Talkrunde bei Günther Jauch Bei der Sterbehilfe geht es um Geld und Ästhetik

Berlin · Das Thema Sterbehilfe hat Günther Jauch in seiner Talk-Runde am Sonntagabend an dem Schicksal des langjährigen MDR-Intendanten Udo Reiter festgemacht. Jauch verlas erstmals eine Erklärung Reiters, der sich vor elf Tagen das Leben nahm. Der Abschiedsbrief erklärte den Einzelfall zum Teil, Weggefährten konnten ihn jedoch nicht nachvollziehen.

Günther Jauch: Bei Sterbehilfe geht es um Geld und Ästhetik
Foto: NDR

Udo Reiter hatte, wie es Günther Jauch darstellte, bereits seit 1966 seinen Freitod geplant und immer wieder mit sich selbst und anderen erörtert. Seit einem Autounfall war Reiter querschnittsgelähmt. Am 9. Oktober 2014 setzte er seinem Leben ein Ende. Die Erklärung, die Günther Jauch in seiner Sendung verlas, enthielt folgende Begründung: "Ich möchte nicht als Pflegefall enden, der von anderen gewaschen und abgeputzt wird". Reiter wollte anderen nicht zur Last fallen. Als langjähriger Begleiter ergänzte der Fernsehmoderator Thomas Gottschalk, dass Reiters größte Angst gewesen sei, aus einer Schnabeltasse trinken zu müssen. Ihm sei es immer darum gegangen, dass eine gewisse Ästhetik im Leben mit der Krankheit vorhanden war. Mit der Erklärung wurde deutlich, dass es Reiters individuelle Vorstellung vom Ende seines Lebens war, die er mit dem Freitod umsetzte.

Neben eigenem Willen spielt auch Geld eine Rolle

Neben Gottschalk hatte Günther Jauch Nikolaus Schneider (scheidender Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland), Bettina Schöne-Seifert (Professorin für Medizinethik) und Franz Müntefering (SPD, Bundesminister a.D.) geladen. Müntefering war es, der Udo Reiters' Erklärung deutlich kritisierte, wie er Reiter bereits in einer vorangegangenen Talk-Runde im Januar kritisiert hatte. Die Argumente, die Reiter anführe, seien Argumente einer "bildungsbürgerlichen Diskussion", bei vielen anderen schwerkranken Menschen spiele eben nicht nur der eigene Wille, sondern auch finanzieller Druck eine Rolle. Gerade alte Menschen wollten in vielen Fällen der Familie nicht finanziell zur Last fallen. Zudem ließe Reiters Begründung außer Acht, dass vor allem auch die Pflege in Hospizen und die Palliativmedizin Teil der Sterbehilfe seien.

Nikolaus Schneider nickte, während Franz Müntefering sprach. Schneider wird vom Amt der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche zurücktreten, um sich um seine krebskranke Frau zu kümmern. Günther Jauch konfrontierte Schneider mit Interviewaussagen seiner Frau, die angedeutet hatte, im Ernstfall in die Schweiz zu reisen. Dort ist Sterbehilfe mit ärztlicher Begleitung im Gegensatz zu Deutschland anders geregelt. Schneider würde seine Frau zwar als Ehemann begleiten, als Theologe könne er aber nicht an der Sterbehilfe selbst mitwirken.

Gottschalk über Reiter: "Das Tragische war, dass er das wusste ich aber nicht."

Das konsequent wirkende Verhalten von kranken Menschen bringt deren Mitmenschen oft in einen Interessenkonflikt, den Thomas Gottschalk auf den Punkt brachte und am Beispiel Udo Reiter festmachte: "Das Tragische war, dass er das wusste ich aber nicht." So berichtete Gottschalk unter anderem davon, dass Reiter das letzte gemeinsame Glas Rotwein doch gut geschmeckt habe.

Was in Deutschland rechtlich möglich ist

Die Medizinprofessorin Bettina Schöne-Seifert griff die Argumente von Nikolaus Schneider auf und versuchte die Diskussion darauf zu lenken, wie der Staat sowohl unheilbaren Patienten wie auch den Ärzten zumindest rechtliche Sicherheit geben könnte. Die Diskussion sollte sich laut Schöne-Seifert nur um die passive Sterbehilfe drehen, denn aktive Sterbehilfe sei zurecht verboten. Passive Sterbehilfe, etwa das Abstellen von lebenserhaltenden Maschinen, ist in Deutschland bereits jetzt erlaubt und stelle nach Angaben der Professorin für Medizinethik eine häufige Todesursache in Krankenhäusern dar. Die Selbsthilfe zur Tötung ist in bestimmten Fällen erlaubt, führt aber in zehn Bundesländern zum Verlust der Zulassung für den jeweils behandelnden Arzt.

Zwar forderte Bettina Schöne-Seifert immer wieder eine eindeutige rechtliche Regelung, doch wurde bei ihren eigenen Aussagen deutlich, dass dies kaum möglich scheint. So verwies sie darauf, dass demente Menschen noch vor ihrer Erkrankung entscheiden sollten, wie lange sie leben wollten. Franz Müntefering widersprach vehement, als er sagte: "Die Würde des Menschen ist unantastbar, nicht die Würde des gesunden Menschen ist unantastbar." Gerade viele demente Menschen gingen eben nicht durch ein Märtyrium, sondern würden in Würde sterben und hätten bis zum Ende noch einen eigenen Willen.

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Das Beispiel Demenz dient eindrucksvoll als Zusammenfassung der Diskussionsrunde. Sowohl bei Demenzkranken wie auch bei schwerkranken Menschen, die Sterbehilfe für sich beanspruchen, sind es Familienmitglieder, Freunde und auch Ärzte, die teils untereinander einen Interessenkonflikt ausfechten. Für den jeweiligen Patienten steht der Wille hingegen meist schon länger fest, so wie er bei Udo Reiter wohl auch schon lange feststand.

Die Sendung "Günther Jauch" mit dem Titel "Udo Reiters letzter Wille - dürfen wir selbstbestimmt sterben?" finden Sie bis zum 25. Oktober 2014 in der ARD-Mediathek.

(ac)
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