TV-Kritik Günther Jauch Ein Meer kann man nicht einfach schließen

Düsseldorf · Günther Jauch konnte sich in seiner ARD-Talkshow wieder einmal nicht durchsetzen. An diesem Abend ein Glücksfall für das Fernsehen. Denn es entwickelte sich eine Debatte, die länger in Erinnerung bleiben wird als üblich. Dafür sorgten zwei Journalisten.

ARD: Harald Höppner setzt sich gegen Günther Jauch durch
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Studiogast Harald Höppner setzt sich gegen Günther Jauch durch

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Mehrfach versuchte Jauch in der Sendung mit dem Titel "Das Flüchtlingsdrama! Was ist unsere Pflicht?" wieder die Kontrolle über die Diskussion zurückzuerlangen. Mehrfach scheiterte er. Seine Gäste argumentierten mit einer solchen Leidenschaft, dass sie den (mal wieder) überforderten Moderator nicht zu Wort kommen ließen.

An diesem Sonntagabend war das ein Glücksfall. Endlich einmal konnten auch einmal Argumente ausgetauscht werden, gab es ein Hin und her, Rede und Widerrede. Und das mit rhetorisch versierten Gästen, die politisch entgegengesetzter nicht hätten sein können.

Zwei Journalisten hinterließen den größten Eindruck und machten selbst den ehemaligen Innenminister Hans-Peter Friedrich zur Randfigur. Nur eine Nebenrolle spielten entsprechend auch die aus Syrien geflüchtete Maya Alkhechen und Christian Haase, Sprecher einer Bürgerinitiative aus Bautzen, die die Einrichtung und Erweiterung einer Flüchtlingsunterkunft in der Stadt kritisch begleitet.

Italienische Schiffe suchen nach Überlebenden im Mittelmeer
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Foto: dpa, dc lb

Idealist trifft Zyniker

Auf der einen Seite Heribert Prantl, preisgekrönter Journalist der "Süddeutschen Zeitung", der sich seit Jahren leidenschaftlich für Asylrechte und Flüchtlinge engagiert. Am Wochenende hatte er in einem Text der Europäischen Union vorgeworfen, sich durch unterlassene Hilfeleistung im Flüchtlingsdrama schuldig gemacht zu haben.

Auf der anderen Seite der konservative Schweizer Roger Köppel, Verleger und Chefredakteur der "Weltwoche", der konsequent und auch schon seit Jahren für eine rigoros strenge Asyl- und Flüchtlingspolitik argumentiert. Denjenigen, die den Flüchtlingen in Not legale Zugangsmöglichkeiten öffnen wollen, wirft er Verantwortungslosigkeit vor.

Zum einen, weil sie damit Anreize für noch größere Flüchtlingsströme setzten. Zum anderen, weil sie die europäischen Gesellschaften mit Hunderttausenden Menschen aus fremden Kulturen einer Belastung aussetzten, der sie nicht Stand halten könnten.

"Dann kommen alle!", so Köppel in alarmistischer Zuspitzung. Er produzierte nahezu am Fließband Sätze, die einen frieren ließen. Menschen aus kulturell völlig fremden Gebieten könne man in dieser Menge niemals integrieren. "Die wandern komplett in den Sozialstaat ein." Und weiter: "Vom Einzelschicksal können wir nicht ausgehen."

Beide erhielten mehrfach Applaus

Prantl und Köppel, das waren die beiden Pole und sie beharkten sich leidenschaftlich und ließen sich dabei auch von Jauch nicht aufhalten. Bemerkenswert: Beide erhielten aus dem Publikum Applaus. Insoweit spiegelten sie sicherlich auch die moralische Zerrissenheit, die die Debatte um den richtigen Umgang mit den Flüchtlingen seit Jahren begleitet.

Soll man die zu großen Teilen unbestritten leidgeprüften Menschen mit offenen Armen empfangen? Oder spielt man damit nur den skrupellosen Schleuserbanden in die Hände und treibt damit noch mehr in den "Todeskanal Mittelmeer" (Köppel)?

Der SZ-Journalist nahm dabei die Rolle des Idealisten ein. "Europa tötet durch Unterlassen", rief er. "Überleben ist ein Menschenrecht." Die Finanzierung eines Rettungsprogramms vor Europas Küsten ist aus seiner Sicht eine Kleinigkeit. Prantl verglich sie mit den Kosten für die Ausrichtung eines Gipfels.

Köppel hingegen argumentierte durch und durch ökonomisch und wirkte dadurch zunehmend zynisch. Seine Argumente aber waren im Ansatz rational und verdienten es, diskutiert zu werden. Wer ihn als rechten Hetzer abtut, macht es sich zu einfach. Denn "Pegida" hat gezeigt, dass alles Mitgefühl und Hilfsbereitschaft in Deutschland schneller an Grenzen stößt, als es einem lieb sein kann.

Kann man ein Meer einfach schließen?

Köppels Forderung, den "Todeskanal" für Flüchtlinge durch rigorose Abschiebung zu schließen, dürfte zwar eine genauso große Illusion sein wie die Hoffnung Prantls auf eine sichere Fahrverbindung für Flüchtlinge. Schließlich setzen die Menschen bereits jetzt in absoluter Ausweglosigkeit ihr Leben aufs Spiel, um ihrem Elend zu entkommen und notfalls auch illegal in Europa unterzukommen. Und dass sich ein Meer wohl kaum einfach abriegeln lässt, müsste selbst Köppel einsehen.

Doch der Schweizer denkt eben auch an die Spannungen innerhalb der Länder Europas und die Belastungen, denen sie angesichts von neuen Flüchtlingsströmen ausgesetzt sein werden. Eine solche Zunahme könnte rechten Stimmenfängern und Isolationisten in Frankreich, Großbritannien, Deutschland und anderswo zu weiteren Höhenflügen verhelfen. Auch die Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft muss bei einer verantwortungsvollen Politik bedacht werden.

Verachtung für Friedrich

Europa erlebt nun den Fluch seiner jahrzehntelangen Untätigkeit. Die Forderungen, Auffanglager im Norden Afrikas zu errichten, zum Himmel schreiende wirtschaftliche Ungerechtigkeiten gegenüber Afrika abzubauen oder Einwanderern mit einer modernen Einwanderungspolitik Perspektiven zu eröffnen, sind uralt. Nichts aber ist unterm Strich passiert.

Zu spüren bekam das insbesondere Ex-Minister Hans-Peter Friedrich. Seine Forderung nach einem EU-Gipfel zur Flüchtlingspolitik löste bei Prantl Verachtung und selbst bei Jauch Verdruss aus.

Auf die Verantwortlichkeit Europas mag nach diesen Erfahrungen niemand mehr setzen. Umso dringender muss die Politik nun Handlungsfähigkeit beweisen. Derzeit kommt nur ein Ansatz ernsthaft in Frage: Menschenleben retten. Wo auch immer. Wie auch immer.

(pst)
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