TV-Kritik Günther Jauch — hilfloser geht's nicht

Düsseldorf · Chaos-Talk bei Günther Jauch am Sonntagabend. Mehrfach geraten Studiogäste in der Debatte über Europas Grenzen aneinander. Jauch versucht zu schlichten, wird aber einfach ignoriert. So viel nervige Eitelkeit war selten. Der Talk im Schnell-Check.

Das ist TV-Moderator Günther Jauch
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Foto: dpa/Henning Kaiser

Darum ging's:

Das Thema der Sendung: "Flüchtlingszustrom ohne Ende — wird Europa jetzt zur Festung?" In den Flüchtlingstrecks wird das Elend immer größer, gleichzeitig überbieten sich die Staaten beim Gipfel in Brüssel mit Schuldzuweisungen. Die EU wirkt plan -und hilflos. Immer wieder geht es in der Diskussion um die Frage, wer für das ganze Elend verantwortlich ist.

Darum ging's wirklich:

Die Show war vermutlich ein Fest für Sprachwissenschaftler. Dazwischenreden, in der Diskussion die Oberhand gewinnen, eigene Thesen einbringen, ohne auf andere einzugehen, das war bei Jauch Selbstzweck. Der Moderator ist keine Hilfe. Wieder mal erweckt Jauch den Eindruck, er hake Stichworte ab.

Die Runde:

Vier Männer, drei davon offenbar vollgepumpt mit Adrenalin, eine Frau. Vor allem der Journalist Hans-Ulrich Jörges, CSU-Politiker Peter Gauweiler und der Schweizer Publizist Frank A. Meyer zetern, etwas ruhiger der CDU-Europapolitiker Elmar Brok. Einzige Frau in der Runde ist Melissa Fleming, Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR. In ihrer Gelassenheit wirkt sie manchmal wie ein Wesen von einem anderen Stern.

Auffälligster Gast:

Unter Tränen und mit zittriger Stimme berichtete Ulrich Jörges gleich zu Beginn, was er bei seiner Reise in die Flüchtlingscamps an der slowenischen Grenze gesehen hat. Familien in einem von Soldaten und Panzern bewachten Massenlager interniert, ohne Essen, ohne Hilfe. Keine einzige Hilfsorganisation und auch die EU sei nicht zu sehen. "Das ist die Vorhölle Europas", sagt Jörges. "Niemand ist dort. Niemand hilft."

Frontverlauf:

Zwei Krawallpärchen bilden sich.

Das erste besteht aus Meyer und Jörges. Erstaunlich aggressiv geht der Schweizer Journalist Meyer gleich zu Beginn den Slowenien-Reporter Jörges an. "Jetzt rede ich, Sie haben Pause." Jörges habe die Diskussion damit emotional aufgeladen. Kritik käme damit in den Verdacht des Unmoralischen. Später wirft er ihm wegen seiner Kritik an der Wertegemeinschaft Europas Arroganz vor. Jörges hält dagegen. In der Flüchtlingskrise habe sich gezeigt, dass es den Staaten in Europa immer nur ums Geld gehe.

Das zweite besteht aus Gauweiler und Brok, beide Unionspolitiker. Vor allem Gauweiler zeigt, warum er den Ruf eines Querulanten hat. Wenn er reden will, dann redet er auch. Egal, ob er gefragt ist oder nicht. Der CSU-Mann wirft Kanzlerin Merkel die Ignoranz geltenden Rechts und Europa Untätigkeit vor. "Wo ist Herr Juncker? Wo ist die Initiative der milliardenschweren EU?", fragt Gauweiler. Das lässt der Europa-Parlamentarier Brok nicht auf sich sitzen. Schuld an der Handlungsunfähigkeit Europas seien einzig und allein die Nationalstaaten. 20 Jahre lang hätten die mit Erfolg ein gemeinsames Asylrecht verhindert.

Zitat des Abends:

"Ich habe meine Menschlichkeit verloren."

Diesen Satz hat Jörges von seiner Reise mitgebracht. Er stammt von einem slowenischen Polizisten, der schon mehrere Tage lang Flüchtlingszüge begleitete.

Der Moderator:

Jauch demonstriert in dieser seltsam konturlosen Sendung, dass er nicht mehr will. Seine egozentrischen Talkgäste lässt er lange ungestraft durcheinander reden, zeitweise ist nicht ein einziges Wort zu verstehen. "Einer nach dem anderen", versucht sich Jauch. Und bleibt ungehört. Traurig.

Spontaner Applaus im Publikum:

Mehrfach spendet das Publikum Applaus, alle Lager werden bedacht. Bemerkenswert der Zuspruch für die Medienschelte des Schweizer Journalisten: In Berlin hat sich nach seiner Auffassung eine "publizistisch-politische Glaubensgemeinschaft" gebildet, die sich darauf verständigt hat, die Flüchtlinge ins Land zu lassen. Die Deutschen habe aber keiner gefragt. Das erinnert an "Pegida", obwohl es offenkundig gar nicht so gemeint ist. Auch das geht unter.

Erkenntnis des Abends:

Besser auf die ruhigen Gäste hören. Die UNHCR-Sprecherin kommt im Jauch-Talk zu selten zu Wort. Dabei kennt sie die Ursachen und Bedürfnisse in der Flüchtlingskrise besser als manch anderer. Und macht deutlich: Mit einfachen Schuldzuweisungen, wie sie von den Herren rundum bemüht werden, ist niemandem geholfen. Auf Jauchs Frage, ob Merkel denn nicht mit ihrer Politik die Flüchtlinge ins Land geholt habe, geht sie gar nicht ein. Die Welt habe die Nachbarländer Syriens — Türkei, Libanon, Jordanien — mit vier Millionen Flüchtlingen im Stich gelassen.

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(pst)
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