch die wahrscheinlichste ist: Alle entscheidungsbefähigten Fifa-Funktionäre auf Dauer mit Sepp Blatter in eine WG stecken, damit keiner sagen kann, er habe von nichts gewusst. Oder aber, Geld aus dem System Fußball abziehen. Viel Geld. Wo es nicht viel zu verteilen gibt, gibt es auch nicht viel zu bestechen.

Sind die Vorgänge in der Lage, den Fußball kaputtzumachen?, fragte Jauch am Ende Marcel Reif. "Ich glaube nicht, aber die Fifa ist auf dem Weg, sich kaputtzumachen", antwortete der. Das gebe ein wenig Hoffnung.

Schön wäre es. Aber darauf hoffen, dass das, was nach der Fifa, nach Blatter kommt, besser ist, sollten wir nicht. Auch nicht ein wenig.

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