"Hart aber Fair" "Aufpassen, dass Europa nicht gesprengt wird!"

Berlin · Einen Tag nach der Wahl in Griechenland wird bei Plasberg der Wahlsieg des Linksbündnisses diskutiert. In einem sind sich alle einig: Tsipras wird die Wahlversprechen nicht einhalten können. Eine Deutsche, die seit 14 Jahren im Land lebt, berichtet, wie es den Menschen dort ergeht.

 Sahra Wagenknecht war am Montagabend zu Gast bei "Hart aber Fair".

Sahra Wagenknecht war am Montagabend zu Gast bei "Hart aber Fair".

Foto: Screenshot/Hart aber Fair

Die Wahlversprechen des Wahlsiegers Tsipras, Renten zu erhöhen und Steuern zu senken, haben vor allem in Deutschland bei Politikern und Bürgern Aufsehen erregt. "Wer soll die neuen Sozialleistungen bezahlen?", fragte deswegen Frank Plasberg bei der Sendung "Hart-aber-Fair". Etwa wieder deutsche Steuerzahler? Aber auch Frankreich, Spanien, Portugal und Italien gucken gespannt auf das größte europäische Sorgenkind.

Die geladenen Gäste, darunter Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) und Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht sind sich im Prinzip einig. In Griechenland muss deutlich mehr passieren, als bloße Wahlversprechen, die Parteichef Alexis Tsipras wohl gar nicht einhalten kann.

Doch gehen die Meinungen zwischen den Experten deutlich auseinander: Griechenland brauche nur noch etwas Zeit, immerhin würde jetzt, nachdem insgesamt 240 Milliarden Euro Hilfsgelder geflossen sind, das Bruttosozialprodukt um etwa 0,6 Prozent steigen, heißt es in der Sendung. "Deswegen muss Griechenland weiter sparen", sagt Söder. "Wenn wir jetzt die Entwicklung abbrechen, wird ein negativer Jojo-Effekt folgen."

Sahra Wagenknecht sieht das anders. Das Argument, es gehe aufwärts in Griechenland, sei nicht präzise. "Das Wirtschaftswachstum von 0,6 Prozent ist ausschließlich dem Tourismus zuzuschreiben. Aber die Industrie fällt derzeit immer weiter." Sie befürwortet, wie schon so oft von der Linkspartei auch für Deutschland gefordert, die Reichen steuerlich stärker zu belasten. "Wir brauchen eine Reichensteuer", sagt sie. Bevor die Milliardäre sich aber aus dem Land absetzen könnten (wie einst Gérard Depardieu, der sich den russischen Pass geben ließ, um der Reichensteuer in Frankreich zu entfliehen), fordert sie eine solche Regelung für die ganze EU.

Die Milliardäre hätten in den gesamten Jahren seit der Wirtschaftskrise nichts gezahlt. Ausschließlich Banken und Hedgefonds seien mit Steuergeldern aus Europa freigekauft worden. Dem Staat Griechenland und somit den Bürgern habe man aber so nicht geholfen. Sie blieben schließlich auf den Schulden sitzen — nicht die Finanzinstitute.

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Foto: dpa, mkx fpt

Wie es den Griechen wirklich geht

Wie schlimm es den Bürgern tatsächlich in Griechenland geht, schildert Tanja Nettersheim, die seit 14 Jahren in Griechenland lebt. Das Gesundsheitssystem sei kaum existent. "Wenn jemand ins Krankenhaus eingeliefert wird, kann es sein, dass er mal drei Tage im Bett auf dem Flur liegt, ehe er behandelt wird." Zudem beobachte sie seit mehreren Jahren, wie Menschen Nahrung in Mülleimern suchten. Kindergärten gar Tüten aufhängen lassen, mit Brotresten darin, damit Hungrige nicht im Müll suchen müssen. Sie nehme es kaum noch wahr, da diese traurigen Bilder Alltag geworden sind. Die Lebensmittelpreise seien deutlich teurer als in Deutschland und für die verarmte Mittelschicht kaum zu erwerben. Sie denke sich immer: "Wow - in Deutschland geht es den Leuten richtig gut."

Welche Chancen bleiben also für Griechenland, um aus der Misere herauszukommen. Zum einen müssten die Bürger geduldig bleiben. Denn Besserung sei zumindest in wenigen Monaten nicht in Sicht. "Mein Mann geht arbeiten, obwohl er seit zwei Monaten kein Geld bekommt: Es gibt keine Alternative", sagt Tanja Nettersheim. Andere Arbeitnehmer machten das seit fünf Monaten, andere seit zehn, erzählt sie.

Söder: Keine Hilfe mehr für Griechenland

Zumindest besteht aber Hoffnung, dass das neu gewählte Parlament in Zukunft seinen Pflichten nachkommt. Denn wie die Sendung aufzeigt, habe sich das alte griechische Parlament selten getroffen. Im dem Zeitraum, in dem die deutschen Politiker 98 mal zusammengefunden haben, traf sich das griechische Parlament nur neun mal. "Erkennt man da kulturelle Unterschiede in der Arbeitsmoral?", fragt Plasberg.

Söder will aber keine Hilfe mehr für Griechenland bereit stellen. "Wir zahlen schon genug Geld für andere Länder", sagt er. Gemeint ist der Länder-Finanzausgleich. Bayern finanzierte mit 4,85 Milliarden Euro mehr als die Hälfte des Länderfinanzausgleichs auf Bundesebene im Jahr 2014. Aber auch keine deutschen Steuerbeamte sollen seiner Meinung nach nach Griechenland geschickt werden, um zu helfen.

Für Griechenland bleibt immer noch die Möglichkeit des Austritts aus der EU. Was vor etwa zweieinhalb Jahren noch wie eine Bankrotterklärung für die EU gewirkt hätte, ist heute für Politiker nicht mehr abwegig. Aber es birgt Gefahren. "Wirtschaftlich ist das verkraftbar", sagt Wirtschaftsexperte Frank Lehmann. Nur politisch sei es eine Katastrophe. Frankreich, Italien, Spanien oder Portugal, all die Länder, deren Finanzen ebenfalls in Schieflage geraten sind, könnten demnach auch mit dem Austritt aus der Eurozone drohen. "Ökologisch können wir es uns deswegen nicht leisten, dass Griechenland vom Tisch fällt", sagt Lehmann. Sahra Wagenknecht schließt sich an: "Wir müssen aufpassen, dass Europa nicht gesprengt wird!"

Lehmanns Idee: Ein Schuldenschnitt. Und auch "Hart aber Fair" erinnert an das Allheilmittel: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde 1953 auf der sogenannten Schuldenkonferenz in London Deutschland mehr als die Hälfte der Schulden erlassen. Kurz darauf begann das Wirtschaftswunder im völlig zerstören Land.

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